Shore, Stein und jede Menge Preise

Grimme-Direktorin Dr. Frauke Gerlach im Interview mit Moderatorin Sandra Rieß. Bild: Becker / Grimme Institut

Von Steffen Grimberg

Jetzt ist schon wieder was passiert. Der Grimme Online Award ist auch schon wieder 15. Und die Grenzen werden fließender, sagte Grimme-Direktorin Dr. Frauke Gerlach, während die NRW-Medienministerin Dr. Angelica Schwall-Düren erklärt:  „Seit dem ersten Preis 2001 erlebt der Grimme Online Award eine Explosion der Ausdrucksformen, heute rückt die Interaktivität immer stärker in den Fokus“, sagte Schwall-Düren in ihrer Begrüßung vor den Gästen im Kölner DockOne. Und: „Ein Ende der Möglichkeiten ist nicht längst nicht erreicht“. Der Grimme Online Award stehe dabei nicht nur für weltbewegende Themen, sondern auch für kleine Anliegen, „der Award lebt Diversity“.

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(v.l.n.r.) Moderatorin Sandra Rieß, Stefanie Golla und Lorenz Maroldt (beide Tagesspiegel), Foto: Grimme-Institut/Jens Becker

Und das zeigten auch in diesem Jahr wieder die ausgezeichneten Beiträge. In der Kategorie Information offenbarte sich Preispate Tobias Schlegl als „politischer Nachrichtenjunkie“, der mit einem Augenzwinkern bekannte, natürlich via Social Media auch „mitpöbeln“ zu wollen. Ausgezeichnet wurden das Hauptstadt-Newsletter „Checkpoint“ von Tagesspiegel-Ko-Chefredakteur Lorenz Maroldt, der als „Herr der Augenringe“ nur noch wenig Schlaf findet und jeden Morgen erst um fünf Uhr früh Redaktionsschluss hat.

Bei der Recherche „MH17 -Suche nach der Wahrheit“ der gemeinnützigen Rechercheplattform „Correctiv“ überzeugte die Jury die „herausragende Verbindung digitaler Erzählmethoden mit klassischen journalistischen Fähigkeiten“. Und Marcus Bensmann erklärte, stellvertretend für das von der Brost-Siftung geförderte Recherche-Kollektiv: „Bei der Umsetzung haben alle mitgemacht und Raum geschaffen, den man so nicht kennt“.

Den lautesten Jubel gab es für das hyperlokale Blog „neuköllner.net„, das als unkonventionelles Stadtmagazin mit viel ehrenamtlich-journalistischem Engagement mit Klischees über den Berliner Bezirk aufräumt. Und dass schon die Nominierung für den Grimme Online Award zu feiern wusste. „Ich möchte nicht wissen, welche Party Neukölln jetzt bevorsteht“, fragte sich Laudator Schlegel. Das passende Versprechen der Macher: „Wir machen das einfach noch geiler“.

In der Kategorie Wissen und Bildung hatte Preispate Kai Wiesinger nur eine Auszeichnung im Gepäck: „Das Netz ist unglaublich und birgt riesengroße Gefahren – aber auch ganz andere Direktheit. Man kann sagen, was man glaubt , was richtig ist“, so Wiesinger, der gerade mit der Webserie „Der Lack ist ab“ ganz eigene Weberfahrungen sammelt.

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(v.n.l.r.): Michael Grotenhoff und Lena Thiele von „netwars / out of CTRL“ nehmen den Preis von Kai Wiesinger entgegen, Foto: Grimme-Institut/Jens Becker

Der einzige Grimme Online Award in der Kategorie Wissen und Bildung ging dann konsequenterweise an die „Netwars/Out of control“, die den Nutzern die Verletzlichkeit der eigenen digitalen Existenz vor Augen führt. „Eindrucksvoll sensibilisiert Netwars für essentielle Themen des Internet-Zeitalters, liefert dabei aber auch Hilfe zur digitalen Selbsthilfe“, heißt es dazu von der Jury. Und die Macher bekannten: „Man kann sich im Netz nicht 100% sicher bewegen. Aber im Alltagsleben kann man auch kleinere Dinge tun, um nicht digital ohnmächtig zu sein“.

Insgesamt acht Preise kann die unabhängige Jury des Grimme Online Award verleihen, aber frei über die Kategorien verteilen – weshalb auch die Kategorie Spezial in diesem Jahr leer ausging. Dafür gab es in der von Schauspielerin ChrisTine Urspruch und TV-Erklärphysiker Vince Ebert präsentierten Kategorie Kultur und Unterhaltung gleich vier Preisträger.

