„Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich feindliches Ausland.“
Das Ende des zweiten Weltkrieges bedeutete zugleich den Anfang einer Nachkriegsjustiz – ein Weg, den Fritz Bauer auf sich nahm, um die Verbrechen der Nationalsozialisten aufzudecken. Denn das Vertrauen gegenüber dem eigenen Land war auch nach der Niederlage der Nationalsozialisten nicht wiederhergestellt, ganz zu schweigen von deren Verstößen gegen die Menschenrechte. Die interaktive Ausstellung „Fritz Bauer: Im Kampf um des Menschen Rechte“ der Buxus Stiftung führt die User*innen durch die Büroräume des Widerstandskämpfers und informiert dabei über sein Leben und seine Arbeit. Das Virtual-Reality-Projekt wurde für den Grimme Online Award 2023 in der Kategorie „Wissen und Bildung“ nominiert. Im Interview berichten Magdalena Köhler und Tobias Fetzer von der Entstehung des Projektes, einer bewusst gewählten Konzeption für die interaktive Ausstellung sowie ihrer Intention, auf weltweite Widerstandskämpfer*innen aufmerksam zu machen.
Ihr ursprünglicher Titel „Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich feindliches Ausland.“ ist eine bekannte Aussage von Fritz Bauer als Reaktion auf die gescheiterte Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen deutschen Staat. Warum genau haben Sie diese Aussage als Titel gewählt und welche symbolische Rolle spielt das Büro Fritz Bauers in der Ausstellung und in seinem Leben?
Magdalena Köhler: Wir fanden das Zitat sehr einprägsam und wir haben das Büro als Ausgangspunkt genutzt, da Fritz Bauer bekannt ist für seine Arbeit und in seinem Leben sehr viel gearbeitet hat, weswegen das Büro auch in seinem Leben eine große Rolle spielte und Ausgangspunkt für alles ist, was ihm wichtig war.
Wie lief die Konzeptentwicklung ab und wie genau entstand dieses Virtual-Reality-Projekt?
Tobias Fetzer: Durch privates Interesse und Versuchen an Virtual-Reality-Formaten, die zunächst keinen Zusammenhang mit Fritz Bauer hatten, kam der Vorschlag für das Projekt in dieser Form sehr gut an. Wir überlegten uns als Team gemeinsam, wie wir welchen Raum gestalten, was inhaltlich und zeitlich relevant ist, und wie man thematische Objekte miteinander verknüpfen kann. Es sollte sich zwar wie ein Museum mit einer gewissen Leitung anfühlen, aber trotzdem noch so frei sein, dass es keine geschlossene Reihenfolge gibt. Die Punkte in den einzelnen Räumen gehören zusammen, man kann nicht alles auf einmal anklicken, man ist aber auch nicht völlig kontextlos. Wir wollten das Ganze auch sehr zugänglich halten. Häufig muss man sich ein großes Softwarepaket runterladen, um VR nutzen zu können, was wir verhindern wollten.
Magdalena Köhler: Das Virtual-Reality-Format ist eine Möglichkeit, sich spielerischer mit diesem Thema zu befassen und auch den Einstieg in diese Thematik zu finden, die ja manchmal ein bisschen schwierig zu fassen ist und somit den Leuten mehr zur Hand zu gehen. Eine Orientierungshilfe oder ein Anreiz eben, sich mit dem Thema weiter auseinanderzusetzen.
Hatten Sie eine bestimmte Zielgruppe vor Augen und glauben Sie, dass diese Plattform auch eine Informationsquelle für ältere Menschen darstellt?
Tobias Fetzer: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass das dreidimensionale Format schnell überfordert, grade bei älteren Menschen, wo sich schnell abzeichnete, dass ein älteres Publikum eher die WordPressbasierte Seite nutzen wird. Bei jüngeren ist es genau das Gegenteil. Für sie ist schnell klar, wie das Format funktioniert.
Magdalena Köhler: Unsere Zielgruppe sind natürlich immer historisch interessierte Menschen, die vielleicht schon mit dem Thema vertraut sind, sich aber noch näher damit beschäftigen wollen. Wir haben aber versucht, die Virtual-Reality-Ansicht so breit zu fassen, dass man, auch wenn man sich vorher noch nicht mit Fritz Bauer oder mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt hat, einen Einstieg schaffen und sich informieren kann, wer überhaupt Fritz Bauer war und was er gemacht hat. Was die Zielgruppe angeht, haben wir es also sehr breit gelassen, sind aber jetzt auch noch dabei, pädagogisches Material dafür zu entwickeln. Das Projekt ist also für uns noch nicht abgeschlossen.
