„(…) eine bislang beispiellose Chance“

Ein Interview mit Sebastian Meineck über die Databroker-Files-Recherche

Die Databroker Files zeigen am konkreten Beispiel, wie sich der teils unkontrollierte Datenhandel der Online-Werbeindustrie zu einer Gefahr für den Datenschutz von Millionen von Bürger*innen entwickelt – von Bewegungsprotokollen einzelner Personen bis hin zur Gefährdung der nationalen Sicherheit Deutschlands. Besondere datenjournalistische Aufbereitungen wie das BR-Webspecial „Wohnort, Arbeit, ausspioniert“ erschließen die für den Grimme Online Award nominierte Recherche von netzpolitik.org und dem BR hierbei für die breite Öffentlichkeit. Das Goa-Blog hat dazu den Journalisten und Redakteur bei netzpolitik.org, Sebastian Meineck, interviewt.

Screenshot der Netzpolitik.org-Website zu den Databroker Files

Screenshot der Netzpolitik.org-Website zu den Databroker Files

Wie ist die Idee zu Ihrem Angebot entstanden? Gab es einen konkreten Anlass?

Fachleute warnen schon lange davor, wie gefährlich das Geschäft mit personenbezogenen Daten ist. Woran es in Deutschland bislang mangelte, waren Beispiele dafür, wie eng uns Datenhändler auf die Pelle rücken: wie intim die Einblicke durch die Daten sind, wie einfach sie sich beschaffen lassen.

Im Januar 2024 bekamen wir einen Tipp, um genau darüber mehr herauszufinden. Der Investigativ-Journalist Eric van den Berg vom niederländischen Radiosender BNR Nieuwsradio berichtete von einem Datenmarktplatz aus Berlin, der Kontakt zu Datenhändlern vermittelt. Diese Händler hatten ihrerseits detaillierte Standortdaten von Millionen Handy-Nutzer:innen im Angebot.

Für netzpolitik.org war klar: Das ist eine bislang beispiellose Chance, die Missstände beim Handel mit Standortdaten aus Deutschland aufzudecken. Wir folgten den Hinweisen des niederländischen Kollegen und bemühten uns auf dem Datenmarktplatz um entsprechende Daten – und wir hatten Glück. Von einem US-Händler erhielten wir einen kostenlosen Vorschau-Datensatz mit 3,6 Milliarden Standortdaten von bis zu 11 Millionen Handys in Deutschland, gesammelt via Handy-Apps. Bloß, wie sollten wir einen derart umfangreichen Datensatz effizient untersuchen? So entstand die Kooperation mit dem Datenteam des Bayerischen Rundfunks, die sich im Umgang mit gigantischen Datensätzen bestens auskennen.

Was war der größte Erfolgsmoment in der Arbeit, was die größte Herausforderung?

Die Recherche war voller Herausforderungen. Am Anfang stand der gewagte Versuch, überhaupt derart sensible Standortdaten per gratis Kostprobe von einem Datenhändler zu erhalten – und dass, nachdem es genau deshalb bereits kritische Berichterstattung in den Niederlanden gab.

Wir hatten uns entschieden, zunächst mit offenem Visier auf dem Datenmarkt unterwegs zu sein: Mit Klarnamen und beruflicher E-Mail-Adresse. Mehrere Datenhändler waren deshalb besonders vorsichtig und wollten keine Daten herausrücken. Aber ein US-Händler tat es doch – ein enormer Erfolgsmoment.

Die zweite große Herausforderung bestand darin, die 3,6 Milliarden Standortdaten effizient zu sichten. Mehrere Wochen Arbeit flossen in ein internes Recherche-Tool mit grafischer Nutzeroberfläche. Durch dieses Tool konnten wir gezielt bestimmte Orte und bestimmte Handy-Kennungen recherchieren. Immerhin ging es darum, zu prüfen, ob die Daten wirklich echt und aussagekräftig sind. Finden wir Personen aus sensiblen Bereichen der nationalen Sicherheit? Können wir sie mithilfe ihrer Handy-Standorte namentlich identifizieren? Nach einiger Sucharbeit konnten wir das bejahen.

Ein besonderer Recherche-Erfolg war die Identifizierung einer Person, die sich für ein Bundesministerium in hoher Position mit Fragen der Sicherheit befasst sowie die Spur einer Person, die mutmaßlich für die NSA tätig ist.

Welche Resonanz gab es auf Ihr Angebot und wie sehen Ihre weiteren Pläne aus?

Die Resonanz auf die „Databroker Files“ war groß. Der Verbraucherzentrale Bundesverband forderte ein Verbot von Tracking zu Werbezwecken. Das Bundesministerium für Verbraucherschutz betonte, diese Art von Datenhandel sei nicht mit dem Datenschutzrecht vereinbar.

Die zu diesem Zeitpunkt designierte Bundesdatenschutzbeauftragte Louisa Specht-Riemenschneider sprach im Kontext von Datenmarktplätzen von einer „Rechtsschutzlücke“. Konstantin von Notz (Grüne), Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums und Bundestagsabgeordneter, sprach von einem „unhaltbaren Zustand“. Katharina Barley (SPD), Vizepräsidentin des EU-Parlaments, sprach von einer „klaffenden Lücke“ beim Schutz personenbezogener Daten. Der demokratische US-Senator Ron Wyden schaltete das Pentagon ein. Und zahlreiche Menschen nutzten unseren „Databroker Checker“ – das ist ein datensparsames Tool, mit dem man prüfen kann, ob das eigene Handy in unserem Datensatz auftaucht. Einige meldeten sich mit positiven Treffern zurück.

All diese Reaktionen geben uns viel Motivation, die Recherchen fortzusetzen. Denn ohne zu viel verraten zu wollen: Dieser eine Datensatz mit den 3,6 Milliarden Standortdaten, über den wir berichtet haben – das ist nicht der einzige, der uns vorliegt.

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert