Bewegte Bilder im Wettbewerb: Webvideo auch 2015 trendy?
2014 haben sie Spuren hinterlassen und in diesem dürfte sich das auch nicht ändern: „Neben dem Storytelling sind Video-Formate als Megatrend im Auswahlverfahren deutlich spürbar“, diagnostizierte die Jury des Grimme Online Award im vergangenen Jahr. Warum sich vermuten lässt, das erneut „Video-Formate als Megatrend im Auswahlverfahren“ hervor stechen? Anzahl und Qualität! Dabei finden sich unter den Einreichungen zahlreiche etablierte Anbieter, aber auch viele weniger profilierte. Insbesondere informationsorientierte Formate sind stark vertreten, geht es beim Grimme Online Award doch um publizistisch hochwertige Angebote in deutscher Sprache. Aber auch anderes ist dabei – bis hin zur Ethno-Comedy.
TV online
Zu den etablierten Anbietern gehört sicherlich probono. Klingelt es bei dem Namen? Richtig, die Macher von ZAK und Tagesschaum haben einen eigenen YouTube Kanal eröffnet und zeigen einmal wöchentlich mit dem „probono Magazin“, wie News-Sendungen auf YouTube auch aussehen können – anders als LeNews, kommt einem beim Hineinschauen in den Sinn. LeNews ist das Nachrichtenformat des letztjährigen Publikumspreisträgers LeFloid, einem reichweitenstarken YouTuber und veritablen Branchenstar. Sein Newsformat markiert bis dato vielleicht so etwas wie den Maßstab. Das „probono Magazin“ sieht demgegenüber eher aus wie Web TV, der professionelle Background ist spürbar und schlägt sich in der Optik nieder: Keine Wackler, keine allzu schnellen Schnitte, keine Jumpcuts, kaum jugendaffine Sprache, bei vielfach jungen Präsentatoren, und sicher seriös recherchierte Inhalte. Die Interaktion mit dem Zuschauer – hier: der Community – gelingt webspezifisch engagiert. Ein Marktforschungsinstitut hat heraus gefunden, dass mehr als die Hälfte der YouTube-Nutzer 35 Jahre und älter ist – eine Zielgruppe, die mit dem „probono Magazin“ adressiert werden will? Rund 1.700 Abonnenten werden regelmäßig erreicht, die Aufrufe schwanken stark zwischen 250 und 1.500.
Zu den etablierten Anbietern gehört sicherlich der WDR, der Anfang des Jahres mit einem eigenen YouTube-Kanal an den Start gegangen ist und an dieser Stelle mit #3sechzich öffentlich-rechtliche Nachrichten „mit Haltung“ präsentiert – montags bis freitags, immer um sechs. Mit diesem Experiment in bewegten Bildern sollen „junge Leute“ angesprochen werden, welche die Nachrichten auch präsentieren – einige von Ihnen kommen von der jungen Radio-Welle 1Live und Ü30 dürfte niemand sein. Die Sprache ist entsprechend: „Shit“ heißt es schonmal, in der Lokalzeit hat man das wohl noch nie gehört, dem allabendlichen lokalen Nachrichtenformat im WDR Fernsehen. Auch bei #3sechzich gibt es keine Wackler und man darf auf seriös recherchierte Inhalte vertrauen. Die Interaktion mit der Community stimmt, aber ob dieser Versuch ein Erfolg wird? Die Kritik aus der Zielgruppe war schon heftig, die Aufmachung erinnert stark an die seriöse Sender-Herkunft, selbst wenn sich der Fernsehchef des WDR – Jörg Schönenborn – für das Format schon mal selbst ordentlich auf die Schippe nimmt: „Wie heißt das, YouTube?“ fragt er im Trailer und gibt sich gleich die Antwort: „Na ja, so belanglos können wir es natürlich nicht machen!“ Diese Ambition wird umgesetzt, das Ergebnis… sollen die Jurys beurteilen. Aktuell werden rund 2.500 erreicht, die Aufrufe schwanken auch hier stark.
Puppenspiele
KRÄNK will „die schnellste Nachrichtensendung der Welt!“ sein, so die Selbstbeschreibung, dabei „parteiisch, selbstverliebt, sexy und gnadenlos ehrlich – einschalten auf eigene Gefahr!“. „Die schnellste Nachrichtensendung der Welt“ scheint für Menschen nicht machbar zu sein, denn eingesprochen wird sie von Puppen. Licht und Ton sitzen, die Webvideos sind professionell produziert. Verbal geht es dabei rustikal zur Sache oder ist das einfach „gnadenlos ehrlich“? Kostprobe: „Die Deutschen trinken im Durchschnitt 107 Liter Bier im Jahr – diese Zahl ist seit 2011 erstmalig gestiegen. Logisch. Man muss sich die ganze Scheiße ja irgendwie schön saufen“. Dahinter steckt die Kölner Videovalis GmbH. „Super Format weiter so DAUMEN HOCH!“ lautet der einzige Eintrag in der YouTube Rubrik Diskussion – und der ist schon ein Jahr alt. Kommentiert wird ebenfalls wenig, die meisten Kommentare stammen von einem User. Die Abos liegen im dreistelligen Bereich, die Aufrufe einzelner Videos im zweistelligen.
