Auf der Spur der russischen Propaganda – Masha Borzunova deckt auf
Masha Borzunova klärt seit 2022 in ihrer Sendung „Fake News“ auf YouTube zum Thema Propaganda in Russland auf. In Videos wie „Deutschland aus Sicht der russischen Propaganda“ oder „Angst vor schwulen Nazis: Russlands LGBTQ-feindliche Propaganda“ bekommen die Zuschauer*innen auf Englisch mit deutschen Untertiteln Einblick in die Politik eines der größten Länder der Welt. „Fake News – Russische Propaganda für Anfänger“ von ARTE, Kobalt Productions und ehemals TV Rain ist in der Kategorie „Information“ für den Grimme Online Award 2023 nominiert. Masha Borzunova ist Journalistin und Moderatorin der Doku-Serie. In Interview berichtet sie, warum sie eine ausländische Agentin ist und wie sie versucht, Anhänger*innen der russischen Propaganda die Augen zu öffnen.
Wie kam die Kooperation mit ARTE und Kobalt zustande?
Masha Borzunova: ARTE produziert bereits die Sendung „Tracks East“, in der sehr viel über die Ukraine und auch über Russland gesprochen wird. Jedoch war die Rede davon, mehr über Russland senden zu wollen. Meine Freundin und Arbeitskollegin, die jetzt bei Kobalt und ARTE arbeitet, lud mich ins Studio ein. Mir wurde dort klar, dass dies eine ideale Gelegenheit ist, den Menschen in den westlichen Ländern zu erklären, was wirklich in Russland passiert und warum dieser Krieg im letzten Jahr möglich wurde. Zu diesem Zeitpunkt war der TV-Kanal, Dozhd, auch TV Rain genannt, von der russischen Regierung blockiert. Meine Sendung „Fake News“ konnte somit nicht mehr im Fernsehen ausgestrahlt werden. Wir von TV Rain verließen das Land, da es sehr riskant war, aus dem Inland heraus zu arbeiten. Wir gingen erst nach Georgien und dann nach Lettland. Meine Zuschauer*innen aus Russland schrieben mir: „Masha, was hier passiert, ist verrückt und wir brauchen dein Programm!“. Somit fingen wir an unsere Show auf YouTube zu streamen, ohne TV Rain wieder gelauncht zu haben. Meine Freundin, die für Kobalt und ARTE tätig ist, schlug vor, meine Sendung „Fake News“ auch auf Englisch zu halten und auf YouTube u.a. mit deutschen Untertiteln zu streamen, um die Sendung auch dem westlichen Publikum sprachlich zugänglich zu machen. Ich war bereit dem Ganzen eine Chance zu geben. Für mich war es wirklich wichtig mit dem Westen zu kommunizieren, als der Krieg begonnen hat. Ich verstehe, dass viele Menschen im Westen den Kontext dessen, was gerade in Russland passiert, nicht wirklich verstehen. Die russische Propaganda ist der Schlüssel, um zu verstehen, warum der Krieg begann.
Vor der Zusammenarbeit mit ARTE war Ihr Publikum hauptsächlich russischsprachig. Da Russland alle unabhängigen Medien und Fernsehsender abgeschafft und verboten hat, haben die russischen Zuschauer theoretisch keinen Zugang mehr zu Ihrem Format. Stimmt das?
Masha Borzunova: Nicht ganz. Für mich war mein Hauptpublikum schon immer in Russland, da ich eine russische Journalistin bin. Und gerade jetzt, nach Kriegsbeginn, sind es u.a. immer noch die Russ*innen, die das Land wegen des Krieges verlassen haben und natürlich auch die, die im Land geblieben sind. Insbesondere Menschen, die immer noch an die russische Propaganda glauben. Die russischen Behörden haben natürlich alle unabhängigen russischen Medien blockiert oder sie als ausländische Agenten bezeichnet, und das nicht erst seit dem 24. Februar 2022. Aber wir haben soziale Medien, zum Beispiel YouTube – und YouTube ist seit vielen Jahren die wichtigste Plattform für unabhängige Journalist*innen. Die Zensur in Russland begann schon vor vielen Jahren. Russische Behörden setzen monopolisiertes, regierungsfreundliches Fernsehen durch. Einige Fernsehkanäle stehen direkt in Verbindung mit der Regierung. YouTube ist in Russland noch nicht blockiert, aber wir haben wirklich Angst davor, dass das bald passieren wird. Es ist wie ein Spießrutenlauf. Man versucht weiterhin Informationen an das Publikum zu bringen, aber das wird von Tag zu Tag immer schwieriger. Denn es gibt keine Regeln in Russland. Die Behörden können ein Strafverfahren gegen jeden einleiten. Es reicht schon, wenn man diesen Krieg als „Krieg“ bezeichnet, denn für sie ist es keiner. Für sie ist es ein Spezialeinsatz.