Zunächst wurde hier noch der Impressionismus geboren – im Digitorial. Natürlich ersetze das Netzprogramm zur Monet-Ausstellung im Frankfurter Städel-Museum keinen Besuch der Ausstellung, sei aber ziemlich dicht dran. „Im Plauderton, doch ohne zu unterfordern“, so Ebert, präsentiere das Dititorial „Monet und die Geburt des Impressionismus“ Kunst mit Spaß und ohne intellektuelle Höhen. „Das ist von Freaks von heute entwickelt, um den Freaks von vor 150 Jahren eine neue Plattform zu geben“.

Mit „Hyperbole TV“ wurde dann eine Lehrredaktion der besonderen Art ausgezeichnet. Das Projekt der Leuphana Universität Lüneburg hat nicht weniger als eine „netzbasierte mediale Grundversorgung“ zum Ziel. „Wir machen, was die Öffentlich-Rechtlichen zum Teil nicht wollen, können oder dürfen“, bekannten die Macher. Wenn sich da ein Gregor Gysi den schrägen Kommentaren stellt, ist das dem Team aber nicht genug – ihr Lieblingskandidat wäre CSU-Mann Alexander Dobrindt.

Ebenfalls preiswürdig befand die Jury das Webspecial „Mamour, mon Amour“. Die in mehrfacher Hinsicht schwarzweiße Liebesgeschichte über die Heirat einer Schweizerin mit einem „Sans Papiers“ – einem Menschen ohne offizielle Papiere. Für Preispatin ChrisTine Urspruch ein „zarter Geniestreich – ich bekam Gänsehaut“. Und aus dem Publikum kam ein kleiner glücklicher Schrei.

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Moderatorin Sandra Rieß interviewt Kay Meseberg (ARTE). Foto: Grimme-Institut/Jens Becker

Mit der Arte-Produktion „Polar Sea 360°“ hatte Vince Ebert dafür einen Heimsieg: In der mit spektakulären 3-D-Animationen arbeitetenden Webdoku geht es schließlich um die Arktis und den Klimawandel. Nicht wertend und ohne alarmistischen Ton präsentiert „Polar Sea 360°“ eine etwas andere Perspektive auf das Thema – und lässt die Möglichkeit, dass in der Arktis wieder Wälder wachsen, plötzlich nicht mehr so unvorstellbar erscheinen.

Der Klicksafe-Preis für Sicherheit im Internet geht 2015 an die interaktive Theaterstücke der Gruppe Playback, „Gefällt mir“ und „Log in“, die sich mit Cybermobbing und Sexting beschäftigen.

Den „Puuuublikumspreis“ beim Grimme Online Award 2015, über den die Netz-Community wie in den Vorjahren via TV-Spielfilm-Website abstimmen konnte, schmückte Leslie Clio mit der, wie sie bekannte, „ersten Laudatio meines Lebens“ . Die war zwar nicht gesungen, wie der Rest ihrer Auftritte. Aber sie kam mindestens genau so gut an. Der drittplatzierte „Checkpoint“ konnte sich so gleich noch ein zweites Mal freuen. Auf Platz zwei landete die WDR-Webreportage über den Münsteraner Straßenmusiker „Onkel Willi“ alias Klaus Reinhardt. Der Spitzenreiter aber war „Shore, Stein, Papier„, das ungeschminkte Erzählprojekt des Ex-Junkies Sick. Inhaltlich dreht es sich um Drogen, Entzug und Knast. Mehr als 330 Folgen sind bislang online.

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(v.l.n.r.): Tobi Schlegl, Jurymitglied Nadia Zaboura und Friedrich Hagedorn (Grimme-Institut, hier noch im Publikum sitzend), Foto: Grimme-Institut/Jens Becker

Doch neben all den Preisträgern wurde an dem Abend noch jemand gefeiert: Friedrich Hagedorn. Der Grimme-Referent hatte 2001 den Grimme Online Award aus der Taufe gehoben, nun verabschiedet er sich mit einer fulminanten 15. Preisverleihung in den Ruhestand. Rund 20.000 Vorschläge waren in diesen 15 Jahren zu sichten. Über 100 Preisträger konnten sich bislang über ihre Auszeichnung freuen, die belohnt, dass ihre Angebote Orientierung bieten im immer größer werdenden Angebot des Netzes. Was mit Sender-Websites begann, so Hagedorn, habe heute längst seine eigenen Formen gefunden – „und bleibt immer in der Weiterentwicklung“. Der Grimme Online Award habe „schon Webvideos ausgezeichnet, bevor Youtube so richtig durchgestartet ist“, sagte Hagedorn – und müsse sich um seine Zukunft keine Sorgen machen: „Der Grimme Online Award hat innere Kraft und große Anerkennung“.

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