Von User Journeys auf Autobahnen
Henning Grote arbeitet schon länger im Bereich User Experience (UX), als es den Begriff gibt. Begonnen hat er 1998 als „Content Developer“ und war seitdem für zahlreiche Agenturen und Unternehmen tätig. Henning Grote arbeitet zur Zeit als Teamleiter und Projektmanager in einer Berliner Software Agentur. Er gehört zu den Mitbegründern eines seit 2009 jährlich stattfindenden Barcamps zu UX, des international besuchten UXcamp Europe in Berlin.
In der diesjährigen Nominierungskommission des GOA beurteilt Henning Grote als Experte für UX die eingereichten Angebote. Warum Benutzerfreundlichkeit auch bei Nur-Audio-Angeboten wie Podcasts ein Faktor in der Beurteilung sein kann, erklärt er im Interview.
Sie arbeiten als User Experience (UX) Concepter – manchen sagt diese Berufsbezeichnung nichts. Was zeichnet die Arbeit als UX-ConcepterIn aus?
Ein/e UX-ConcepterIn sorgt dafür, dass interaktive Anwendungen benutzerfreundlich sind. Und allein die Benutzerfreundlichkeit ist ein hohes Ziel, denn wenn ein Formular für Registrierungen zu schwierig ist, verliert man zum Beispiel NutzerInnen. Es geht also darum, welche Problemlösungsstrategien NutzerInnen aktuell haben und wo man sie unterstützen kann.
Für alle Apps auf unseren Smartphones müssen sich UX-ConcepterInnen Gedanken gemacht haben. UX-ConcepterInnen sind in der Entwicklung eine Zwischenebene. Sie sagen den DesignerInnen, was sie designen sollen, und den ProgrammiererInnen, was sie programmieren sollen.
Man muss auch zwischen der reinen „Benutzbarkeit“ („Usability“) und einer zum Gesamtbild passenden Nutzerführung („User Experience“) unterscheiden. Das ist wie der Unterschied zwischen einer einfachen Autobahnfahrt und einer Fahrt durch die Berge in einem Cabrio. Am einfachsten kann man den Weg auf der Autobahn hinter sich bringen, aber es macht viel mehr Spaß, im Cabrio durch eine schöne Landstraße zu fahren.
In der Nominierungskommission sind Sie der Experte für UX. Warum braucht der Grimme Online Award diese Perspektive?
Der Grimme Online Award dotiert auch, dass die Angebote für möglichst viele NutzerInnen zugänglich sind. Einerseits geht es hier um den reinen Usability-Aspekt des Zugangs, man schaut auf Lesefreundlichkeit. Gibt es Unterstützungen der Nutzerführung? Ist die Seite beispielsweise barrierefrei?
Ein gelungenes Beispiel war „Neos Kosmos“, ein Longread, der von seitwärts scrollenden Bildergalerien unterbrochen ist. Man bewegt sich durch Scrollen in Text und Bildergalerie. Da wird keine große Umgewöhnung in der Bedienung gefordert. Unter reinen Usability-Aspekten ist das vielleicht irritierend, aber so eine Irritation kann den Lesefluss auch bewusst unterbrechen.
Zur Zugänglichkeit: Wir achten auch darauf, dass Podcasts oder Video-Angebote frei verfügbar sind, und nicht ausschließlich über Bezahldienste wie etwa Spotify zur Verfügung stehen.
Wie wichtig ist denn die UX für die Auswahl der Angebote beim Grimme Online Award? Ist sie eher ein großes oder kleines Kriterum?
Relativ klein. Die Angebote haben dieses Jahr insgesamt einen sehr hohen Standard in der User Experience. Ich kann mich nicht an große Ausreißer erinnern. Sie waren halt alle gut.
Bei Video- oder Podcast-Angeboten kann man oft den eigentlichen Aspekt der Nutzerfreundlichkeit nicht im Sinne einer Website erfassen. Gerade bei den Podcasts bestimmen NutzerInnen durch ihre Podcast-App die Bedienung selbst. Bei einem Podcast macht es viel aus, ob die Einspieler sauber sind, ob er gut gesprochen ist.
All das ist eine Form der Nutzerfreundlichkeit, die wir auch mitbetrachten. Hier ist das technische Niveau in den letzten Jahren stark gestiegen.
Laut Nominierungskommission gab es dieses Jahr bei den Angeboten wenig Innovation. Haben Sie das in Hinsicht auf UX auch so empfunden?
Ja, aber ich empfinde das gar nicht als negativ. Die letzten Innovationen waren Scrollytelling und Pageflows vor etwa 5 bis 6 Jahren. Es ist klar, dass sich die Bedienung von diesen langen Stücken irgendwann sehr ähnelt. Dieses Jahr gab es keine Innovationen im engeren Sinne, aber dafür war das allgemeine Niveau sehr hoch.
Fällt es negativ auf, wenn ein Projekt die Benutzeroberfläche von der Seite einer übergeordneten Organisation übernimmt? Zum Beispiel wie BORDERLINE von CaféBabel?
Wir haben CaféBabel wegen der Idee und dem Inhalt ausgewählt. Die übernommene Benutzeroberfläche hat sich auf keinen Fall negativ ausgewirkt. Bei Projekten wie BORDERLINE wussten wir, dass die Organisation dahinter entsprechend wenig Budget hatte. Daher schauen wir eher, was sie aus ihren Ressourcen gemacht haben.
Werfen Sie bei dem Blick auf die Angebote auch einen Blick unter die Haube, also auf den Quellcode? Analysieren Sie zum Beispiel das vorgesehene Nutzerverhalten, den Userflow?
Ich schaue teilweise auf Userflows. Bei öffentlich-rechtlichen Seiten zum Beispiel hat man schnell eine Dossier-Struktur. Diesen Anbietern fällt es anscheinend sehr schwer, inhaltlich geschlossene Angebote zu erstellen. Oft haben diese Angebote durch die zugrunde liegenden Content-Management-Systeme auch größere technische Hürden.
In den Quellcode schaue ich nur, wenn ich das Gefühl habe, da funktioniert etwas nicht. Aber der Quellcode ist nicht das Kriterium: Das Angebot muss in gängigen Browsern funktionieren. Die Nutzerführung muss auf allen Geräten gleich gut sein.
So viel zum Technischen – wie kommt es denn, dass Sie nun in der Nominierungskommission des Grimme Online Awards sitzen?
Ganz ehrlich gesagt bin ich empfohlen geworden. Mein Vorgänger wurde nach einem seines Erachtens guten Nachfolger gefragt.
Finden Sie die Arbeit als Teil der Nominierungskommission interessant?
Oh ja, einerseits macht es mir persönlich viel Spaß, mit den KollegInnen in der Kommission zu sprechen, weil man auch unterschiedlichste Standpunkte mitbekommt. Dazu kommt die Gelegenheit, viel neues Publizistisches im Internet zu sehen. Das motiviert mich auch, mich seit mehreren Jahren in diese arbeitsintensiven Wochen der Auswahlzeit zu stürzen.
Was ist Ihre persönliche Beziehung zum Grimme Online Award?
Ich kannte natürlich den Grimme-Preis. Ich kannte aber auch den Grimme Online Award. Ich habe immer verfolgt, was es an Preisen für Netzangebote in Deutschland gibt. Vor allem Preise, die nicht einen kommerziellen, sondern die eher einen kulturellen, allgemeingesellschaftlichen Hintergrund haben.
Das Interview führte Simone Dahmen.
Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen und Seminaren im Bachelor-Studiengang Online-Redaktion an der TH Köln.
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