Demokratie im digitalen Zeitalter? – „Ihre Wahl – der WDR-Kandidatencheck“
Wie lassen sich politische Bildung und Wissensvermittlung im digitalen Zeitalter gestalten? Eine Antwort auf diese Frage ist das Webprojekt „Ihre Wahl – der WDR-Kandidatencheck“ des WDR, das sich zur Aufgabe gemacht hat, alle Kandidaten der Landtagswahl in NRW in standardisierten Video-Interviews vorzustellen. Für die Kandidaten bedeutet das: dieselben Fragen für alle und genau vier Minuten Zeit, um ihre politischen Ansichten und Ziele digital zu vertreten. Das Ziel: Allen Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zu geben, sich selbständig und eigenverantwortlich über politische Themen und eine Vielzahl von antretenden Kandidaten zu informieren. Ein Stück Politik im digitalen Zeitalter also, das in der Kategorie „Information“ für den Grimme Online Award 2017 nominiert ist.
Könnten Sie zu Anfang sich und das Projekt kurz vorstellen?
Mein Name ist Julia Lüke und ich bin Redakteurin in der Internetredaktion, also im Programmbereich Internet des Westdeutschen Rundfunks und habe zusammen mit vier weiteren Kollegen, Sabine Bresser, Julia Michael, Stefanie Faulhauer und Hans-Christian Müller, ein kleines Projektteam gegründet. Die Idee war, dass wir zur Landtagswahl in NRW am 14. Mai alle Kandidaten, die sich zur Wahl stellen, in einem kurzen Video-Interview vorstellen. Es gibt ein ähnliches Projekt vom finnischen Rundfunk, der das erstmals schon 2014 zur Europawahl gemacht hat. Dieses Projekt wurde an verschiedene Leute hier im WDR herangetragen. Da waren ein paar Kollegen von uns dabei und die haben dann gesagt: Das ist ein cooles Projekt, so richtig Öffentlich-Rechtliches at its best, wollen wir so etwas nicht für den WDR mal ausprobieren? Wir hatten schon von Anfang an die Idee, dass wir alle unsere Aufnahmeorte und Studios mit einbeziehen und unsere Ressourcen, die wir haben, sowohl produktionstechnisch als auch inhaltlich nutzen.
Wie würden Sie den Arbeitsprozess genauer beschreiben?
Am Anfang stand die Kontaktaufnahmen mit den Parteien. Zunächst war überhaupt nicht klar, welche Parteien wir überhaupt anschreiben. Es gab über 50 Parteien, die hätten in Frage kommen können, zur Wahl anzutreten. Und zu dem Zeitpunkt, zu dem wir angefragt haben, nämlich Ende letzten Jahres und im Januar, war bei ganz vielen noch gar nicht klar: „Machen wir überhaupt mit bei der Wahl?“ Es war unglaublich schwierig, allein erst mal herauszufinden, welche Parteien dabei sind und da die richtigen Kontakte zu kriegen. Fast alle Parteien haben dann gesagt: „Das ist ein gutes Projekt, da sind wir gerne mit dabei, aber die Wahl ist ja erst im Mai, wir haben noch überhaupt keine Landesliste und wissen noch gar nicht, für welche Wahlkreise wir Direktkandidaten aufstellen.“ Uns war aber klar: Wir müssen Mitte März den Großteil der Videos produzieren. Wir haben so ein bisschen ins Blaue hinein produziert und auch ein paar Kandidaten oder Kandidatinnen zu viel interviewt, wo dann nachher klar war, die treten gar nicht zur Wahl an.
Welche Kriterien und Überlegungen gab es zu den Interviewfragen?
Es sollten landespolitisch relevante Fragen sein. Wir haben mit den landespolitischen Redaktionen zusammengearbeitet und es bildeten sich Schwerpunktfragen heraus zu den Themen innere Sicherheit, Verkehr, Bildung, Zuwanderung und Integration und dann natürlich zu den großen Oberthemen wie Forschung und Gesundheitspolitik. Die Kernfragen waren also relativ schnell klar. Wenn aber ein Kandidat mit den ersten drei Fragen schon innerhalb der vier Minuten alles gesagt hat, dann hat er keine Zeit mehr für weitere Fragen, sodass wir dadurch auch irgendwie herausfinden mussten: Was sind die wichtigsten Themen, die auch so aus der Bevölkerung kommen? Dazu haben wir aufgerufen: „Schicken Sie uns Ihre Themen! Worüber wollen Sie reden?“ Da kamen dann auch ganz gute Sachen, vor allem aus den Regionen und auf der kommunalen Ebene. Darauf konnten wir jetzt natürlich nicht so explizit eingehen. Deshalb haben wir uns entschlossen, mit einer offenen Einstiegsfrage in das Interview reinzugehen, sodass jeder Kandidat, jede Kandidatin sehr wahlkreisspezifisch auf die Fragen und Probleme in der Region eingehen konnte. Die erste Frage war also immer: „Wenn Sie in den Landtag gewählt werden, was ist ihr wichtigstes Ziel?“.
