Geschichte besser erzählt
Zum 100. Mal jährte sich im vergangenen Jahr der Beginn des Ersten Weltkriegs im Sommer 1914. Fast zwangsläufig erreicht uns beim Grimme Online Award auch eine Fülle von Angeboten zu diesem Thema – so viele, wie wohl noch nie zu einem einzigen Thema zuvor. Große Anbieter, aber auch Privatpersonen schöpfen aus einem Fundus von Augenzeugenberichten und Fotos, Briefen, Feldpostkarten und sogar Filmmaterial. Wie diese dann aufbereitet werden, ist jedoch sehr unterschiedlich – eines scheint jedoch nahe zu liegen: Das Geschehen von vor 100 Jahren chronologisch nachzuempfinden.
Weihnachten ist alles vorbei!
Einem der wenigen positiven Ereignisse des Ersten Weltkriegs widmet sich „Bild am Sonntag“: Dem Weihnachtsfrieden von 1914. Bis Weihnachten sei der Krieg längst zu Ende, wurde den Soldaten gesagt, als sie im Sommer 1914 an die Front zogen. War er natürlich nicht. So kam es an der Westfront zu einem denkwürdigen Ereignis: Am 24. Dezember 1914 schlossen hauptsächlich deutsche und britische Soldaten eigenmächtig einen Waffenstillstand, sie sangen, tranken und rauchten gemeinsam, nur um in den darauf folgenden Tagen wieder aufeinander zu schießen. Die Quellenlage zu diesem Ereignis ist dünn, die „Bild am Sonntag“ hat trotzdem Fotos, Texte, Audios und Videos zusammengetragen, die es umfassend dokumentieren und sie in ein Panoramabild eingebaut. Warum allerdings das Hintergrundgeräusch der Seite auch dann weiterläuft, wenn man eigentlich einen Audiobeitrag hören möchte, bleibt ein Geheimnis der Macher.
Ebenso von der „Bild“ ist das Multimedia-Special „Im großen Krieg„, das sich aber hinter der Paywall verbirgt. Unglaublich umfangreich widmet es sich dem „Leben und Sterben des Leutnants Fritz Rümmelein“, versucht den Krieg über das persönliche Schicksal nahe zu bringen, ohne aber dabei die großen historischen Ereignisse zu vergessen, die als Hintergründe in der Chronologie passend in Bild und Ton zu den persönlichen Erlebnissen eingebunden werden. Dies sind die multimedialen Elemente des Multimedia-Specials, denn der Text über den Leutnant ist auch als Buch erschienen – was man dem langen Fließtext anmerkt. Er ist darauf angelegt, am Stück gelesen zu werden.
Zeitstrahl als Orientierung
Ein Zeitstrahl und eine interaktive Karte sind die zentralen Elemente von „Weltenbrand“ von der Datenredaktion der Neuen Zürcher Zeitung. Eine unglaubliche Fülle von Material verbirgt sich immer tiefer in den Daten – die der Nutzer selbst erschließen muss. Kleine Anekdote am Rande: Diese Seite ist der Grund, warum Redakteurin Sylke Gruhnwald nicht zur Preisverleihung 2014 kommen und den Grimme Online Award für „Du fliegst nur einmal“ entgegen nehmen konnte. Das Weltkriegs-Special ging nämlich genau am Tag nach der Preisverleihung online.
Komplett an einem Zeitstrahl orientiert sich das Special „Von Sarajevo bis Versailles“ der FAZ. Sehr lexikalisch werden hier kurze Einträge zu markanten Kriegsereignissen mit jeweils einem Foto aufgeführt.
Originaldokumente im Netz
Auch bei der „Europeana 1914-1918„, einem Bereich der virtuellen europäischen Bibliothek Europeana, muss sich der Nutzer das Material selbst erschließen. Wie meist bei Archiven sollte man wissen, was man sucht. Dann aber wird man hier reich belohnt: Zum Beispiel mit Faksimiles und Abschriften von Kriegstagebüchern, mit Fotos oder Ansichten von Feldpostkarten.
Mit Feldpostkarten arbeitet auch das Blog „Opas Krieg„: Ein Enkel schickt die Feldpostkarten des Großvaters genau 100 Jahre nach dem ursprünglichen Datum ins Internet. Für uns heute ist sicher besonders irritierend, wie sachlich und knapp die Karten gehalten sind. Da Franz Mack im Krieg zwar verwundet wurde, aber überlebt hat, sind wir gespannt auf viele weitere Karten in diesem Projekt.
