Moderne Kunst digital und interaktiv verstehen
Wie kann man ein modernes Kunstwerk verstehen? Mit dieser Frage beschäftigt sich das Webprojekt „Kunstgeschichte Online“ des Städel Museums. In einem modularisierten und interaktiven Onlinekurs zur Kunstgeschichte der Moderne können sich die User selbständig grundlegende Kompetenzen im Umgang mit modernen Kunstwerken aneignen und werden spielerisch durch die geschichtlichen Hintergründe geführt. Ein interaktiver Zeitstrahl, der Werke, Ereignisse und Stilrichtungen der Moderne miteinander verknüpft, und fünf thematisch strukturierte Module ermöglichen den Usern einen neuen Zugang zur modernen Kunst und ihrer Geschichte. Im folgenden Interview erzählt Chantal Eschenfelder, die zusammen mit Herbert Schwarze und Beate Söntgen für das Gesamtkonzept zuständig gewesen ist, etwas über die Entstehung und die Möglichkeiten dieses multimedialen Onlinekurses. Ein ganz besonderes Projekt also, das in der Kategorie „Spezial“ für den Grimme Online Award 2017 nominiert ist.
Wie ist die Idee eines interaktiven Onlinekurses zur Kunstgeschichte der Moderne entstanden? Gab es einen bestimmten Auslöser?
Es gab zwei Auslöser, die ein bisschen zusammengefallen sind. Der erste war tatsächlich, dass aus unserem Publikum heraus, kurz nach unserem Erweiterungsbau für Gegenwartskunst, der Wunsch an uns herangetragen wurde, ob wir nicht einmal ein richtiges Seminar machen könnten, sodass man die moderne Kunst besser verstehe. Das andere war, dass wir parallel dazu unsere digitale Erweiterung vorantreiben, also jenseits des physischen Museumsbetriebs digitale Angebote schaffen wollten. Wir wollten also auch den Menschen, die gar nicht ins Städel kommen, sondern in einer anderen Stadt oder einem anderen Land wohnen, die Möglichkeit bieten, über unseren Onlinekurs dennoch die Inhalte und Geschichten unserer Werke zu erkunden.
Wie lange hat die Umsetzung des Projektes gedauert und welche Herausforderungen mussten bewältigt werden?
Es gab ziemlich große Herausforderungen. Die ersten Gespräche waren über zwei Jahre vor dem Livegang des Kurses. Die eigentlich harte Arbeit daran und auch an der Umsetzung, das waren dann vielleicht acht Monate. Und während dieser intensiven Arbeit waren aber zum Teil 70 Personen insgesamt beteiligt. Das ist ja ein riesiger Aufwand: Die Dreharbeiten zum Beispiel, die wir mit dem Schauspieler Sebastian Blomberg gemacht haben. Es war für uns als Museum auch sehr interessant zu sehen was notwendig ist, um so ein multimediales Projekt auf die Beine zu stellen. Die Herausforderungen waren manchmal also sowohl technischer als auch inhaltlicher Natur. Die Hauptschwierigkeit war aber, die richtige Tonalität zu finden: Wie sprechen wir die User an, die wir ja nicht persönlich kennen? Das Projekt sollte auf der einen Seite User ansprechen, die schon ein bisschen Vorkenntnisse haben und sich interessieren. Aber auf der anderen Seite sollte auch der absolute Laie – das war der Anspruch – in der Lage sein, den Kurs zu absolvieren und hinterher selbständig moderne oder zeitgenössische Kunst für sich rezipieren zu können. Wichtig war für uns, sozusagen den mündigen Betrachter anzusprechen.
Was sind die Besonderheiten eines multimedialen Onlinekurses und wie kann so ein Format einen anderen Zugang zu moderner Kunst und ihrer Geschichte ermöglichen?
