Quatschen wir noch oder interviewst du schon?
Während eines gemütlichen Spaziergangs ein Interview führen. So einfach klingt das Konzept des Podcasts „Durch die Gegend“. Seit 2016 lässt sich Christian Möller von seinen Gästen an ganz unterschiedliche Orte führen und sorgt mit einer entspannten Spaziergangs-Atmosphäre für interessante und lockere Interviews. Dabei schafft er es, sowohl seinen GesprächspartnerInnen überraschende Aussagen zu entlocken als auch die Orte mit einzubeziehen.
„Durch die Gegend“ ist für den Grimme Online Award 2019 in der Kategorie Kultur und Unterhaltung nominiert. Moderator und Produzent Christian Möller spricht im Interview über die Idee hinter seinem Podcast und ganz besondere Momente hinter dem Mikrofon.
Bereits vor 30 Jahren haben sich Helmut Kohl und Michail Gorbatschow auf einen Spaziergang anstatt in einem Konferenzraum getroffen und haben über die aktuelle Politik gesprochen. Warum haben Sie sich überlegt, während der Interviews spazieren zu gehen?
Ich wollte raus aus dem Radiostudio. Das hat damit zu tun, dass man im Radio eigentlich immer Interviews in einem sehr durchgetakteten Setting führt. Man guckt auf die Uhr und schaut, wie lange es dauern darf. Man guckt auf seinen Zettel und schaut nach den Fragen und Stichpunkten. Meistens ist man per Leitung verbunden, der Gesprächspartner sitzt in Berlin, ich in Köln. Auch wenn der Partner im Studio ist, ist die Atmosphäre nicht die gemütlichste. Und mir ist aufgefallen, dass ich gerade durch diese Momente das Gefühl hatte, dass ich gar nicht richtig bei meinen Gästen bin. Ich versuche natürlich, aufmerksam zuzuhören, aber man achtet eben immer auf die Zeit. Außerdem wollte ich einfach, dass der/die GesprächspartnerIn und ich auf Augenhöhe sind, denn wir machen den Spaziergang ja gemeinsam, gehen nebeneinander her und verbringen exakt so lange Zeit miteinander, wie wir unterwegs sind. Es ist nicht auf 20 Minuten beschränkt. Ich wollte diese klinisch trockene Studiosituation aufbrechen und glaube auch, dass es schöner ist, wenn der Gesprächspartner nicht die ganze Zeit merkt, dass wir in einer Interviewsituation sind.
Wenn man dann zusammen unterwegs ist, wie beeinflusst das das Gespräch?
Es passiert schon, dass man manchmal mitten aus dem Satz gerissen wird, weil der Partner sagt: „Ach guck mal, in dem Laden, an dem wir vorbei laufen, haben sie immer noch das alte Poster im Schaufenster.“ So war das in dem Gespräch mit Sophie Paßmann in Freiburg. „Ich wollte mir das unbedingt mal kaufen, jetzt ist es schon total vergilbt“ – und dann redet man erst weiter. Das passiert schon ab und zu. Oder der/die PartnerIn sucht selber Orte in der Stadt aus und führt mich dann herum. Ich finde es immer ganz schön, dass die Orte im Idealfall auch etwas über die Person erzählen. So wird dann schon die Struktur des Gesprächs beeinflusst. Man hat nicht die Möglichkeit, ganz strikt bei einem Thema zu bleiben und eine Frage nach der anderen zu stellen. Ich würde sagen, durch das Gehen ist es ein bisschen lockerer.
Heißt das, dass man die Interviews dann gar nicht lenkt?
Doch, das tut man schon. Aber man tut es vielleicht nicht in so einer strengen Form, wie man es in einem Studiogespräch machen würde. Ich gebe ein bisschen Kontrolle ab, aber natürlich bereite ich mich trotzdem sehr sorgfältig auf die Interviews vor. Ich lese Bücher, höre CDs, gucke Videos und überlege mir bestimmte Punkte oder thematische Aspekte, die ich gerne behandeln möchte. Aber ich muss es dem Zufall überlassen, wann ich es dann ansprechen kann.
