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Wissenschaft digital erleben und verstehen

Screenshot „Substanz“

In der gegenwärtigen rasanten Medienwelt unterliegen komplexe Sachverhalte meist dem Korsett einer kurzen Informationsvermittlung und haben häufig nicht genug Raum zur Entfaltung. Das Wissenschaftsmagazin „Substanz“ setzt hier an und möchte Inhalte anders präsentieren: Wissenschaftliche Themen detailliert und verständlich, aber dennoch präzise übermitteln – dies ist das Anliegen von „Substanz“. Wichtige Themen, die dem Leser im Gedächtnis bleiben sollen, werden ausführlich erzählt und mit Hilfe von Videos, Fotos und Zeichnungen aufbereitet. „Substanz“ stellt Qualität vor Quantität und ist mit diesem Angebot für den Grimme Online Award in der Kategorie Information nominiert. Im Interview erläutert Georg Dahm, Gründer und Chefredakteur, die Gründung des Magazins und die spezifischen Herausforderungen eines Digitalmagazins im Vergleich zu einem Printmagazin.

Wie entstand das Projekt „Substanz“?

Eigentlich haben wir „Substanz“ aus Trotz gegründet. Denis und ich haben innerhalb von fünf Monaten zwei Redaktionspleiten durchgemacht, erst im Dezember 2012 bei der Financial Times Deutschland, dann im April 2013 beim Wissenschaftsmagazin New Scientist. Nach dem Doppelschlag haben wir uns gesagt: Kein Bock mehr auf Verlage, wir machen das jetzt selbst – es muss doch auch im Internet-Zeitalter ein Geschäftsmodell für Qualitätsjournalismus geben! Also haben wir uns gefragt: Wie kann ein Digitalmagazin aussehen, für das die Leser gerne bezahlen? Und für das Autoren, Fotografen, Designer und Programmierer gerne arbeiten? Wir haben im Digitalen so tolle Möglichkeiten, und wir wollen ausprobieren, wie wir damit gute Geschichten noch besser machen können. Das Ergebnis war „Substanz“, ein Wissenschaftsmagazin. Weil wir finden, dass gerade Wissenschaftsthemen einen neuen Zugang vertragen könnten – vor allem einen weniger staatstragenden, wir wollten auch mal ein bisschen durchdrehen. Man kann über Wissenschaft ganz anders – und trotzdem seriös – erzählen, wenn man sich mal ein bisschen locker macht.

Screenshot "Substanz"

Screenshot „Substanz“

Wie schwer ist der Spagat, komplexe Sachverhalte für jedermann begreifbar zu machen, dennoch nicht zu sehr von wissenschaftlichen Schreibweisen und Begriffen abzuweichen?

Der ist bei einem digitalen Magazin tatsächlich weniger schwer als bei einem gedruckten. Prinzipiell ist die handwerkliche Herausforderung erst mal dieselbe: Ich muss mich erst in eine komplizierte Materie einarbeiten und die dann herunterbrechen in eine verständliche und trotzdem präzise Sprache. Darum investieren wir auch so viel Zeit in die Textarbeit.
Aber im Print bekomme ich dann vielleicht vom Layouter noch ein bisschen Platz für einen Infokasten oder eine Grafik, in der ich noch ein paar Details unterbringen kann – oder auch nicht. Im Digitalen bin ich viel freier: Ich kann Videos und Animationen einbinden; ich kann vertiefende Informationen genau an der Stelle bereitstellen, wo der Leser sie brauchen könnte.
Ein Beispiel: Wir können in sehr allgemein verständlichen Sätzen über eine wissenschaftliche Studie schreiben – und wer die volle Packung will, der lässt sich dann genau da den Abstract einblenden mit allen Informationen zu Studienaufbau, Methoden und Ergebnissen. Oder ich kann vertiefende Exkurse in den Text einbauen, die sich der Leser einblenden kann, wenn er so tief einsteigen will.

Georg Dahm von "Substanz"; Foto: Grimme-Institut / Jens Becker

Georg Dahm von „Substanz“; Foto: Grimme-Institut / Jens Becker

Bringen Sie uns bitte kurz Ihre Arbeitsweise etwas näher. Wie sieht Ihre tägliche Arbeit aus?

Uff, da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Denis und ich haben so viele Hüte auf: Chefredakteure, Geschäftsführer, Vertriebler, Technikfuzzies, Wasserträger. Wir sind ja die einzigen Angestellten unseres Verlags-Startups, alle anderen sind Freie, mit denen wir zum Teil nur per Telefon oder Skype zu tun haben, zum Beispiel in den wöchentlichen Themen- und Layout-Konferenzen, wo wir über den Zuschnitt und die Aufmachung unserer Geschichten diskutieren.

Wir versuchen ja immer, Wissenschaft zu erklären anhand der Menschen, die sie betreiben. Wenn mir jemand erklären kann, was er an seiner Forschung so spannend findet, dass er ihr Jahre seines Lebens widmet, dann interessieren mich auch die Details. Darum sind uns die Ortstermine auch so wichtig. Überhaupt betreiben wir sehr viel Aufwand. Das fängt schon mit den Briefing-Gesprächen an, die wir mit den Autoren führen, dazu kommen die Foto- und Grafikproduktionen, die Programmierung, dann die Redigatur, die Schlussredaktion . . . – das ist eine Menge Holz. Wir versuchen dabei, den ganzen Prozess für alle Beteiligten transparent zu machen, indem wir alle Informationen, alle Kommunikation über einen Projektserver laufen lassen, auf den alle Zugriff haben.

Was bedeutet die Nominierung für den Grimme Online Award für Sie?

Eine ganz wichtige Bestätigung. Wir stecken seit fast zwei Jahren kopfüber in diesem Projekt, da wirst du zwangsläufig auch mal irre an dir selbst und denkst: Alter, was machen wir hier eigentlich? Das ist doch Wahnsinn! Und dann kommt da die Grimme-Auswahlkommission und sagt: „Nee, ist schon ganz gut, was ihr da macht.“ Das beruhigt.

Wie könnte sich ein Gewinn des Grimme Online Award positiv für das Projekt „Substanz“ auswirken? Was erhoffen Sie sich auch in Hinblick auf potenzielle neue Projekte?

Der Grimme Online Award wäre ein enormer Rückenwind für uns; der würde Substanz noch mal viel sichtbarer machen und uns neue Türen öffnen, was mögliche Kooperationen und Partnerschaften angeht. Und wir denken ja auch weiter: Mit der Technik und der Kompetenz, die wir uns aufgebaut haben, können wir noch ganz andere Magazine aufbauen. An Ideen ist da draußen ja kein Mangel.

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