Noch weniger geklickt und kommentiert werden die PEGIDAS (Zentralrat der Fliesentischbesitzer), die ebenfalls mit Puppen agieren – mit Marionetten, um genau zu sein. Der Comedy-Kanal setzt sich satirisch mit dem deutschen Rechtspopulismus auseinander und den teils kuriosen Kommentaren, die seine Anhänger in sozialen Online-Netzwerken hinterlassen. Gnadenlos sächselnd werden diese „Perlen des Internetz“ performt, immer wieder von eingespielten Lachern unterlegt, wie in der TV-Comedy verbreitet. Rund zwei Dutzend Folgen sind derzeit verfügbar. Ein Kanal mit Zukunft? Oder hat sich dieser mit dem Abflauen des PEGIDA Phänomens möglicherweise erledigt? Unklar ist auch: Wer steckt hinter den vermeintlichen Schöpfern serienaffe.de? Hier regiert der Selbstverweis.
Politische Bildung und Genderthematik
Deutlich ernsthafter ist der Kanal poliWHAT?! unterwegs, der im Rahmen des Projektes „Mitwirkung mit Wirkung“ entstanden ist, auch wenn er im Ton locker daher kommt. poliWHAT?! wird gemeinsam vom Landesjugendring Brandenburg und der edeos- digital education betrieben. Es will junge Menschen für Politik und Partizipation begeistern, so das erklärte Ziel. Im Eingangsvideo erklärt der jugendliche Moderator: „Das Ganze läuft folgendermaßen ab: Ich quatsche Euch ein bisschen voll und in der Animation werden Euch ein paar Hintergründe erklärt. Wenn Ihr Bock auf so etwas habt, seid Ihr hier genau richtig.“ Das wichtigste ist den Machern immer die Diskussion unter den Videos, heißt es weiterhin. Aha! Untypisch für Webvideos findet diese dann vielfach in ganzen Sätzen statt. Ist hier die Zielgruppe aktiv? Rund 1000 Abonnenten haben aktuell „Bock darauf“, die einzelnen Aufrufe schwanken zwischen dem drei- und dem vierstelligen Bereich.
HYPERBOLE TV ist ein Teil des Forschungsprojekts „Grundversorgung 2.0 – Internet-TV für die neue Mediengeneration“ im Innovations-Inkubator an der Leuphana Universtität Lüneburg, gefördert durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und das Land Niedersachsen – in Kooperation mit der Lifestyle-Agentur Styleheads. Was sich sperrig liest, kommt durchaus locker daher, denn es geht um Übertreibungen. „Nein, wirklich. Eine Hyperbel ist die literarische Form der Übertreibung, um einen Sachverhalt zu verdeutlichen. Wir wollen politische Themen so interessant erzählen, dass ihr Lust habt, sie euch anzusehen“, so die Macher. In der Reihe HEADLINES // RAP & ISLAMismus spricht die Hyperbole-Reporterin Vanessa Schneider bspw. mit jungen Rap-Fans über den Zusammenhang von Rap und Religion, in der Reihe DIE INNERE FRONT erzählen deutsche Soldaten über die Teilnahme an Kampfeinsätzen, in DISSLIKE lesen mehr oder weniger prominente Zeitgenossen Social-Media-Kommentare vor und kommentieren diese ihrerseits. Aber das ist nur eine Auswahl der verfügbaren Formate, die immer professionell produziert sind und inhaltlich ein breite Spannbreite aufweisen – Beleg für ein breites Politikverständnis. Rund 48.000 Tausend Abonnenten wollen sich das regelmäßig ansehen, so unterschiedlich wie die einzelnen Reihen innerhalb des Kanals sind dann aber auch die Aufrufe der einzelnen Webvideos bzw. der Zuspruch zu den unterschiedlichen Reihen. Gerade prominente Protagonisten sorgen für enorme Zahlen – bis in den hohen sechsstelligen Bereich: Ein Webvideo mit Farid Bang in der Reihe DISSLIKE kommt auf über 800.000 Aufrufe, eins mit Jan Böhmermann auf über 480.000. Einerseits scheint für jeden etwas auf HYPERBOLE TV dabei zu sein, andererseits stellt sich die Frage nach dem inhaltlichen Profil.
