„Deutsch ist für uns eine Fremdsprache“

Es ist Mittwoch, 10.30 Uhr. Die Redaktion vom Instagram-Kanal „Hand drauf“ trifft sich zur Online-Konferenz, um die Umsetzungen für die nächsten Wochen zu besprechen: Welcher Aspekt ist bei welchem Thema wichtig? Wozu gibt es gerade Diskussionen in der Community? Wie wird der Inhalt für Instagram umgesetzt?

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Screenshot „hand drauf“

Auf Augenhöhe mit der Zielgruppe: Bei „Hand drauf“ von funk handelt es sich um einen europaweit einzigartigen journalistischen Kanal von und für junge taube Menschen. Das diverse Team bereitet informative und unterhaltsame Themen für die Deaf Community in Deutscher Gebärdensprache auf. Die Videos werden untertitelt, sodass auch hörende Personen die Inhalte verfolgen können. „Hand drauf“ ist für einen Grimme Online Award in der Kategorie „Kultur und Unterhaltung“ nominiert.

In diesem Interview mit „Hand drauf“-Host Toma Kubiliute, der redaktionellen Mitarbeiterin Melissa Wessel und Redakteurin Pia Billecke blicken wir hinter die Kulissen ihres Kanals und in den redaktionellen Alltag. Teil des Redaktionsmeetings ist wie immer auch ein Dolmetscher, damit die Kommunikation im Team funktioniert.

Sind bei euch auch Menschen mit Gehör im Einsatz, wenn der Kanal doch eigentlich von und für taube Menschen ist?

Pia Billecke: Wir sind ein inklusives Team aus gehörlosen, hörenden und schwerhörigen Kolleg*innen. Unsere vier Hosts sind taub und wir haben hinter den Kulissen weitere taube Personen. Das ist für uns eben auch besonders wichtig, weil wir gerade bei Themenumsetzungen immer die Rückkopplung mit tauben Menschen brauchen. Überhaupt auch den Input, was für die Community gerade interessant ist und worüber diskutiert wird. Genauso, um zu besprechen, aus welchen Perspektiven wir Themen betrachten sollten. Unsere gehörlosen Mitarbeiter*innen sind der Kern des Formats.

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Die Hosts scheinen bei euch viel Spaß daran zu haben, auch die Hörenden ein bisschen auf die Schippe zu nehmen. Wie groß sind eure Freiheiten humoristisch mit diesem Thema umzugehen?

Toma Kubiliute: Ich würde sagen, es gibt auf jeden Fall Grenzen, aber wir als Hosts versuchen ein bisschen darauf zu achten, ob wir über diese Dinge eben auch lachen könnten. Es geht gar nicht darum, sich über Hörende lustig zu machen, sondern einfach zu schauen, was sind Dinge, die in unserem Alltag witzig sind. Sind es vielleicht auch Dinge, die man über Humor besser rüberbringen kann, weil sie dadurch leichter hängen bleiben. Ich denke, dieses stupide Aufklärerische kommt nicht immer an. Das heißt, mit einer Prise Humor bleibt sowas leichter hängen.

Wie wählt ihr denn eure Themen für den Kanal aus?

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Pia Billecke: Mit dem ganzen Team. Im Teamcall bringen alle Themen mit, zum Beispiel, was jemand mitbekommen hat, was vielleicht gerade in der Community ein Thema ist oder was wir generell einfach spannend finden, um die Zielgruppe mit Informationen zu versorgen. Es ist nämlich auch so, dass es leider nicht so viele Angebote wie uns gibt. Also im europäischen Raum sind wir etwas Einzigartiges, weil es ansonsten vor allem gebärdensprachliche Übersetzungen von Angeboten gibt. Wir greifen zum Beispiel aktuelle Themen auf, um da noch mal mehr Informationen in Gebärdensprache zu liefern. Das sind verschiedene Faktoren, die wir berücksichtigen, um gemeinsamen im Team zu schauen, welches Thema wir dringend aufgreifen, weil barrierearme Informationen ansonsten fehlen.

