In die Tiefen der deutschen Wohnungspolitik
Im Podcast „Teurer Wohnen“ von detektor.fm und radioeins geht es um die Hintergründe und Folgen steigender Mietpreise in Deutschland. Durch investigative Recherchen und Experteninterviews werden Ursachen wie Gentrifizierung oder Immobilienspekulation beleuchtet. Der Podcast bietet Einblicke und Lösungsansätze im Feld der Wohnungspolitik und ist nominiert für den Grimme Online Award 2023 in der Kategorie Information. Im Interview erzählt Journalistin Charlotte Thielmann mehr zum Projekt und berichtet, wie sie den Podcast gemeinsam mit ihrem Team umsetzte.
Hattest du eine persönliche Motivation, zu diesem Thema investigativ zu forschen?
Charlotte Thielmann: Ursprünglich war es nicht meine Idee, diesen Podcast zu machen. Robert Skuppin, der damalige Chef von radioeins, hatte die erste Idee zum Thema Wohnen und traf sich mit unserem Geschäftsführer Christian Bollert, da detektor.fm und radioeins kooperierten. Ich bin quasi erst später zum Podcast dazugestoßen, als die Idee bereits existierte. Als jemand, der in Berlin studiert und mehrmals umgezogen ist, glaube ich nicht, dass es in Deutschland Journalist*innen oder überhaupt jemanden gibt, der nicht mit dem Thema in Berührung gekommen ist. Man kann dem Thema Wohnen in Großstädten einfach nicht ausweichen. Menschen, die keine Wohnung finden oder plötzlich wegen Eigenbedarf ausziehen müssen, sind allgegenwärtig.
Welche Reaktionen hast du von Betroffenen oder Investoren*innen auf den Podcast erhalten?
Charlotte Thielmann: Die Reaktionen auf den Podcast waren etwas überraschend für mich. Schon in der zweiten Folge erhielt ich eine Rückmeldung von einem Käufer, mit dem wir gesprochen hatten. Er schrieb mir direkt nach Veröffentlichung der ersten beiden Folgen: „Hey, danke für den Podcast, find ich super. Freue mich auf die nächsten Folgen“. Das hat mich überrascht, weil es nicht selbstverständlich war, dass er sich für ein Interview zur Verfügung gestellt hat, da er in der Position des „Bad Guy“ erscheint. Es ist jedoch etwas, das uns öfter passiert ist. Sowohl Käufer*innen als auch Vertreter*innen der Immobilienbranche haben sich bei uns gemeldet und gesagt: „Wir freuen uns, dass ihr das differenziert erzählt“. Auch von betroffenen Personen haben wir viele Rückmeldungen erhalten. Sie haben uns berichtet, dass sie ähnliche Situationen in ihrer Nachbarschaft, in ihrer alten Wohnung oder sogar im Elternhaus erlebt haben. Viele können sich in unserem Podcast wiederfinden, da sie Ähnliches erlebt haben oder von ähnlichen Erfahrungen in ihrem Umfeld wissen. Manchmal erhalten wir Anrufe von Menschen, die den Podcast nicht so toll fanden. Allerdings habe ich festgestellt, dass dies zu 98 % Personen waren, die sich über das Gendern geärgert haben. Sie sagten: „Ja, eigentlich ein interessantes Thema, aber mit dem Gendern kann ich nichts anfangen“. Das war die freundliche Variante, einige äußerten sich auch unfreundlich. Es ist schade, dass wir solche Reaktionen erhalten, besonders wenn so viele Leute schreiben, dass das Thema eigentlich spannend ist und sie erreichen wollen. Ich finde es etwas skurril, da wir in der Produktion die ganze Zeit besorgt waren und uns fragten: „Warum wollen keine Frauen mit uns sprechen?“ Die Zusagen, die wir bekamen, waren fast ausschließlich von männlichen Gästen. Am Ende haben zwar einige Frauen mit uns gesprochen, aber der Großteil waren Männer. Es war schwierig damit umzugehen und es hat mich überrascht, dass die Reaktion darauf lautete: „Es ist so ***** , dass ihr gendert“.
Wie hast du die Inhalte des Podcast recherchiert und welche Expert*innen und Betroffenen hast du für die Interviews ausgewählt?