Tariks Genderkrise ist eine videobasierte Meinungskolumne, die mit Witz und Ironie das herrschende Geschlechterverhältnis auf den Kopf stellen will. Tarik ist ein schwuler, dunkelhäutiger, junger Mann ohne bürgerliches Leben, so die Selbstbeschreibung. Dabei setzt sich Tarik nicht nur mit seinen eigenen Krisen auseinander. Er beantwortet auch Fragen der Community, sucht Antworten auf der Straße und ermittelt den „Gender-Deppen“ des Monats. Kommentare werden aufgegriffen und in neuen Folgen abgearbeitet. Allzu viele gibt es noch nicht, aber dafür gut 300 Abonnenten. Die Aufrufe einzelner Folgen sind teilweise vier Mal so hoch. Zwar mangelt es also noch an Zuspruch, aber man ist auf den Namensgeber Tarik Tesfu bereits aufmerksam geworden: Der 29-Jährige Wahlkölner gehört zu den elf Talenten, den die Macher des deutschen Webvideopreises und die Film- und Medienstiftung NRW gezielt aufbauen.
Ethno-Comedy und Ex-Junkie
„Bam, Bam auf die Fresse“ singt Idil Baydar, die zu Beginn jeder Folge ihrer Webvideoreihe, während sie ein zu kleines Klapprad durch das Bild schiebt. Sie ist in ihrer Rolle als junge, aufsässige Deutschtürkin „Jilet Ayse“ zu einem Kultstar im Netz geworden, ob sie beim Grimme Online Award eben diesen verteidigen kann? „Jilet Ayse“ gibt für die adressierte Community das grell geschminkte Proll-Mädchen mit Migrationshintergrund. Texte werden gerne in Großbuchstaben verfaßt, der Ton der Videos ist rustikal und nie leise, die Kommentare sind entsprechend. „Jilet Ayse“ hat fast 30.000 Abonnenten, einzelne Folgen erreichen schon mal die dreifache Abrufzahl. Die Ethno-Comedy kommt an.
Das gilt auch für den Kanal des Ex-Junkies $ick. Deutlich weniger laut erzählt er in der YouTube-Serie „Shore, Stein, Papier“ seine Sucht-Geschichte, Station für Station. Er spricht über Drogenkonsum und –szene, Beschaffungskriminalität und auch mal über seine Tätowierungen. Im Fernseh-Deutsch würde man vielleicht von einem Erzählformat sprechen, denn was passiert, passiert ausschließlich in den Schilderungen des Ex-Junkies, auf den die Kamera mehr oder weniger starr gerichtet ist. $icks Ton bleibt dabei ruhig, eher unaufgeregt und stets nüchtern. Ende 2012 ging die erste Folge online, seitdem sind über 300 Videos entstanden, die mal als Lebensbeichte daher kommen, mal der Community-Interaktion dienen – jenseits der viel genutzten Kommentarfelder. Viele Folgen wurden zehntausende Male angeklickt, die erste sogar über 300.000 Mal. Die Rückmeldungen sind fast ausschließlich positiv.
Einordnung
Im Webvideobereich sind eigene Formate oder auch Genres entstanden und entstehen (siehe hierzu ausführlicher: „Da ist Musik drin: Bilder in Bewegung“). In den diesjährigen Einreichungen sind diese eher nicht vertreten, zumindest nicht in typischen Beispielenen, selbst wenn die Einreichungen eine breite Vielfalt abdecken, mal informativ, mal „bildend“ und streckenweise recht unterhaltsam – die angeführten Beispiele sollten dies unter Beweis gestellt haben. Gerade bei den Produktionen etablierter Anbieter scheint die TV-Herkunft jedoch vielfach durch, bei anderen die pädagogische Zielsetzung, was einem Wettbewerbserfolg eher im Wege stehen dürfte. Dies lassen zumindest die Juryentscheidungen aus den vergangenen Jahren vermuten. Auch die eingereichten Comedy-Formate sind eher YouTube untypisch, sieht man einmal von „Jilet Ayse“ ab, die allerdings auch schon den einen oder anderen TV-Auftritt hinter sich hat. Die eher YouTube untypischen Einreichungen verfügen dann auch nicht über die enormen Reichweiten des Publikumspreisträgers aus dem Vorjahr: LeFloid.
Über die publizistische Qualität sagt das aber noch nichts aus. Wir dürfen also gespannt sein, welchen Raum Webvideo im diesjährigen Wettbewerb einnimmt – und wer als Nominierter bzw. am Ende als Preisträger die Nase vielleicht vorn hat.
Trackbacks & Pingbacks
[…] […]
[…] Blog-Artikel “Bewegte Bilder im Wettbewerb: Webvideo” werden neue Webvideos vorgestellt, die für den Grimme Online-Award eingereicht worden sind, […]
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!