Techniktagebuch: Wie war das mit der Technik im Jahr 2019?
„Ja, jetzt ist das langweilig. Aber in zwanzig Jahren!“ – so lautet der Untertitel des Gruppen-Weblogs „Techniktagebuch“. Doch auch heute schon können die Berichte über alltägliche Technik-Erfahrungen unterhalten. In den regelmäßig veröffentlichten Beiträgen berichten die AutorInnen und GastautorInnen vom papierlosen Ticket, aber auch über außergewöhnlichere Dinge, wie den Einsatz von Netflix als Produktivitätstool. So wird auch die nächste Generation noch nachlesen können, wie wir mit den heutigen Techniken zurechtkommen und ohne die Technik der Zukunft ausgekommen sind.
Das Techniktagebuch ist für den Grimme Online Award 2019 in der Kategorie Kultur und Unterhaltung nominiert. Die Gründerin Kathrin Passig spricht im Interview über die Entstehung und Zukunft des Techniktagebuchs.
Wie ist die Idee für das Techniktagebuch entstanden?
Ich hatte mich mit einem Herausgeber einer Zeitschrift getroffen und wir haben über mögliche Artikel geredet. In diesem Zusammenhang ist mir eingefallen, dass man aufschreiben müsste, wie man gerade mit Technik umgeht und warum man das so macht. Denn das sind Dinge, die man unmittelbar danach wieder vergisst. Diese Idee habe ich dann bei Facebook und Twitter geteilt.
Wie ist das Team der regelmäßigen Autoren entstanden?
Anne Schüßler hat sich direkt gemeldet, quasi bevor es den Blog gab. Dann habe ich noch einen Dritten angeworben, der nochmal zehn Jahre jünger ist als Anne. Und weil Anne zehn Jahre jünger ist als ich, deckt man auf diese Art ein breites Altersspektrum ab. Dann haben wir entdeckt, dass Tumblr diese unglaublich praktischen Gastbeiträge hat. Bei Tumblr kann man anonym und ohne vorherige Anmeldung Gastbeiträge einreichen, was woanders viel schwieriger ist. Als wir diese Funktion dann freigeschaltet hatten, kamen relativ schnell viele Gastbeiträge. Anschließend haben wir eingeführt, dass man ab drei Beiträgen einen Zugang zum Blog haben kann. Seitdem haben ungefähr 60 bis 70 Leute davon Gebrauch gemacht.
Wieso haben Sie sich für Tumblr als Blogsystem entschieden?
Das war eigentlich Zufall. Ich habe im Vorhinein verschiedene Optionen angesehen. Vorher hatte ich einen selbstgeschriebenen Blog verwendet, das wollte ich auf keinen Fall noch einmal machen. Ich war auch schon von anderen Einrichtungen dazu genötigt worden, mit WordPress zu bloggen und wollte sehr ungern noch einmal damit arbeiten. Dann ist man schnell bei Tumblr. Es war wichtig, dass man Einträge rückdatieren kann. Tumblr hat einige Vorteile, die sich über die Zeit bewährt haben. Mittlerweile mache ich mir allmählich Sorgen, dass Tumblr keine große Zukunft hat, denn es ist nicht so leicht zu ersetzen.
Was stört Sie denn an herkömmlichen Blogsystemen wie WordPress?
Tumblr hat für uns den Vorteil, dass es kostenlos ist. Das bringt natürlich diverse Nachteile mit sich, unter anderem Werbung. Aber im Gegenzug erspart es ganz viele Organisationsprobleme, die letztendlich dazu führen, dass alles immer an einer Person hängt. Wir haben aus dem Grund ja noch nicht mal eine Domain. Sollten wir die Lust verlieren, gibt es keine technischen Hindernisse, den Blog weiterzuführen. Niemand besitzt die Domain oder muss Gebühren für ein Blogsystem bezahlen. Speziell in dieser Sicht hat Tumblr Vorteile, die man woanders nicht so leicht findet. Wir haben jetzt lange gesucht, wo wir hinziehen könnten und es bietet sich nichts so richtig an.
Also ist es Ihnen wichtig, dass das Techniktagebuch keine feste Projektleitung braucht?
Das Techniktagebuch hat den Titel: „Ja, jetzt ist das langweilig. Aber in zwanzig Jahren!“. Das setzt vor allem erstmal voraus, dass es zwanzig Jahre übersteht. Meiner Erfahrung nach ist einer der wesentlichen Gründe, weswegen ein Projekt gestoppt wird, dass jemand, der eine Sache angestoßen hat, die Lust verliert und es auch nicht schafft, das Projekt einer anderen Person zu übergeben. Bei unserer Konstruktion gibt es nichts weiterzugeben.
Was macht einen typischen Techniktagebuch-Eintrag aus?
Es muss ein autobiografisches Element geben. Man kann nicht einfach über irgendwas schreiben, was man gerade in der Technikzeitgeschichte interessant findet. Es sollte in erster Linie nicht darum gehen, seinem Ärger Luft zu machen und es sollte einigermaßen präzise datiert und beschrieben sein. Im Idealfall soll man in zwanzig Jahren noch verstehen können, was gemeint und beschrieben ist. Es muss keine Pointe haben oder lustig sein. Ich sage immer: „Lizenz zur Langweiligkeit!“ und das scheint mir auf viele Leute ermutigend zu wirken.
Welches Gadget oder technisches Hilfsmittel ist aktuell Ihr Favorit?
Ich habe vor Kurzem entdeckt, dass es ein Revival des Stiftplotters gibt. Stiftplotter waren in den 70ern und 80ern wichtig, als Drucker noch nicht so viel konnten. Wenn man etwas drucken wollte, das nicht aussehen sollte wie etwas von der Schreibmaschine, dann konnte man dafür Stiftplotter verwenden. Das ist eine mechanische Anordnung, in die ein Stift eingespannt wird, der dann computergesteuert auf Papier zeichnet. Dank einiger Kickstarter-Projekte gibt es Stiftplotter wieder neu zu kaufen. Ich finde es faszinierend, mir davon Videos anzuschauen und demnächst werde ich mir so einen zulegen.
Was erhoffen Sie sich vom Techniktagebuch in 20 Jahren?
Wenn es ungefähr so wie jetzt ist, dann wäre ich schon zufrieden damit. Wenn wir es bis dahin schaffen, uns entweder zu zerstreiten oder durch technische Probleme zugrunde gehen, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Texte in irgendeiner Weise zugänglich bleiben. Allein daher, weil wir jedes Jahr eine Gratis-PDF-Version veröffentlichen. Außerdem gibt es eine kostenpflichtige Best-of-Version. Durch die PDF-Version entsteht hoffentlich ein verteiltes Backup auf den Rechnern von vielen verschiedenen Menschen.
Sie wünschen sich also nicht, dass es als Nachschlagewerk genutzt wird?
Indirekt schon. Ich denke da eher an 200 Jahre als an 20 Jahre. Ich besitze ein sehr schönes Buch über Zeitzeugen der frühen Industrialisierung, also Menschen, die zum ersten Mal einen Zug vorbeifahren sehen oder eine Dampfmaschine im Betrieb. Was man relativ leicht herausfinden kann ist, wie die Dinge funktionierten und wie viel sie gekostet haben. Will man jedoch wissen, wie man darüber gedacht hat und wieso man gegen und für bestimmte Sachen war, ist das allgemein eher schlecht dokumentiert. Da glaube ich dann schon, dass das Techniktagebuch etwas Einzigartiges ist.
Das Interview führte Fabian Steyer.
Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen und Seminaren im Bachelor-Studiengang Online-Redaktion an der TH Köln.
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