Die Welle schwappte unaufhaltsam los
Rainer Brüderle, Sexismusvorwürfe, Tausende von Tweets. Der Hashtag #aufschrei bündelte in kurzer Zeit zahllose Hinweise und Diskussionsbeiträge zum Thema Alltagssexismus. Aus dem Netz wanderte das Thema zurück in die etablierten Medien und in die Politik – eine Wirkung, die zuvor noch kein Hashtag in Deutschland hatte. Mitinitiatorin Jasna Strick über eine spontane Aktion, die sich zu einer gesellschaftlichen Debatte ausweitete:
Was war der Anlass für den Hashtag #aufschrei?
Das ist ein bisschen kompliziert. Wir drei Initiatoren des #aufschrei, d.h. Anne Wizorek, Nicole von Horst und ich, hatten alle drei bereits Erfahrungen mit Alltagssexismus im realen Leben gemacht. Doch wir kannten uns vor der Aktion nur über das Netz, nicht persönlich. Eigentlich kannten nur Nicole von Horst und ich uns über Twitter und sie und Anne Wizorek sich wiederum übers Hin- und Her-„Zwitschern“. Im Bezug zu #aufschrei hatte Nicole von Horst bereits einen Blogartikel über einen tragischen Bericht von Alltagssexismus nach einem Selbstmordversuch durch einen Klinikarzt gelesen. Ihr erster Tweet und damit der erste Aufschrei handelte von diesem Erlebnis. Konkrete Überlegungen gab es im Vorfeld unsererseits nicht. Dann ging es Schlag auf Schlag, sozusagen über Nacht. Ich stieg ein, Anne Wizorek lieferte die Idee für den Titel des Hashtags und so kam alles ins Rollen.
Was und welche Zielgruppen wollten Sie damit erreichen?
Eine Zielgruppe und feste Intention gab es so nicht. Bis heute haben wir nie dazu aufgerufen, etwas zu tun. Die ganze Diskussion hat sich einfach selbstständig so entwickelt, die Welle schwappte unaufhaltsam los. Jeder, der sich angesprochen gefühlt hat und sich durch unsere Berichte eventuell an eigene Erlebnisse erinnerte, konnte mittwittern. Von strategischer Vorüberlegung war überhaupt keine Spur, denn der Hashtag ging morgens halb eins, völlig ungeplant, los.
Wie haben Sie reagiert, als Sie von der Nominierung erfuhren?
Zuhause war ich da und las es in einer E-Mail von Anne Wizorek, die vor mir über die Nominierung informiert worden war. Ich muss wohl schlagartig sehr blass geworden sein, denn derjenige, der neben mir saß hat sich im ersten Moment ernsthafte Sorgen um mich gemacht. Ich war einfach total überrumpelt und hatte nicht gewusst, dass wir zu den vorgeschlagenen Angeboten gehört hatten. Anne Wizorek mailte mir auch nur ganz konsterniert: „Some more crazy shit is happening“. Wir fanden es einfach unglaublich, dass erstmals ein Hashtag ausgewählt wurde. Das Schwierigste überhaupt war jedoch, dass wir nichts darüber sagen durften, weder persönlich noch auf Twitter. Bis zur Bekanntgabe der Nominierten mussten wir nämlich Stillschweigen bewahren und durften unsere Freude nicht offiziell teilen und laut herauszwitschern, das war hart. Noch nicht einmal meinem Dozenten an der Universität konnte ich anfangs den wahren Grund für mein Fehlen am Tag der Bekanntgabe mitteilen, weil ich eben nicht ausplaudern durfte, dass wir nominiert sind.
Was bedeutet die Nominierung für die zukünftige Entwicklung Ihres Angebots ?
Wir hoffen, dass #aufschrei auf Twitter weitergeht, über die bisherige heiße Debatte hinaus. Vor allem soll es weiter von denjenigen, die von Alltagssexismus betroffen sind, als Plattform genutzt werden. Wir drei sind ja nur als Stellvertreter genannt, haben es initiiert, aber sind sozusagen mit allen Partizipanten nominiert und so fühlen wir uns auch. Wünschenswert wäre, dass die Debatte in einem vernünftigen Rahmen fortgeführt wird, ohne zu viel lästiges Trollen oder Kommentare von Personen, die sich über die geschilderten Erlebnisse lustig machen. Das Angebot soll nicht versiegen, wie so vieles im World Wide Web. Nebenbei betreiben wir deshalb zum Thema den Twitteraccount „twitter.com/aufschreien“ und das Blog „alltagssexismus.de„.
Weitere Statements der anderen Nominierten finden Sie hier.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!