Kreatives Werk des Widerstands aus dem Untergrund neu entdeckt
Gedenkabend zu Curt Bloch im Stadtgymnasium Dortmund
Es ist 1942. Curt Bloch hat Angst um sein Leben und um das seiner Familie. Er versteckt sich auf dem Dachboden eines christlichen Ehepaars in den Niederlanden. Er befürchtet, entdeckt oder verraten zu werden. Die Nazis patrouillieren auf den Straßen. Seit ihrem Einmarsch werden auch in den Niederlanden Juden massenhaft deportiert und systematisch ermordet. In dieser Zeit schreibt er diese Zeilen:
„Frei ist mehr als Geld und Güter, mehr noch als das täglich Brot. Seid darum der Freiheit Hüter. Denn wer unfrei ist, ist – tot.“
Mit diesem eindringlichen Appell endet das Gedicht „Freiheit!“ von Curt Bloch, verfasst in seinem Versteck in den Niederlanden. Der Jurist beginnt auf dem Dachboden sein einzigartiges Werk des Widerstands: „Het Onderwater Cabaret“ (das Unterwasser-Kabarett). Er schenkt damit Hoffnung, klärt auf, macht Mut – sich, anderen Untergetauchten und ihren Helfenden. Aus eingeschmuggelten Zeitschriften und Illustrierten schneidet er Bilder aus. Er klebt sie in kleine Hefte, illustriert diese mit Zeichnungen und schreibt darin in drei Jahren 492 Gedichte. Sie sind satirisch und politisch, klären über den Krieg auf oder richten sich berührend an seine Mutter, an seine Schwester Helene. Die zu diesem Zeitpunkt bereits verraten und ermordet wurden.
Ausstellung in Curt Blochs Schule
Die Zeilen des Gedichts „Freiheit“ prangen an der Fassade des Stadtgymnasiums Dortmund, wo es am 6. November im Rahmen einer Gedenkwoche eine Ausstellung und einen Gedenkabend zu Ehren des gebürtigen Dortmunders Curt Bloch gibt. Er war Schüler des Stadtgymnasiums, die Familie hatte ein Feinkostgeschäft in der Reinoldistraße. 1933 flieht Bloch in die Niederlande, wo er sich zunächst sicher wähnt.
Das Gedicht „Freiheit!“ findet sich auch auf einer großen Stoffbahn in der Ausstellung, designt von Stephanie Rezaloo. Die Gäste bekommen einen Eindruck von Curt Blochs „Het Onderwater Cabaret“ anhand abgebildeter Cover und ausgewählter Gedichte, eingebettet in den geschichtlichen Kontext. Wer die Treppe zur Ausstellung hinaufgeht, liest stufenweise historische Daten mitsamt der Geschehnisse bis hin zum Ende des Zweiten Weltkriegs.
Enormes Interesse an Curt Bloch
Weiter geht es in der Aula des Stadtgymnasiums mit einem Vortrag von Thilo von Debschitz. Der Wiesbadener Designer gewann mit Simone Bloch für das digitale Archiv „Curt Bloch und Het Onderwater-Cabaret“ einen Grimme Online Award. Curt Blochs Tochter Simone initiierte das Projekt. Sie kontaktierte Thilo von Debschitz auf Facebook, als sie einen Kontakt nach Europa suchte. Sie will das Werk ihres Vaters von New York aus nach Europa bringen, einer breiten Öffentlichkeit bekannt machen. Von Debschitz ignoriert ihre erste Anfrage: „Kein richtiges Profilbild, Wohnort: Hanoi? (Hatte Simone Bloch aus Spaß angegeben) Das kann nur ein Bot sein.“ Doch zum Glück bleibt Simone Bloch beharrlich und sie erreichen in vier Jahren den Aufbau der Webseite, eine Ausstellung im Jüdischen Museum in Berlin, 12 Seiten in der SZ, ein großer Artikel in der New York Times, ein Buch über Curt Bloch, vor kurzem gab es sogar das Angebot zu einer Oper.
Das Interesse ist riesengroß, auch im Stadtgymnasium. Den Auftakt des Gedenkabends bildet eine Gruppe von Schüler:innen, die nach und nach im Publikum aufstehen und das Gedicht „Freiheit“ rezitieren. Schulleiterin Stefanie Klimasch und Klaus Wegener, Präsident der Auslandsgesellschaft Dortmund, begrüßen das Publikum. Beide rufen eindringlich dazu auf, im Sinne von Curt Bloch für Toleranz einzutreten und Freiheit nicht als selbstverständlich hinzunehmen, sondern dafür zu kämpfen.
Thilo von Debschitz stellt das einzigartige Werk Blochs vor. Bereits bei der Verleihung des Grimme Online Award hatte er es als einen kostbaren Schatz bezeichnet, vergleichbar mit den Tagebüchern der Anne Frank; dass es so etwas nach 80 Jahren zu entdecken gibt, habe er nicht für möglich gehalten.
In seinem Vortrag geht der Designer auf die Gräueltaten der Nationalsozialisten im 2. Weltkrieg ein und verknüpft diese mit Curt Blochs Leben. Die etwa 200 Gäste sind berührt, auch von den acht Gedichten, welche die Schüler:innne vortragen. Simone Bloch betritt die Bühne. Sie ist extra aus New York angereist. Ein donnernder Applaus. Ausführlich beantwortet sie Fragen aus dem Publikum. Das Interesse ist enorm. Der Abend ein Erfolg. Zum Schluss macht Thilo von Debschitz ein Foto von Simone Bloch vor dem fast vollen Saal. Für ihre Mutter. Diese ist stolz. Und kann es kaum glauben, wie sehr das Werk ihres Mannes und ihre Familie geschätzt werden.
Familienbande
Vor dem Gedenkabend zu Curt Bloch besuchten Thilo von Debschitz und Simone Bloch auf dem Dortmunder Hauptfriedhof das Grab von Siegfried Bloch, dem Großvater von Simone Bloch. Dort geben sie uns ein Interview, das bald auf unserer Website veröffentlicht wird.
Text und Fotos von Monika Elias, Grimme-Institut
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