Das Besondere ist tatsächlich, dass wir nicht chronologisch erzählen, sondern nach Themen. Unser Ziel war, dass wir die Moderne nicht so erzählen, wie sie in den Büchern steht, nämlich als eine Aneinanderreihung von Stilen und Positionen wie an einer Perlenkette. Sondern es ging uns darum – und da eignet sich das Digitale besonders gut – zu zeigen, dass man seit der Postmoderne mit Geschichte und Geschichten anders umgehen muss. Dazu gehört auch zu zeigen, dass Dinge gleichzeitig passieren und miteinander verwoben sind. Deshalb war es für uns auch so wunderbar, dass wir diesen interaktiven Zeitstrahl gestalten konnten, wo man direkt sieht – und anklicken kann –, welche Werke sowohl zu der einen Stilrichtung als auch zu einer anderen Stilrichtung oder Künstlergruppe gezählt werden. Erst dann merkt man plötzlich, wie die Dinge ganz verschiedene Perspektiven einnehmen und man nicht mit Schubladen zurechtkommt. Dann konnten wir durch das digitale Format aber auch wichtige Kompetenzen vermitteln, angefangen bei diesen wirklich ganz basalen Fertigkeiten: „Was sehe ich überhaupt?“ „Was kann ich entdecken an formalen Strukturen, also wie ist ein Werk aufgebaut?“ „Wie entwickle ich ein bestimmtes Vokabular zur Beschreibung von Werken?“, die ich dann nicht nur an einem Werk ausprobieren kann, sondern auch an allen anderen, die ich später vor mir habe. Zu diesen Kompetenzen gehört auch die Frage nach den Kontexten. Also das, was man nicht im Bild sieht, was aber enorm wichtig ist, um das Bild zu verstehen, gerade auch in seiner politischen Bedeutung. Ich fand ganz interessant, als es jetzt hieß, der diesjährige Grimme Online Award sei von den Inhalten politischer: Selbst bei so einem Thema, bei dem man denkt, es gehe nur um Kunst, wird der politische Aspekt deutlich. Denn gerade die moderne und zeitgenössische Kunst und die Entwicklung der Moderne seit der Aufklärung ist ein politischer Akt der Positionierung.
Haben Sie Informationen dazu, wie sich das Projekt auf Museumsbesucher ausgewirkt hat?
Wir haben nicht unbedingt das Ziel gehabt, dass dieselben Leute, die ins Museum gehen auch die sind, die den Kurs machen. Es hat zwar Menschen gegeben, die uns in unser Besucherbuch geschrieben haben, wie toll sie den Onlinekurs fanden, aber für uns noch viel bewegender war z.B. die Zuschrift per E-Mail von einer Frau aus Kiew, die sich bedankt hat, dass sie endlich verstehe, wie das mit der modernen Kunst funktioniere und wie sie sich das selber beibringen könne. Gerade aus einem Land, das politisch momentan vor großen Problemen steht, so eine Zuschrift zubekommen, war für uns schon ganz besonders. Der Onlinekurs, der ja eine sehr intensive Beschäftigung mit den Werken erlaubt, ist daher eher eine Möglichkeit, um ein grundlegendes Interesse an moderner und zeitgenössischer Kunst zu generieren. Und wer im Anschluss die Werke im Original sehen möchte – und wir sind davon überzeugt, dass alle Menschen, die erstmal ein Interesse entwickelt haben, irgendwann auch das Original sehen möchten –, kann dann ins Museum gehen. Es ist also nicht so, dass die digitalen Angebote unser Publikum reduzieren – im Gegenteil.
Und würden Sie sagen, Ihr Projekt ist abgeschlossen oder könnten Sie sich vorstellen, das Projekt auch auf andere Kunstepochen auszuweiten?
Wir würden das Projekt sehr gerne ausweiten, denn wir haben auch eine sehr große Sammlung Alter Meister mit vielen Besuchern, und so sind natürlich auch Fragen zu den Symbolen eines mittelalterlichen Gemäldes oder aus der Barockzeit vorhanden. Auch in anderen Epochen gibt es großen Vermittlungsbedarf und da würden wir natürlich gerne in der Zukunft einen Kurs anbieten.
Das Interview führten Manuela da Silva Araújo und Fedora Hartmann.
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Die Interviews mit den Nominierten und die Videos sind im Rahmen eines Medienpraxis-Seminars an der Universität zu Köln entstanden.
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