Sie sagten vorhin, dass die Gäste die Orte aussuchen sollten, an denen das Interview stattfindet. Welche Rolle spielen die Orte denn generell bei Ihrem Podcast?
Ich bekomme häufig Anfragen von Leuten, die mir vorschlagen, Schauspieler XY an einem Interviewtag in Berlin zu treffen, um dort rumzulaufen. Da waren auch schon echt große Namen dabei, die ich abgelehnt habe. Denn wenn mir die Person nichts über den Ort sagen kann, weil sie vielleicht nur eingeflogen ist und gar nicht dort lebt, erfüllt das nicht den Sinn und Zweck des Formats. Es sollten Orte sein, die etwas mit den GesprächspartnerInnen zu tun haben. Idealerweise ist es dann so, dass mir jemand noch bestimmte Lokalitäten vor Ort zeigt. Das können aber ganz verschiedene Sachen sein. Vielleicht ist es der Kiosk, bei dem er/sie sich abends ein Bier holt, oder vielleicht die Joggingstrecke. Manchmal ist es auch ein wenig touristisch. Robert Habeck in Flensburg hat mir Orte gezeigt, die auch etwas mit der Stadt und nicht nur mit ihm zu tun haben.
Gibt es denn eine besonders komische oder eindrucksvolle Situation, in der Sie während der Gespräche gelandet sind?
Eine komische Situation war, als ich für das Interview mit Heinz Strunk in seiner Wohnung war. Direkt zu Beginn des Gesprächs kam eine Wespe reingeflogen und hat sich sofort bei mir – ich weiß nicht mehr, wie es genau war – auf die Haare oder die Nase gesetzt. Und weil da dann diese Wespe saß, wollte sich keiner von uns bewegen, um das Tier nicht aggressiv zu machen. Also saßen wir eine ganze Weile still da und haben gewartet, bis die Wespe weg war. Das klingt auch auf der Aufnahme ganz lustig, wie wir schweigen und versuchen, nichts zu machen.
Eine Situation, die mich besonders beeindruckt hat, gab es auch. Ich war mit Juli Zeh unterwegs in Brandenburg und habe mit ihr einen Waldspaziergang gemacht – da, wo sie normalerweise mit einem ihrer Pferde ausreitet. In dem Gespräch war es tatsächlich so, dass ich fast vergessen habe, dass es ein Interview war. Juli hat mir von der Situation erzählt, in der sie am deutschen Literaturinstitut in Leipzig war und so heftig von Professoren und Kommilitonen kritisiert wurde, dass sie mir sagte: „Ich war an dem Punkt, wo ich dachte, das mit dem Schreiben wäre beerdigt.“ Aber das Bemerkenswerte war, dass mir das in der Situation gar nicht so bedeutend vorkam, weil es so in das Gespräch eingebettet war und es sich so organisch ergeben hat.
Haben Sie einen besonderen Wunschgast für Ihren Podcast und worüber würden Sie dann mit ihr/ihm reden?
Ich habe ein paar Mal Jan Böhmermann angefragt – ich glaube, den wollen sehr viele Leute interviewen –, das hat bisher noch nicht geklappt. Mit ihm würde ich gerne über die Situation von Humor hier in Deutschland sprechen, weil er da sicherlich Einiges zu sagen hat. Ich würde ihn aber auch gerne darauf ansprechen, dass er zwar immer noch Satiriker ist, sich aber auch in den letzten Jahren sehr ernsthaft politisch positioniert und Statements abgegeben hat, die nicht mehr mit einem ironischen Zwinkern versehen waren. Und da würde ich gerne wissen, wie dieser Wandel zustande kam.
Das Interview führte Mara van Mierlo.
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Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen und Seminaren im Bachelor-Studiengang Online-Redaktion an der TH Köln.
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