Krautreporter: „Liebe Leser, wer seid ihr eigentlich?“
Mit einer großen Crowdfunding-Aktion gründeten sich die „Krautreporter“ 2014 als unabhängiges Portal für qualitativ hochwertigen Online-Journalismus. Heute wird das Online-Magazin durch seine Mitglieder finanziert, die eng in die Recherche und Themenwahl eingebunden werden. Die Hintergrundberichte und Reportagen können Abonnenten werbefrei auf der Plattform lesen.
„Krautreporter“ ist für den Grimme Online Award 2019 in der Kategorie Information nominiert. Im Interview erzählt Gründer und Herausgeber Sebastian Esser, was bei „Krautreporter“ anders läuft.
Wie sind Sie auf das Konzept von Krautreporter gekommen? Hatten Sie dafür ein Vorbild?
Das ist inzwischen schon vier bis fünf Jahre her. Ich hatte damals eine Crowdfunding Plattform gegründet für Journalismus, die hieß auch Krautreporter. Das Problem war aber, dass Crowdfunding ja wie ein Strohfeuer ist. Man bekommt einmal Geld und dann ist das Geld alle und dann ist man eigentlich wieder bei Null. Es ist einfach schwer, das nachhaltig zu machen. Das ist wie eine Art Investment, aber kein Geschäftsmodell. Dann habe ich immer wieder versucht, Kollegen zu finden, die auch ein bisschen größer denken. Welche, die einfach mal nicht sagen: „Ich brauche 1000 Euro, um irgendwo hinzufliegen und zu recherchieren“, sondern „Ich brauche sichtlich viel Geld, um das hier grundsätzlich anders zu machen“. Vor vier bis fünf Jahren war es noch nicht selbstverständlich, dass es überhaupt Bezahl-Aboangebote gab. Da wurde eben alles noch über Werbung finanziert, wie es heutzutage immer noch größtenteils der Fall ist. Inzwischen hat sich das aber schon viel weiter etabliert. Das war diese Idee, sich mit den Lesern zusammenzutun, um eine andere Sorte Journalismus zu ermöglichen, die sich nicht an Klicks orientiert.
Immer mehr journalistische Onlineangebote stehen vor einem Finanzierungsproblem. Denken Sie, Crowdfunding ist da die Lösung?
Wir sehen unser Geschäftsmodell eigentlich gar nicht als Crowdfunding. Das war damals der erste Schritt, aber es geht eigentlich um Mitgliedschaft. Nicht um Abos – sondern Mitgliedschaft. Wenn man sich wirklich zusammentut, mit seinen Leserinnen und Lesern, und die zu Mitgliedern macht – und das bedeutet auch, sehr viel intensiver mit denen zusammen zu arbeiten, als das bisher der Fall war – dann sehe ich das auf jeden Fall als riesengroße Chance. In Amerika ist das Thema Membership ganz groß, aber auch in Deutschland wird das Thema immer ernster genommen. Zum Glück. Der erste Schritt ist tatsächlich, dass man sich für die Leute interessiert, die einen da lesen, und mit denen ganz aktiv in Kontakt tritt. Ich glaube, das ist etwas, das sich erst so langsam etablieren muss. Da haben wir schon einiges dazugelernt in den vergangenen vier bis fünf Jahren.
Auf Ihrer Website steht, dass Krautreporter-Mitglieder Teil der Redaktion sind. Wie genau beteiligen sich die Mitglieder an der Arbeit?
Es gibt zwei Hauptmethoden. Zum einen machen wir Umfragen. Das heißt, wir fragen unsere Mitglieder, was sie wissen, aber auch, was sie wissen wollen. Wir lassen sie darüber abstimmen, mit welchen Themen wir uns beschäftigen. Das ist die eine Möglichkeit.
Wir beginnen die Recherche mit der Frage an unsere Mitglieder. Das übliche Verfahren ist ja, dass man nach der Veröffentlichung eines Artikels fragt: „Was haltet ihr davon?“ und dann gibt es quasi Online-Kommentare. Bei uns beginnt vor der Veröffentlichung des Artikels der redaktionelle Prozess im Austausch mit unseren Mitgliedern. Das zweite Verfahren ist, dass wir sehr viel über unsere Mitglieder wissen. Wir bitten sie darum, uns Informationen darüber zu geben, mit welchen Themen sie sich gut auskennen, wo sie wohnen, was sie von Beruf sind und so weiter. Dadurch haben wir eine Art riesiges Telefonbuch von Experten und unsere Reporter starten jede Recherche mit einem Blick in dieses Telefonbuch. Wenn es beispielsweise um Kriminalität in Europa geht, dann haben wir immer einen Polizisten, jemanden in der EU-Kommission und jemanden, der im Gefängnis arbeitet unter unseren Mitgliedern. Das funktioniert dann, wenn man sie fragt: „Wer seid ihr denn eigentlich?“ und das kann eigentlich jede Redaktion.