Bereits abgeschlossen ist hingegen das Blog „Fürchten lernen„. Die Aufzeichnungen von Curt und Marie lehren wirklich das Fürchten, denn Curts Weltkriegserlebnisse dauern gerade mal bis zum Jahreswechsel 1914/15, dann ist er tot. Die Aufzeichnungen wurden hier unkommentiert eingestellt – und blogtypisch chronologisch erschlossen, was das Nachvollziehen ein bisschen schwierig macht.
1914 als zentrales Jahr
Das Webspecial „1914 – der Weg ins Verderben“ widmet sich dem ersten Kriegsjahr. Entlang einer Zeitleiste werden verschiedene Themen bearbeitet – hauptsächlich in Videos, die wohl aus der zugehörigen Fernsehdokumentation „Mit Jubel in die Hölle“ stammen. „100 Sekunden vor 100 Jahren“ des ZDF widmet sich ebenso dem ersten Kriegshalbjahr. In jeweils 100 Sekunden werden wichtige Nachrichten der damaligen Zeit mit historischen Filmaufnahmen und in Kurzform gesendet. Vielleicht ein bisschen zu kurz, um wirklich zu informieren. Aber auch kurzweilig.
Und noch ein Projekt, das sich dem Jahr 1914 widmet: @1914Tweets, ein spontan entstandenes Projekt von @baranek und @christiansoeder. Das sind die altbekannten historischen Tweets, die es schon zu einigen Ereignissen gab – mal besser, mal schlechter. Und vor allem: mal langweiliger, mal ansprechender. Wichtig ist bei den historischen Tweets immer, dass sie ausreichend Präsenz in der eigenen Timeline bekommen, damit man darauf aufmerksam wird. Es muss also häufig getwittert werden, die Tweets müssen für sich stehen und wenn dann noch andere Medien eingebunden werden, hat der Nutzer einen Anreiz, sich weiter über das Ereignis zu informieren. Mehr können historische Tweets wohl nicht leisten und @1914Tweets hat das geleistet – dabei haben sie diese Fleißarbeit ohne offiziellen Auftrag und ohne ganzes Historikerteam gemacht. Es soll 1918 eine Fortsetzung geben.
„Europa 1914-2014“ heißt ein Bereich der Kinderwebsite „Die bösen Wölfe„. Hier arbeiten Kinder und Jugendliche aus drei Ländern zusammen, um die Inhalte zu erstellen. Gerade der Bereich über 1914 ist aber auch für die jungen Nutzer interessant, die sich zum Beispiel selbst fragen können, was man wohl vor 100 Jahren gegessen hat, oder in Spielen herausfinden, welche Küchengegenstände es damals noch nicht gab und was die Leute stattdessen benutzt haben.
Fülle und Führung
Multinational ist auch das Projekt „14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs“ von Arte und Das Erste. Der Krieg wird hauptsächlich aus der Sicht von 14 Menschen aus unterschiedlichen Ländern geschildert. Auch hier findet sich wieder eine unglaubliche Materialfülle, in der man sich schnell verlieren kann. Wesentlich stärker geführt wird der Zuschauer im YouTube-Kanal „Der Erste Weltkrieg„, in dem Christoph Krachten (wie immer ohne Unterlass redend – und auf dem Weg zum Vollbart) den Nutzer 100 Jahre in die Vergangenheit katapultiert. Unterstützt von Landkarten und historischem Filmmaterial erklärt er die Ereignisse. In den Kommentaren können die Nutzer die jeweiligen Folgen diskutieren und Themenvorschläge machen.
Wer will, kann was lernen
Wer sein Wissen aus dem Geschichtsunterricht auffrischen will, kann im Netz also auf jeden Fall etwas zum Ersten Weltkrieg entdecken. Und die hier aufgezählten Angebote sind sicher noch nicht vollständig – selbst in unserer Vorschlagsliste finden sich noch mehr. Dann muss man nur noch entscheiden, ob man lieber geführt herangeht, oder stöbern möchte, ob man sich auf die politischen Ereignisse konzentriert oder Einzelschicksale nachzuempfinden versucht. Unterhaltsamer und besser aufbereitet als so manches Geschichtsbuch sind die Angebote allemal.
Disclaimer: Dieser Beitrag gibt nicht die Meinung der Nominierungskommission oder Jury wieder, sondern ausschließlich die der Autorin. Nominierungskommission und Jury sind unabhängig und können zu komplett anderen Urteilen kommen.
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