Haben Sie bestimmte Themen in dem Projekt priorisiert, einen bewussten Fokus gesetzt oder sogar ausgelassen?
Tobias Fetzer: Wichtig war für uns auf jeden Fall der Zusammenhang zu Widerstandsaktivisten der heutigen Zeit, das war auch ein zentraler Punkt unserer Chefin, die eigentlich genau diesen Übergang mehr darstellen und in den Fokus rücken will, von historischen Gegebenheiten, historischen Persönlichkeiten bis hin zu heute. Gezielt ausgelassen haben wir nichts, da wir als wissenschaftliche Grundlage die Dissertation unserer Chefin hatten, die die maßgebliche Bauer-Biografie geschrieben hat. Dadurch hatten wir schon einen sehr differenzierten Blick auf sein Leben als Grundlage. Auch wenn wir gezielt nichts ausgelassen haben, haben wir uns für ein paar Verfahren entschieden, die wir nicht als raumfüllend gesehen haben, wie zum Beispiel den Teil mit den Gerichtsprozessen. Natürlich sind nicht alle Gerichtsprozesse mit drin, die Bauer jemals angestoßen hat. Wir haben uns vor allem auf die im Zusammenhang mit dem Holocaust, mit der Massenvernichtung von Menschen beschäftigt.
Magdalena Köhler: Der Ansatz war, sein Leben und Werk so gut es geht in seiner Gänze darzustellen. Wir haben versucht, so viel wie möglich detailliert einzubauen. Wir haben auch andersrum versucht über die Fakten-Checks Informationen und Gerüchte einzubauen, die über Bauer im Umlauf sind, bei denen man die Möglichkeit hat, das, was man über Fritz Bauer vielleicht schon mal gehört hat, zu überprüfen. Also versuchen wir auch Informationen, die fälschlicherweise über Bauer im Umlauf sind aufzufangen, sodass wir ein möglichst vollständiges, richtiges Bild zeichnen können.
Sie haben auch auf Widerstandskämpfer*innen der heutigen Zeit verwiesen. Worin unterscheiden sich diese Personen von Fritz Bauer und gibt es gewisse Parallelen, die Sie entdeckt haben?
Magdalena Köhler: Eine große Parallele ist vor allem der große persönliche Einsatz für die Menschenrechte und wie die Menschen sich auch unter Gefahr des eigenen Lebens oder drohenden Schwierigkeiten trotzdem immer weiter für Menschenrechte einsetzen. Ungeachtet von den möglichen Konsequenzen, die für sie persönlich oder ihr Umfeld drohen können. Das ist auf jeden Fall eine große Parallele zwischen all den Menschen, die wir interviewt haben und Fritz Bauer. Sein Zitat „Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich feindliches Ausland“ zeigt auch, dass er sich ständig weiter eingesetzt hat, anstatt den einfachen Weg zu gehen und zu sagen, er komme nicht richtig weiter. Das verbindet diese Menschen einfach; der große persönliche Antrieb, sich für die Menschenrechte einzusetzen.
Sie haben im Projekt zu Spenden aufgerufen und eine Spendenkampagne auf die Beine gestellt. Wie kam es dazu, das Projekt mit eine Spendenkampagne zu koppeln?
Magdalena Köhler: Das Fritz Bauer Forum gehört zur Buxus Stiftung, das ist eine gemeinnützige GmbH. Das Fritz Bauer Forum wird derzeit in Bochum gebaut. Wir ziehen in eine ehemalige Trauerhalle und das angrenzende Verwaltungsgebäude und sind für unsere Arbeit auf Spenden angewiesen, die uns unterstützen. Über den aktuellen Fortschritt der Baustelle und über unsere Arbeit kann man sich auch auf unserer Website informieren.
Schulen digitalisieren sich immer mehr. Glauben Sie, man kann die kommenden Generationen von Schüler*innen mit Hilfe dieser Virtual-Reality-Technologie besser informieren?
Tobias Fetzer: Ich weiß nicht, ob man sie besser informieren kann, aber auf jeden Fall anders. Im Zuge der Digitalisierung wird sich die Form von Bildung einfach ändern. Die Qualität bleibt abhängig von dem Material, was wir zur Verfügung haben und natürlich von den Lehrkräften selbst, die ja der maßgebliche Punkt darin sind, wie qualitativ gut oder schlecht Unterricht ist. Was wir allerdings schon glauben, ist, dass wir Schüler*innen mit eben dieser technische Ebene erreichen können. So ist es spannender anzusehen als ein Schulbuch, einfach auch, weil es sich bewegt und man damit interagieren kann. Vor ein paar Wochen haben wir auch mit einem Lehrer gesprochen, der uns helfen will, das für Lehrer*innen aufzubereiten.
