Goethes Faust und Finanzkrise im interaktiven Wechselspiel
Goethes „Faust II“ aus dem 19. Jahrhundert, ein aktuelles Werk zur Finanzkrise? Die Börsenredaktion der ARD stellte überraschende Analogien zur heutigen Wirtschaftskrise fest und bereitete diese nicht nur inhaltlich, sondern auch in der Navigation multimedial auf. Heraus kam das Webspecial „FAUST II_PUNKT_NULL“, in dem der Nutzer zwischen „Faust“ und Finanzthemen hin und her springen kann. Warum der Zwiespalt zwischen Feuilleton und Wirtschaftsteil gar nicht so groß ist, wie angenommen, erläutert Martin Brandt, der Design-Verantwortliche des nominierten Webspecials.
Was war der Anlass für die Konzeption Ihres Angebots?
Ausschlaggebendes beziehungsweise initierendes Moment bildete eine Ausstellung des Goethe-Hauses in Frankfurt. Diese trug den vielsagenden Titel „Goethe und Geld“. Goethe war nämlich nicht nur Dichter und Denker, sondern auch Staatsmann, bekleidete u.a. das Amt des Wirtschaftsministers. Besonders eines seiner berühmtesten Werke, „Faust II“, weist, wenn man etwas eingehender recherchiert, erstaunliche thematische Parallelen zur heutigen Finanzwelt auf. Die zentrale Geschichte dreht sich um Geld, die Papiergeldschöpfung, um genauer zu sein. So kam die Frage auf, ob der Hessische Rundfunk diesbezüglich nicht etwas im eigenen Programm beitragen könnte. In Kooperation mit der Redaktion von boerse.ARD.de entstand so das interaktive Webprojekt FAUST II_PUNKT_NULL.
Was und welche Zielgruppen wollen Sie mit Ihrem Angebot erreichen?
Prinzipiell machen wir da keinen Unterschied. Wir richten uns an Börsianer, Literaten und alle Interessierten. Unser Angebot ist sehr assoziativ. Wir wollten nicht zeigen, was in „Faust II“ en détail passiert, also die konkreten Abläufe und handelnden Personen darstellen, sondern die in der realen Finanzwelt und Literatur vorkommenden übergeordneten Thematiken wie Korruption, Gier, Spekulation und Konsum gegenüberstellen. In „Faust II“ spielen sehr reale Ereignisse eine Rolle. Im Gegensatz dazu weist die weltweite Finanzkrise, bei der mit unfassbaren Summen jongliert wird und Rating-Agenturen wild spekulieren, fast schon fiktionale Züge auf. Auf einem einfachen, sehr allgemeinen Level wollen wir diese teils schwierigen Sachverhalte – etwa wie erschafft man Geld, wo kommt es her, was stellt es mit den Leuten an, welchen Kreislauf durchlaufen 100 000 virtuelle Euro etc. – darstellen. Die Umsetzung mit einem Schauspieler, der z.T. in altertümlich-seltsamer Sprache spricht, mutet auch sehr assoziativ an. Dennoch bieten wir keine reine Übersetzung beziehungsweise Interpretation des alten Stoffs an. Vielmehr liegt uns daran, durch die Gegenüberstellung von literarisch-fiktionaler Welt und heutiger Finanzwelt die Aktualität von Goethes Meisterwerk zu verdeutlichen. Diesbezüglich suchen wir nach heutigen Entsprechungen für Themen, v.a. für Aspekte auf der menschlich-moralischen Ebene, die schon in „Faust II“ angeschnitten werden, und spielen geschickt damit. Wir bauen Kommentare und Erweiterungen ein. Global Player, Broker, große Wirtschaftsskandale beziehungsweise Kriminalfälle, Philanthropen usw. stellen wir in ihrem kulturellen Umfeld dar. Ebenso sieht der Nutzer, wie solche Ereignisse im Fernsehen und Kino umgesetzt und „gehypt“ werden. Insgesamt bietet unser Angebot also zusätzlich einen sehr guten Überblick über Finanzthemen und -krisen: klare, informative Texte und Bilder, aber eben weniger die biederen Erklärstücke.
Wie haben Sie reagiert, als Sie von der Nominierung erfuhren?
Da der Grimme Online Award eine bekannte Ausschreibung verkörpert, haben wir uns erst einmal riesig gefreut, überhaupt dafür nominiert zu sein. Burghard Schnödewind und ich hatten uns schon 2012 die Preisverleihung gemeinsam angeguckt. Beim Grimme Online Award kann man sehen, was eigentlich im Bereich Online-Publizistik passiert oder in der Szene gemacht wird, was, wie jüngst der Hashtag, innovativ ist usw. Ein weiter Bogen von Angeboten wird dort gespannt.
Was bedeutet die Nominierung für die zukünftige Entwicklung Ihres Angebots?
Die Nominierung gibt uns einen guten Schub nach vorn und bestärkt uns darin, solche speziellen Projekte weiter anzugehen. Wir sind ohnehin im Begriff, FAUST II_PUNKT_NULL beziehungsweise das Goethe-und-Geld-Format weiterzuentwickeln. Schulen und andere Bildungseinrichtungen haben uns bereits Anfragen geschickt. Sie interessieren sich besonders für den erklärenden Aspekt zur Finanzwelt und, wie man Goethe für die Jugend schmackhafter machen kann. Vorgespräche fanden teilweise statt, konkrete Pläne bestehen jedoch noch nicht. Die Form der Präsentation unseres Angebotes ist zwar abgeschlossen, aber die Inhalte werden wir weiterentwickeln, mit oder ohne Preis. Das Futter dafür geht uns gewiss nicht aus, die Ereignisse in der Finanzbranche hören ja nicht auf.
Burghard Schnödewind, Leiter von boerse.ARD.de und FAUST II_PUNKT_NULL, sieht in Goethes „Faust II“ keinen „veralteten Schinken“, sondern ein aufschlussreiches und immer noch aktuelles Werk zur heutigen Finanzkrise:
Weitere Statements der anderen Nominierten finden Sie hier
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