„Kluft zwischen Medienschaffenden und Publikumswahrnehmung“

Ein Interview mit Nadia Zaboura über ihre nominierte Medienkritik auf Instagram

Die Kommunikationswissenschaftlerin Nadia Zaboura setzt sich umfassend mit Medien auseinander – auch ganz konkret mit aktuellen einzelnen Sendungen, wie etwa „hart aber fair“, „ZAPP“ oder „tagesschau“. Dazu nutzt sie eine ungewöhnliche Plattform: Instagram. Konkret unternimmt sie medienkritische Analysen in den Stories ihres Instagram Kanals. Dabei erreicht sie eine erhebliche Detailtiefe, zeigt Bewegtbildausschnitt um Bewegtbildausschnitt, Kommentar um Kommentar und schließt so die sonst deutliche Lücke medienkritischer Angebote auf dieser Plattform. Drei Fragen des GOA-Blogs an Nadia Zaboura.

Screenshot des Instagram-Kanals von Nadia Zaboura

Screenshot des Instagram-Kanals von Nadia Zaboura

Wie ist die Idee zu Ihrem Angebot entstanden? Gab es einen konkreten Anlass?

Die Idee zu den interaktiven Medienanalysen hat sich mir aufgedrängt, als ich meinen Blick auf ein akutes Problem gelenkt habe: Es geht um das medial vermittelte Bild über den hiesigen Rechtsruck, über Migration sowie über Entwicklungen bspw. in Iran, Afghanistan und Nahost, die allesamt auch für uns in Deutschland relevant sind.

Was mir dabei direkt ins Auge stach und mich zum Gründen eines tagesaktuellen Medienkritik-Angebots bewegte, waren offensichtliche und zudem kontinuierliche journalistische Handwerksfehler in der deutschen In- und Auslandsberichterstattung. Und: die sich daraus ergebende Kluft zwischen Medienschaffenden und Publikumswahrnehmung. Allein beim Thema Nahost belegt erst jüngst eine repräsentative Studie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: 48% der Befragten haben wenig oder gar kein Vertrauen in die deutsche Berichterstattung zur Lage in Nahost – das ist nahezu jeder zweite. Ein besorgniserregender und ernstzunehmender Wert. Eine Demokratie kann sich ein so deutliches Medienmisstrauen nicht leisten, gerade nicht in diesen Zeiten, in denen Rechtsstaat und freie Presse delegitimiert und attackiert werden.

Und da Medienkritik im Kern eine zutiefst demokratische, eine Demokratie-verteidigende Angelegenheit ist, war mir als Kommunikationswissenschaftlerin und Medienkritikerin klar: Jemand muss die bestehende Lücke an niedrigschwelligen, unterhaltsamen und zugleich informierenden Angeboten im öffentlichen Diskurs füllen. Und zwar dort, wo Menschen sich tagtäglich bewegen und miteinander kommunizieren. Wo sie Medien kritisieren und fundiert hinterfragen, aber zumeist auf taube Ohren und verschlossene Türen stoßen: in den sozialen Medien.

Mit den Analysen verfolge ich deshalb ein klares Ziel: dass die interessierte Bevölkerung ihre demokratische Selbstwirksamkeit, ihren bürgerlichen Mut und kommunikative Techniken für die Teilnahme am öffentlichen Diskurs erkennt und ausbaut – insbesondere in einer Zeit, in der versuchte Diffamierungen und faktenfreie Delegitimierungen auf der Tagesordnung stehen, nicht nur in sozialen Medien, sondern auch auf der Arbeit, unter Freunden und Familie.

Die Medienanalysen sind deshalb konstruktiv und lösungsorientiert aufgebaut, sie wählen eine spielerische Herangehensweise und wurzeln in wissenschaftlichen Studien und Fakten. Mit den Analysen erfahren Menschen, woher ihr oftmals unbestimmtes Bauchgefühl zu bestimmten journalistischen Praktiken stammt, wie sie dieses Gefühl mit wissenschaftlichen Theorien validieren und Medienkritik konstruktiv ausdrücken können.

Mit den Medienanalysen möchte ich aber nicht nur Sparringspartner für Mediennutzende sein. Sondern auch eine Spiegel- und Resonanzfläche für Journalisten und Journalistinnen bieten. Auch das verstehe ich als wichtigen Teil meiner Arbeit: gemeinsam Glaubenssätzen im Journalismus auf den Grund gehen und ihre Herkünfte, ihre innewohnenden Prämissen und Problematiken ergründen – nie fingerzeigend, sondern mit ausgestreckter Hand.

Was war der größte Erfolgsmoment in der Arbeit, was die größte Herausforderung?