Wie groß ist das „Fake News“-Team?
Masha Borzunova: An sich ist es klein. Hauptsächlich besteht das Team aus mir, meiner Video-Editorin und meiner Freundin und Kollegin, die nun so etwas wie eine Co-Autorin geworden ist. Natürlich beteiligen sich auch die Produzenten von Kobalt und ARTE.
Können Sie uns einen groben Einblick über Ihren (Tages-)Ablauf verschaffen? Wie kommen die einzelnen Episoden zustande?
Masha Borzunova: Es sieht tatsächlich für die russische und englische Version jeweils etwas unterschiedlich aus. Was die russische Version betrifft: Ich wache Montagmorgen auf, schalte sofort das russische Fernsehen ein und sehe mir viele Sendungen an. Ich schaue und höre mir tatsächlich von morgens bis abends die russische Propaganda an. Zudem lese ich Telegram-Kanäle, weil sie in Russland gerade besonders populär sind und es dort viele propagandistische Kanäle mit hunderttausenden von Abonnent*innen gibt. Diese Kanäle sind nahezu eine Propagandawaffe. In den russischen „Fake News“ sprechen wir hauptsächlich über wöchentliche Nachrichtensendungen. Zum Beispiel über das, was letzte Woche auf dem Schlachtfeld los war. Zusammen arbeiten wir dann an unserem Drehbuch und drehen dann am Mittwoch und Donnerstag. Anschließend wird zusammen mit der Video-Editorin an dem Filmmaterial gearbeitet und die Episode wird veröffentlicht. Bei der englischen Version läuft das Ganze etwas anders ab. In dieser Version entscheiden wir uns mit meiner Co-Autorin für ein Thema und sprechen dann beispielsweise über die Homophobie in Russland, wie sie im russischen Fernsehen dargestellt wird und was russische Propagandist*innen und russische Beamt*innen dazu sagen. Oder wir sprechen darüber, wie die russische Gesellschaft acht, neun Jahre lang auf diesen Krieg vorbereitet wurde. Wir diskutieren dann, was verständlich ist und was nicht, schließlich bekommt das westliche Publikum die meisten Details nicht mit und versteht den Kontext sonst nicht. Es besteht in der englischen Version also mehr Bedarf, Dinge zu veranschaulichen und zu beschreiben.
Haben Sie schon einmal jemanden, der zuvor die russische Politik unterstützt hat, mithilfe Ihrer Videos die Augen geöffnet? Haben Sie diesbezüglich schon Kommentare oder E-Mails erhalten?
Masha Borzunova: Ich habe mehrere Geschichten. Ich habe TV Rain im Februar verlassen und arbeite jetzt selbstständig an meinem eigenen YouTube-Kanal, um russische Propaganda zu entlarven. Einmal habe ich mit meinem Team ein Video über die Chefin von Russia Today gemacht, in dem man sieht, dass sie während des Krieges ihre Meinung geändert hat. Dass sie in einer Sendung das eine sagt und in der nächsten das Gegenteil. Meine Zuschauer*innen ließen mich wissen, dass sie dies merkwürdig fanden. Seitdem der Krieg begonnen hat, gibt es in Russland drei Seiten. Menschen, die an die russische Propaganda glauben, und welche, die nicht an sie glauben. Die dritte Seite sind diejenigen, die versuchen, ihre Augen zu verschließen und einfach ihr Leben zu leben, denn sie haben wirklich Angst. Jeden Tag wird es immer schwieriger, das russische Publikum zu erreichen. In jedem meiner Videos bin ich laut Gesetz dazu verpflichtet mich als ausländische Agentin zu kennzeichnen. Wenn ich das nicht tue, können sie ein Strafverfahren gegen mich einleiten. Viele Zuschauer*innen wissen nicht, warum ich eine ausländische Agentin geworden bin, da sie das Gesetz nicht kennen. Natürlich handelt es sich nicht um ausländische Agent*innen, sondern um unabhängige Journalist*innen. Nachdem manche Zuschauer*innen sehen, dass die Videos von einer ausländischen Agentin erstellt wurden, denken sie automatisch, dass sie von ausländischen Regierungen beauftragt worden ist. Es handelt sich in ihren Augen schlichtweg um Verräter*innen, die Russland einfach nicht mögen. Wir versuchen den Menschen die Augen zu öffnen, aber diese Zensurgesetze in Russland setzen sich nun mal durch und lassen keinen Raum für unabhängige Medien.
Woher wussten Sie, dass Sie eine ausländische Agentin geworden sind?
Masha Borzunova: Jeden Freitagabend „nominieren“ die russischen Behörden Menschen, die sie auf die Liste der ausländischen Agent*innen setzen. Die Liste ist online im Internet zu finden. Die Website aktualisiert sich wöchentlich und jedes Mal befinden sich neue Namen auf der Liste. Es ist zudem in den Nachrichten zu sehen: „Das Justizministerium hat weitere Personen auf die Liste der ausländischen Agent*innen gesetzt, darunter Masha Borzunova“. Ich hatte das Land bereits verlassen und befand mich in Georgien. Am 1. April 2022 bekam ich eine Nachricht von einem Freund: „Glückwunsch, du befindest dich nun auch auf der Liste“.