Magdalena Köhler: Ich glaube auch dadurch, dass es eine Mischung aus Texten, Videos, Dokumenten und Fotos ist, ist es viel spannender anzugucken und auch die Interviews mit den Widerstandskämpfer*innen von heute heben das noch mal aus der rein historischen Sicht auf eine aktuelle Perspektive zu Menschenrechtskämpfer*innen weltweit hervor. Das bietet viele Anknüpfungspunkte für Schüler*innen aus verschiedenen Ländern oder Kulturen, sodass man da noch mal aus einem anderen Blickwinkel Interesse für dieses Thema und die Menschenrechte entwickeln kann.
Gab es persönliche Beweggründe für dieses Projekt oder für die Projektgestaltung?
Magdalena Köhler: Ich habe mich in meinem Studium sehr viel mit der Erinnerungskultur und mit der NS-Zeit beschäftigt, deswegen fand ich es spannend noch mal ein größeres Projekt dazu machen zu können. Vor allem betreue ich sonst auch die interaktive Fritz Bauer Bibliothek und es ist mir ein großes Anliegen zu zeigen, wie viele Wege und Arten es gibt, sich für Menschenrechte einzusetzen. Es ist wichtig zu zeigen, wie viele Menschenrechte täglich überall verletzt werden.
Tobias Fetzer: Das ist bei mir ähnlich. Eigentlich komme ich rein fachlich gesehen aus einem anderen Bereich. Ich beschäftige mich viel mit sozialen Bewegungen der Neuzeit nach 1945, aber eben auch mit der Erinnerungsgeschichte. Das konnte ich hier auch mal anwenden, um zu gucken, was genau passiert, wie genau der Erinnerungsmechanismus in der Holocaustforschung steht. Und eigentlich der wichtige Punkt: was kann man verändern?
Was glauben Sie, hat Widerstandskampf in der heutigen Zeit für eine Bedeutung und inwiefern könnte ein Mensch wie Fritz Bauer das beeinflusst haben?
Magdalena Köhler: Es ist wichtig die Idee von Widerstand zu verstehen, um auch im Alltag danach handeln zu können und sich auch gegen kleinere Verletzungen von Menschenrechten einzusetzen. Es ist auch Widerstand, wenn ich sehe, da wird jemand in der Straßenbahn ungerecht behandelt, auf rassistische oder sexistische Art beleidigt. Da einzugreifen, ist ein kleiner Akt von Widerstand und Einsatz für die Menschenrechte. Und wenn man sich anschaut, was Fritz Bauer sich überlegt hat, was er versucht hat und was er tatsächlich auf den Weg gebracht hat, ist das der Grundpfeiler dafür, Verständnis zu schaffen, warum wir uns auch heute noch für Menschenrechte einsetzen müssen.
Tobias Fetzer: Auch die Kombination, die Fritz Bauer ausmacht, Widerstandskämpfer und Jurist, zeigt uns, dass wir nicht permanent als Gesellschaft bei Widerstandsaktionen, sei es die letzte Generation oder andere, sofort nach härteren Gesetzen brüllen müssen. Stattdessen sollten wir uns auch darauf verlassen können, dass der Widerstand, solange er in einem gewissen Rahmen stattfindet, seinen Platz in einer Demokratie hat. Und genau diese Idee des humanistischen Justizsystems und Rechtssystems ist bei Bauer ein tragender Punkt, was Widerstandskämpfer*innen angeht und deren Legitimation. Es zeigt, dass Widerstandsaktivist*innen auch anders sein können, dass man sie auch bewundern kann, und es nichts schlimmes ist, sich für Menschenreche einzusetzen.
Magdalena Köhler: Fritz Bauer sagte auch, Demokratie sei kein Dampfer, dessen Kapitän man sich einfach anvertraut, sondern ein Boot, indem wir alle mitrudern müssen. Alle müssen ihren kleinen Beitrag dazu leisten, dass eine Demokratie funktioniert und es ist wichtig zu verstehen, dass es auch Arbeit erfordert und man sich dafür einsetzen muss.
Das Interview führten Larissa Michelle Fett und Ogulcan Öznurlular. Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang „Mehrsprachige Kommunikation” an der TH Köln.
Zusätzlich ist ein kurzes Videointerview zum Projekt entstanden, realisiert von Studierenden des BA Intermedia an der Universität zu Köln:
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