Wie unterscheidet sich ein Krautreporter-Text von einem, der beispielsweise in einer überregionalen Zeitung veröffentlicht wird?
Der unterscheidet sich sehr. Schon zum einen, weil die Recherche in Zusammenarbeit mit unseren Mitgliedern geschieht. Er unterscheidet sich aber auch stilistisch, weil wir davon ausgehen, dass die Stimme der Reporterin und des Reporters, deren persönlicher Stil, etwas sehr Wichtiges ist. Wir glauben, dass im Internet Menschen miteinander kommunizieren und es nicht darum geht, Literatur zu produzieren und die vorzutragen. Unsere Texte sind so aufgebaut, dass wir selbst Fragen stellen über unsere Leser und die uns Fragen stellen, die wir dann in einem Dialogton beantworten. Das ist schon recht anders als bei einer überregionalen Zeitung. Aber das kann ja auch jeder gerne selbst ausprobieren. Eine Probemitgliedschaft kostet auch nichts.
Warum denken Sie, ist unabhängiger Journalismus so wichtig?
Eine Demokratie ist auf unabhängige Informationen angewiesen, um gute Wahlentscheidungen treffen zu können. Und wohin das führen kann, wenn Informationen manipuliert sind, kann man sich am Beispiel Trump oder Brexit gerade anschauen. Deshalb ist Journalismus – ganz egal, wo er verbreitet wird und wie er sich stilistisch weiterentwickelt – im Kern das Recherchieren und Zugänglichmachen von Wahrheiten. Und diese Wichtigkeit und diese Rolle wird auch nicht enden.
Krautreporter wurde 2014 gegründet. Was hat sich seitdem verändert?
Es hat sich einiges verändert, was damals nicht selbstverständlich war. Zum Beispiel gibt es die Erkenntnis, dass Werbefinanzierung von Journalismus nicht gut für die Qualität des Journalismus ist. Auch, dass die Leute, die sich informieren wollen, durchaus bereit sind, Geld zu bezahlen, wenn man sie denn bittet. Das ist eine Erkenntnis, der wir – glaube ich – ein bisschen geholfen haben, sich durchzusetzen. Das ist inzwischen allgemein akzeptiert und es gibt keinen großen Titel in Deutschland, der nicht inzwischen auch ein Paid-Content-Angebot hat. Es hat sich auch ein bisschen die Kenntnis durchgesetzt, dass dieses Schmutzige und Unübersichtliche, das eben Texte im Internet, in Social-Media, in Blogs ausmachen, dass sich das durchaus gut vertragen kann mit Journalismus. Da war diese Herablassung, die ganz lange im Journalismus üblich war gegenüber Inhalten im Internet und eben gegenüber dieser dialogischen Austauschform des Internets. Diese Herablassung ist nicht mehr ganz so krass vorhanden, wie sie es damals war. Und es gibt mehr Experimente. Es gibt mehr Leute, die sich trauen, Dinge einfach mal anders zu machen. Und – das ist vielleicht für mich das Wichtigste – es gibt hunderte von Mini-Krautreportern. Das, was wir damals versucht haben anzustoßen, das ist eigentlich unser großer Erfolg. Es gibt ganz viele unabhängige Medien, die sich über Mitgliedschaften finanzieren. Das ist etwas, worauf ich durchaus stolz bin, dass wir das mit angestoßen haben.
Und wie hat sich Ihre Redaktion verändert?
Die Arbeit, wie wir zusammenarbeiten, hat sich im ersten Jahr stark verändert, ist aber seitdem sehr stabil. Wir sind eine kleine Redaktion, die aber sehr konstant miteinander zusammenarbeitet. Nach einer ersten turbulenten Findungsphase sind wir da sehr gut und sehr professionell geworden. Mein Team macht wirklich unter nicht luxuriösen Bedingungen ungewöhnlich guten Journalismus. Dass wir anders sind, ist – glaube ich – sehr wichtig für die Existenzberechtigung von Krautreporter. Da wir weiterhin jeden Monat schön wachsen und eben seit Jahr zwei dieses Wachstum anhält, können wir einfach ganz beruhigt so weitermachen – und bis zum Anfang unserer Rente diesen Journalismus hoffentlich fortführen.
Das Interview führte Monika Schlederer.
Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen und Seminaren im Bachelor-Studiengang Online-Redaktion an der TH Köln.
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