Was erhoffen Sie sich von Ihrem Projekt?
Wir erhofften uns davon, dass sich die Bürger in NRW vor der Wahl damit beschäftigen und sich eine Meinung bilden können über das, was sie wählen können. Zum einen zu den Direktmandaten, und dass sie darüber hinaus natürlich auch mal gucken können: „Was ist das für ein breites Spektrum an Parteien?“ Wir hatten 31 Parteien bei dieser Wahl dabei, so viele wie noch nie. Dass man auch über diese Interviews einen Eindruck bekommt: „Was ist das eigentlich, unsere parlamentarische Demokratie?“ Für uns war es wichtig, dass man auch mal zeigt: Es sind nicht immer die fünf, sechs, vielleicht sieben großen Parteien, die man kennt und die nachher auch im Landtag sind, sondern es gibt ganz viele andere Menschen, die sich in der Politik stark machen, die Ideen haben, die begeistert bei einer Sache sind und ich finde, das kommt in diesem Projekt sehr gut raus und ich erhoffe mir, dass das auch die Leute, die sich das angeschaut haben, so empfinden.
Sie sind nominiert in der Kategorie „Information“. Inwiefern eignet sich das Format, das Sie gewählt haben, zur Vermittlung von Informationen?
Wir sehen es ein bisschen als Service-Angebot. Wissensvermittlung und Informationsweitergabe, und das ist Teil unseres öffentlich-rechtlichen Auftrags, gehören mit dazu. Insofern passt es genau in diese Kategorie. Und dieses Angebot ist nur ein Teil des Ganzen, was der WDR zur Wahl angeboten hat. Der macht natürlich in seinen linearen Programmen ganz viel. Und im Internet veröffentlichen wir auch nicht nur diesen Kandidatencheck, sondern auch noch andere Informationen über die Wahl. Dieses Teilangebot, so nenne ich es mal, kann in seiner Form sehr unkompliziert Wissen und Informationen vermitteln und das macht es so attraktiv.
Inwiefern gehen Sie mit Ihrem Projekt an die Thematik von Demokratie im digitalen Zeitalter ran?
Man kann so ein Format ja nur im Netz machen. Zum einen kann man es sich dann angucken, wann man will, man kann auswählen, wen man will, wie viel man will und wo man will. Und man kann sich darüber hinaus natürlich noch sehr viele weitere Informationen beschaffen. Wir haben auf den Kandidatenseiten weiterführende Links zu den jeweiligen Blogs, zu Webseiten oder auch zu den Social Media Kanälen aufgelistet, weil die Kandidaten dort natürlich auch über ihre Themen und ihre Politik berichten. Und auch, weil man da die Leute so ein bisschen als Mensch wahrnehmen kann. Das war uns sehr wichtig. Es gibt zusätzlich noch einen Link zu den jeweiligen Seiten der Kandidaten auf Abgeordnetenwatch, wo man den Politikern noch Fragen stellen kann – im direkten Austausch. Das heißt, wir nutzen im vollen Umfang, was im Digitalen geht.
Können Sie sich vorstellen, solch ein Projekt nochmal bei künftigen Wahlen anzugehen?
Auf jeden Fall, ja. Es ist aber wirklich ein großer Aufwand und wenn man jetzt mal die Bundestagswahl nehmen würde im September, muss man das natürlich aufs große Ganze erweitern, nämlich auf die ARD. Ich finde es aber zum Beispiel auch auf kommunaler Ebene total spannend. Und ich finde, es ist ein zutiefst öffentlich-rechtliches Angebot und das können wir leisten, das haben wir mit diesem Projekt gesehen und wir kriegen durch viele Rückmeldungen gesagt, dass das auch etwas ist, was die Nutzer da draußen gut finden.
Das Interview wurde geführt von Fedora Hartmann und Frederik Peters.
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Die Interviews mit den Nominierten und die Videos sind im Rahmen eines Medienpraxis-Seminars an der Universität zu Köln entstanden
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