Elefantentreffen der YouTuber: VideoDays 2014
Wer in diesen Tagen kreischende Teenager am Rande des Nervenzusammenbruchs sehen will, kommt an Köln nicht vorbei, wo die gamescom und die diesjährigen VideoDays stattgefunden haben. War Bewegtbild beim diesjährigen Grimme Online Award als „Megatrend im Auswahlverfahren deutlich spürbar“, schreibt die Jury des Grimme Online Award 2014 in ihrem Statement, präsentiert es sich bei den VideoDays als jugendkulturelles Pop-Phänomen: Stundenlange Autogramm-Sessions, jubelnde Fans und zum Höhepunkt eine Show mit allen YouTube-Stars.
Wer glaubte, das eine Steigerung zum letzten Jahr mit über 10.000 Besuchern nicht mehr möglich wäre, wurde überrascht: Am Samstagabend gingen die gerade mal fünften VideoDays mit einer großen Live-Show und einem Besucherrekord zu Ende. 15.000 Besucher kamen von Freitag bis Samstag in die ausverkaufte Lanxess Arena nach Köln. Traf man sich 2010 noch im Rahmen der gamescom mit 400 Teilnehmern, waren es im Folgejahr schon fünf Mal so viel, während man sich heutzutage komplett von der Spielemesse emanzipiert hat. Geblieben ist lediglich eine zeitliche sowie eine lokale Nähe. Aus der Szene ist eine Branche geworden, resümierte Markus Hündgen (EVWA) unlängst, einer der Macher des deutschen Webvideopreises. Und diese Branche trifft hier die Fans, die in der Regel Zuschauer sind: Zwar ist Bewegtbild im Netz unter Heranwachsenden enorm populär, aber gerade mal jede(r) Zehnte (11 Prozent) hat in den letzten zwei Wochen Kommentare unter Videos gesetzt und nur vier Prozent eigene Videos hoch geladen (vgl. mpfs 2013, S. 35). „Broadcast yourself“, so das YouTube Motto, trifft also nur auf eine Minderheit zu, selbst wenn potentiell jedes einfache Handyvideo hoch geladen werden könnte. Zu beobachten ist stattdessen eine zunehmende Professionalisierung und Kommerzialisierung auf YouTube.
Drei Tage, viele Möglichkeiten
Ungewohnt bleibt die Mischung aus Qualifizierungsangeboten, Community-Event und Show bei den VideoDays: Bereits am Donnerstag waren zahlreiche Webvideo-Macher und Nutzer in Köln zusammengekommen, um an der VideoDays Academy teilzunehmen. Vor allem Macher gaben dort einen Tag ihr Fachwissen rund um die Produktion erfolgreicher Onlinevideos in Workshops weiter, darunter einige reichweitenstarke YouTuber wie die Beauty-Queen Daaruum, die Lochis, MrTrashpack, Manniac und Scene Take.
Ein Teilnehmer war der Bremer Medienpädagoge und Jugendinformant Markus Gerstmann: „Schon interessant, wer alles medienpädagogisch arbeitet, ohne Medienpädagoge zu sein. Aber ok, es geht hier nicht um klassische Bildung, sondern um Lernmöglichkeiten.“ Das Ziel ist Professionalisierung. Und die Wissbegierde der jungen Teilnehmerinnen war groß: „Das Auditorium hing förmlich an den Lippen der bekannten YouTuber und saugte Infos aus deren Privatleben auf, aber auch zu ‚ihrer‘ Schnittsoftware“, so Gerstmann weiter. Die YouTube-Pressesprecherin Mounira Latrache schulte das junge Publikum zu Public Relation und Media Management, eine weitere Mitarbeiterin erklärte „10 Fundamente einer kreativen Strategie auf YouTube“ und gab Hinweise für die Gestaltung guter Trailer. Hier wird praktisch fortgesetzt, was an anderer Stelle begann. „Mit diesem Konzept schaffen Mediakraft und YouTube neue ‚Elefanten‘ und sichern so den Bestand des Vetriebskanals“, kommentiert Gerstmann, aber er kann dem Netzwerk auch positive Aspekte abgewinnen: „Selbst wenn im Fall der ‚Academy‘ mehr oder weniger Profis am Werk sind und man vielleicht über deren Bildungsabsichten diskutieren kann und muss: Im Normalfall ist YouTube nicht nur der ‚Vertriebskanal‘ von Inhalten, hier bringen Jugendliche Jugendlichen bei, wie’s geht. Wir müssen das soziale Netzwerk als Plattform für ‚peer education‘ betrachten.“
Ohne Preise geht es nicht und ohne Selfie auch nicht
Und als sich am Freitagmorgen schließlich die Türen der Lanxess Arena öffneten, hatten Besucher die Möglichkeit, weitere bekannte YouTube-Stars zu treffen, Infostände der großen YouTube-Kanäle- und Netzwerke sowie einige – wenige – Aussteller zu besuchen. Höhepunkt(e) war(en) dann die Show(s) am Samstag, die via Livestream übertragen wurden (und online verfügbar sind). Natürlich kann man im Rahmen einer solchen Veranstaltung nicht auf Auszeichnungen verzichten, die allerdings konsequent auf Reichweiten setzen, sieht man von den wenig etablierten und scheinbar willkürlich verliehenen Play-Awards ab: Zahlreiche Tube-Kanäle verzeichnen mittlerweile mehr als eine Million Abonnenten und erhielten vor tausenden euphorisierten Zuschauern den „Golden Play Button“. Mit ihm ehrt YouTube weltweit diejenigen Videomacher, die über eine solchen Reichweite verfügen.
Vor dem Top-Act ließ sich Christoph Krachten, Betreiber des Kanals Clixoom und „Präsident“ von Mediakraft, dem „größten Online-TV-Sender in Mitteleuropa“ (Selbstbeschreibung), sowie Organisator der VideoDays nicht nehmen, noch einmal selbst auf die gestiegene Aufmerksamkeit hinzuweisen: 2013 hätten sich 80 Journalisten für die Veranstaltung interessiert, 2014 berichteten 170 davon. Die Video Days wären erfolgreicher als Fernsehsendungen wie „der Echo“ und „The Dome“, so die Benchmarks für Krachten. Die Video Days erreichten weltweit 50 Millionen Menschen. Wie er zu dieser Reichweite kommt, erklärte Krachten leider nicht. Schließlich kündigte er an: „In 2015 werden die VideoDays in Köln und zusätzlich in Berlin stattfinden.” Das ‚Unternehmen’ VideoDays expandiert.
Schließlich traten Y-Titty aus dem Hause Mediakraft als Top-Act auf, in diesem Jahr mal ohne Preis. Auch wenn das Trio momentan pausiert, wie der Kölner Stadt Anzeiger heraus gefunden haben will, konnten die Zuschauer hörbar jedes Wort ihrer Songs mitsingen. Kurios bis nervig, wie auch die Moderatoren beklagten, war im Ablauf allerdings die Beliebtheit von Selfies bei den Künstlern und teilweise auch beim Publikum. In den Applaus hinein musste nach jedem Auftritt ein Beweisfoto angefertigt werden, ganz so als ob die Youtuber „ihren Erfolg nicht fassen konnten. Für den Kanal ApeCrime sollten die Fans im Hintergrund mit gehobenem Mittelfinger posieren und Rapper Kollegah rief seine Zuschauer dazu auf, den Bizeps anzuspannen“, so der Kölner Stadt Anzeiger weiter.
Die Sache mit der Musik
Feststellen muss man allerdings: Eigentlich lässt sich das YouTuber-Phänomen in seiner Breite nur bedingt auf die Bühne bringen. Hier dominiert, wer Musikalisches zu bieten hat. Weder die Unboxing-Videos sind bühnenreif, in denen Produkte vor laufender Kamera ausgepackt und getestet werden, noch die Beauty-Kanäle, die Schminktipps und anderes mehr vermitteln (Eine kleine Genrekunde findet sich hier). Gleiches gilt für die zahlreichen Info-Kanäle. Auch die zahlreichen Comedy-Stars zeigten wenig Bühnenreifes: Sie präsentieren keine Stand-up-Comedy, wie man von Comediens üblicherweise erwartet, sondern etwa Beat-Boxing, wie im Falle von Alberto. Können sie überhaupt Gags vor Publikum performen?
Wobei viele YouTube- Comedy-Stars auch verstärkt auf Musik setzen, Gesangsunterricht nehmen und Songs produzieren. Schon länger wird gemutmaßt, dass immer weniger Gelder an die einzelnen Künstler ausgeschüttet werden, so dass man sich über diesen Kanal weitere Einkommensquellen erschließt und die missliche Sache mit der Bühnenperformance auch gleich kompensiert. Und das funktioniert dann eben mal besser und leider auch mal schlechter, denn eine ausverkaufte Arena will bespielt werden. Gut, dass die vielen Hip-Hop-Stücke den YouTubern häufig nur wenig Gesangstalent abverlangen.
Markus Gerstmann noch mal: „Für mich waren die VideoDays eine interessante Erfahrung – vor allem aus medienpädagogischer Perspektive. Denn über eins müssen wir uns im Klaren sein: Heranwachsende, finden ihre Vorbilder heutzutage im Netz. Film und Fernsehen haben größtenteils ausgedient.“ Mit Blick auf die zunehmende Professionalisierung und Kommerzialisierung lässt sich noch anfügen: Authentischer sind die neuen Stars aber deshalb nicht, selbst wenn die zur Branche avancierte Szene noch jung ist. Aber das ‚Unternehmen’ expandiert weiter.
War dieser Eklat dort denn geplant? Finde das hätte man auf jeden Fall doch auch raus schneiden sollen?
Sorry, aber welcher Eklat?