Auf was für Schwierigkeiten stoßt ihr während der Recherche bei der Informationsbeschaffung, wenn es z.B. darum geht an Themeninhalte zu kommen?

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Melissa Wessel: Ich glaube, das Problem ist: Wenn es um gehörlosenspezifische Themen geht, ist die Quellenlage einfach sehr gering, gerade zum Beispiel wissenschaftliche Quellen sind rar gesät und es befassen sich zu wenig Wissenschaftler*innen mit gehörlosen Themen. Und wenn die mal irgendwie aufgegriffen werden, ist es oft die Perspektive von einer hörenden Person, die eben über taube Menschen forscht. Da stehen dann gehörlosenspezifische Dinge gar nicht mit drin. Das ist, was Recherchearbeit angeht, ein Hindernis. Es gibt einfach zu wenig. Ansonsten sind die Informationen, die es gibt, meistens schriftsprachliche, also in Texten und eben nicht Gebärdensprache. Unsere Muttersprache ist Gebärdensprache, das heißt, Deutsch ist für uns eine Fremdsprache. Wir haben einen erschwerten Zugang, denn bei jeder Quelle muss man sich mehr damit beschäftigen, die auch richtig zu verstehen.

Pia Billecke: Als die Corona-Pandemie noch sehr aktiv war, haben wir beispielsweise was zum Thema Corona und zum Thema Impfen gemacht, weil es auch zu so etwas nur wenig Informationen in der Erstsprache, in der Gebärdensprache, gibt. Wir mussten erstmal gucken, ob wir eine taube Ärztin finden, die das für die Community gut authentisch erklären kann, was im Körper passiert.

Gibt es etwas, dass ihr euch von hörenden Menschen mehr wünschen würdet?

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Melissa Wessel: Ich denke, dass Gebärdensprache sichtbarer wird. Häufig ist es so, dass Übersetzungen zwar gewährleistet werden, aber man sie in der letzten Ecke im Internet findet. Beim Topmodel-Finale gab es beispielsweise Dolmetscher*innen. Um die Sendung aber mit diesen zu sehen, musste man in die Mediathek und fast über 17 Links dahin kommen.

Toma Kubiliute: Was wir uns eigentlich wünschen, ist Normalität. Einfach zu akzeptieren, dass wir als taube Personen gewisse Bedürfnisse haben, die gesellschaftlich umgesetzt werden sollen und dann auch nicht zu sagen: „Wir haben doch hier im Falle von Fernsehen beispielsweise Untertitel, das würde ja reichen.“ Dadurch ist es eine Bevormundung, als würde der oder die Hörende sagen, was reicht und was nicht.

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Pia Billecke: Aus journalistischer Sicht finde ich es schade, wie teilweise berichtet wird. Wenn man mal schaut, was sonst im Zusammenhang mit Gehörlosen veröffentlicht wird, ist es oft Betroffenen-Berichterstattung. Zum Beispiel: „Mensch XY hat das Schicksal angenommen“. Ansonsten sind es meistens Themen, die mit Musik zu tun haben, weil Hörende es spannend finden, wenn irgendwas mit Gehörlosen und Musik in Zusammenhang gebracht wird. Jedoch haben taube Menschen genauso Interessen, genauso Fähigkeiten, Talente usw. wie Hörende, über die man auf Augenhöhe berichten könnte.

Das Interview führte Dilan Asutay. Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang „Mehrsprachige Kommunikation” an der TH Köln.

Pia Billecke, Selina Kramer, Jennifer Metaschk bei der Bekanntgabe der Nominierungen. Foto: Arkadiusz Goniwiecha / Grimme-Institut

Pia Billecke, Selina Kramer, Jennifer Metaschk bei der Bekanntgabe der Nominierungen. Foto: Arkadiusz Goniwiecha / Grimme-Institut

Zusätzlich ist ein kurzes Videointerview von “Hand drauf” zum Projekt entstanden:

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