Wie fühlt es sich an von Ihrem eigenen Land als ausländische Agentin bezeichnet zu werden?
Masha Borzunova: Ich fand, es war wirklich unfair. Mein erster Gedanke war, dass ich mein Land viel mehr liebe als die Leute, die mich als ausländische Agentin bezeichnen. Denn sie sind diejenigen, die Villen und Häuser im Ausland haben, und die diesen verrückten Krieg begonnen haben. Sie versuchen, die Ukraine und auch Russland zu zerstören. Andererseits gab es viele Menschen, die schon vor Kriegsbeginn als ausländische Agent*innen eingestuft wurden. Im August 2021 wurde zum Beispiel TV Rain auf die Liste gesetzt. TV Rain war also ein ausländischer Agent, bevor sie alle unabhängigen Medien gebannt haben. Wir wussten, dass wir eines Tages nicht mehr von unserer Heimat aus arbeiten dürfen. Wir haben nicht geglaubt, dass der Krieg beginnen wird, aber wir fühlten es. Im Vergleich dazu ist diese Brandmarkung nicht das Schlimmste. Natürlich war es verletzend für mich von meinem eigenen Land als ausländische Agentin angesehen zu werden, aber ich habe nur wenige Tage darüber nachgedacht, weil in diesem Moment schon der Krieg im Gange war. Besonders interessant sind auch die Gründe, weshalb ich eine ausländische Agentin geworden bin. Offiziell muss man nach dem Gesetz eine öffentliche Person sein und über politische Dinge sprechen, wie z.B. Journalist*innen. Die zweite Regel ist, dass ausländisches Geld auf dem Konto auffindbar ist. Ich habe circa 100 € (in Rubel) bekommen und das meiste stammte von meiner Kollegin. Sie besitzt einen belarussischen Pass. Dabei ist Belarus im Moment mit Russland verbündet! Von einem amerikanischen Kollegen habe ich fast 15 € für das Abendessen bekommen. Wegen diesem mickrigen Betrag bin ich zur ausländischen Agentin geworden. Es besteht auch die Gefahr, einer zu werden, wenn dir andere ausländische Agent*innen Geld überweisen. Es klingt verrückt, aber so läuft es in Russland.
Haben Sie sich aktiv dafür entschieden Journalistin zu werden, um Fake News zu enthüllen? Wenn es keine Propaganda in Russland gäbe, wären Sie dann eine klassische Journalistin geworden oder ist der Kampf gegen Propaganda einer der Hauptgründe, warum Sie diesen Beruf ausgewählt haben?
Masha Borzunova: Um ehrlich zu sein, bin ich durch Zufall Journalistin geworden. Ich habe an der Universität Chemie und Biologie studiert – ich wollte eigentlich Tierärztin werden. Und dann habe ich zufällig einen Artikel geschrieben. Eine Frau von einer journalistischen Universität sagte, dass ich Journalistin werden sollte. Und ich dachte: „ja, vielleicht“. Zu Beginn meiner Karriere war ich Gerichtsreporterin. Ich ging in Gerichtsverhandlungen und berichtete über kriminelle Proteste gegen politische Gefangene in Russland. Danach habe ich angefangen Spezialreportagen zu drehen. 2018 lud mich mein Chef zur Sendung „Fake News“ ein. Das war sehr interessant für mich. Viele meiner Zuschauer*innen sagen: „Wir mögen dich und deine Sendung wirklich, aber wir wünschten, dass du sie eines Tages absetzen wirst, weil es in Russland keine Propaganda mehr gibt“. Und natürlich ist das auch mein Traum. Ich wünsche mir, dass ich eines Tages anfangen kann, Dokumentarfilme zu drehen, denn das wollte ich schon immer machen. Aber ich weiß, dass unsere Arbeit gerade jetzt sehr relevant ist und wir diese Propaganda entlarven müssen. Ich weiß, dass meine Arbeit von vielen Menschen wertgeschätzt wird. Wenn ich ihre Nachrichten lese, wird mir klar, dass ich das Richtige tue. Das ist mein Weg und ich muss ihn gehen. Ich liebe mein Land sehr und ich wünsche mir bessere Dinge für Russland.
Das Interview wurde auf Englisch gehalten und ins Deutsche übersetzt. Es führten Emine Fener und Rosanna Gerstner. Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang „Mehrsprachige Kommunikation“ an der TH Köln.
Zusätzlich ist ein kurzes Videointerview zum Projekt entstanden, realisiert von Studierenden des BA Intermedia an der Universität zu Köln:
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