Da gibt es zwei große Erfolgsmomente: Einerseits freue ich mich sehr über die Nominierung für den Grimme Online Award und die damit ausgesprochene Wertschätzung durch die Grimme-Kommission. Und es sind genauso die täglichen Erfolgsmomente, die sich in den zahlreichen wertschätzenden Rückmeldungen widerspiegeln. Diese Rückmeldungen erreichen mich sowohl aus der Leserschaft als auch direkt von Journalisten und Journalistinnen entlang aller Mediengattungen – aus privatwirtschaftlichen, insbesondere aber aus den öffentlich-rechtlichen Medien. Sie alle eint, dass sie sich für einen fakten- und menschenrechtsbasierten Journalismus einsetzen, der Recht und Würde nicht selektiv verteilt, sondern unterschiedslos und für alle Menschen gleichsam einfordert. Das Vertrauen und die Wertschätzung, die mir von genau diesen Menschen entgegengebracht wird, ist Glück, Bestätigung und Motor zugleich.

Untrennbar mit dem Erfolg verbunden ist dann auch die größte Herausforderung für meine Arbeit: Ich setze das Medienkritik-Angebot komplett in meiner freien Zeit um. Aus Überzeugung, dass Journalismus zu genau diesem Zeitpunkt eine fundierte, konstruktive und wohlwollende Kritik verdient. Denn Medien können es sich schlicht nicht leisten, genau jene Menschen aktiv zu verlieren, die Freunde und Verteidiger der liberalen Demokratie und der freien Presse sind – insbesondere in einer Zeit, in der weltweit eine breite autoritäre Rückwicklung stattfindet und auch Deutschland und deutsche Medien davon nicht verschont bleiben.

Welche Resonanz gab es auf Ihr Angebot und wie sehen Ihre weiteren Pläne aus?

Die Resonanz ist groß und steigt permanent. Das betrifft nicht nur die Anzahl von Rückmeldungen, sondern auch die Qualität des Austauschs: Die Nachrichten, die mich erreichen, bezeugen ein Interesse, eine Informiertheit und demokratische Involviertheit, die man sich nur wünschen kann und die ich deshalb immer wieder selbst als wichtigen Bestandteil der Analysen publiziere. Und: Neben all den diskussionswürdigen, auch ernsten Momenten teilen die Community und ich immer wieder auch augenzwinkernde Momente wie passende Memes oder Musik. Die Melodie der TV-Quizsendung Jeopardy ist beispielsweise ein fester Bestandteil der Medienanalysen geworden.

Die vielen Rückmeldungen zeigen mir auch, dass Medienkritik viele Zielgruppen interessiert und anspricht. Eben nicht nur Journalisten und Journalistinnen, sondern insbesondere die breite Bevölkerung – von der Lehrerin und dem Schüler über den Einzelhandelsverkäufer bis hin zur Musikerin oder dem Altenpfleger. Medienkompetenz ermöglicht es ihnen allen, ihre demokratischen Sinne zu schärfen, ihre Informationskompetenz zu stärken und ihre Mündigkeit gegenüber politischen und medialen Narrativen auszubauen. In unserem durchdigitalisierten Zeitalter ist praktizierte Medienkompetenz einer der besten und wirksamsten Abwehrmechanismen. Jeder Einzelne kann hier Verantwortung übernehmen, anstatt sie maßgeblich Verantwortungsträgern in Medien und Politik zu überlassen. Schließlich funktioniert – das zeigt die Geschichte – wenig als wirksameres Gegenmittel, als Antidot gegen Autoritarismus, Populismus und Faschismus, als wache, aufgeklärte, plural und differenziert denkende Menschen. Die positive Resonanz auf mein Angebot schenkt Hoffnung, dass wir bereits auf einem guten Weg sind hin zur „redaktionellen Gesellschaft“, so wie sie der Kommunikationswissenschaftler Pörksen beschreibt.

Beim Thema Pläne geht mein Zukunftsblick in eine Richtung: weitermachen. Ich plane, die Medienanalysen weiter zu verstetigen und auszuweiten, beispielsweise als neues Bewegtbildformat, damit sie neue Bevölkerungsgruppen mit anderen Seh- und Hörgewohnheiten erreichen und so eine breite öffentliche, konstruktive Debatte anstoßen und begleiten. Das passt ohnehin zum aktuellen Format, denn die Analysen auf Instagram entsprechen bereits einem kompletten Skript, das nur noch in Videoform gegossen werden möchte. Öffentlich-rechtliche Sender genau wie privatwirtschaftliche Medienmarken können hier ideale Plattformen sein, um die Medienanalysen zu publizieren und so das breite Interesse an interaktiver Medienkritik zu bündeln – als vertrauensbildende Maßnahme und auch als Signal, dass man es ernst meint mit Selbstreflexion, Veränderung und einem Dialog auf Augenhöhe.

Vielen Dank für das Interview!

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