Charlotte Thielmann: Die Inhalte des Podcast wurden in Teamarbeit recherchiert. Rabea Schloz und ich haben wochen- und monatelang gründlich nach Informationen gesucht, um alles über den Fall herauszufinden. Wir haben uns mit grundlegenden Fragen beschäftigt, wie z.B. die Funktionsweise der Bauordnung und die relevanten Unterlagen, die den Stadträten vorliegen. Wir haben Expert*innen konsultiert, deren Perspektiven jedoch nicht alle im Podcast zu hören sind, da es sonst zu überwältigend gewesen wäre. Diese Expert*innen werden am Ende der Folge erwähnt. Bei juristischen und wirtschaftspolitischen Feinheiten haben wir den Experten Christoph Trautvetter zu Themen wie der internationalen Steuerpolitik in Bezug auf die Zypern-Folge befragt. Zusätzlich haben wir auch Anwältinnen und Anwälte kontaktiert, die sich mit den Details des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes auskennen, um sicherzustellen, dass wir alles korrekt verstanden haben.
Gab es Gäste, die nicht kooperativ waren und aufgrund dessen nicht im Podcast zu hören sind und wenn es die gab, wie bist du mit diesem Widerstand im Generellen umgegangen?
Charlotte Thielmann: Es gab keine nicht-kooperativen Gäste im Podcast. Einige betroffene Personen wollten nicht mit uns sprechen, was verständlich war. Es gab auch Menschen, die sich bei uns meldeten und erklärten, dass ihre Wunden noch zu frisch seien und sie das Thema nicht erneut aufgreifen möchten. Als Journalist*in kann man das bedauern, aber man muss auch respektieren, wenn es ihnen nicht guttut. Die größte Herausforderung bestand darin, dass das Immobilienunternehmen nicht mit uns sprechen wollte. Es gehört zu einer seriösen Recherche, dass man auch die andere Seite zu Wort kommen lässt. Ich hatte zufällig den Geschäftsführer des Unternehmens getroffen und er hatte mir ein Interview zugesagt. Wir haben lange versucht Kontakt aufzunehmen und auf verschiedenen Wegen nachzufragen. Bis zum letzten Tag vor der Veröffentlichung bestand die Möglichkeit, dass sie sich noch melden und etwas beitragen, aber sie waren nicht interessiert.
Da du ja erwähnst, dass der Abriss von Altbauten in Berlin eigentlich verboten ist, denkst du, dass die Ausnahmeregelung (Schaffung von ein paar Quadratmetern mehr Wohnfläche) in dem Fall gegriffen hat und rechtmäßig ist? Oder ist das eine „Ausrede“?
Charlotte Thielmann: Ich denke, alles, was das Unternehmen in Berlin getan hat, war legal. Das ist jedoch für mich der eigentliche Skandal. Man könnte argumentieren, dass man solchen Unternehmen genauer auf die Finger schauen und die Verwaltung stärken sollte, um solche illegalen Aktivitäten zu verhindern. Obwohl es viele gesetzliche Rahmenbedingungen gibt, gibt es dennoch zahlreiche Möglichkeiten, die es Bauprojekten ermöglichen, diese Vorschriften zu umgehen und kaum reguliert zu werden. Die Politik hat praktisch keine Chance, einen Abriss zu verbieten, solange dadurch mehr Wohnraum geschaffen wird. Um dieses Problem anzugehen, müssten die Gesetze verschärft werden. Dies stellt jedoch einen schweren Eingriff in die Eigentumsrechte dar, die in Deutschland einen hohen Stellenwert haben. Es ist gut möglich, dass das Verwaltungsgericht dem Berliner Senat sagen würde: „So nicht“. Daher müsste man in der Politik kreativ werden. Einige Vorschläge beziehen sich beispielsweise auf den Klimaschutz, da Gerichte dies in der Vergangenheit hoch bewertet haben. Man könnte argumentieren, dass Abrisse im Zusammenhang mit Klimaschutzfragen eingeschränkt werden könnten, da der komplette Abriss und Neubau eines Hauses auch eine beträchtliche Menge an grauer Energie verschwendet.
Gibt es irgendwas, das du jetzt aus dem Podcast gelernt hast, was dich überrascht hat?
Charlotte Thielmann: Ja, eine Menge. Ich hatte bereits Interesse an Themen wie Wohnungswirtschaft, aber viele Details, die im Podcast besprochen wurden, waren mir vorher nicht bekannt. Es gab viele überraschende Erkenntnisse. Zum Beispiel war mir nicht bewusst, dass komplexe Steuersparmodelle völlig legal möglich sind. Ich dachte immer, entweder zahlt man ordnungsgemäß Steuern oder man betrügt das System. Aber das ist nicht der Fall. Es ist legal, sehr wenig Steuern zu zahlen. Das war eine interessante Entdeckung.
„Guten Journalismus gibt es öffentlich-rechtlich und auch privatwirtschaftlich, deshalb ist es wichtig, sich für ein ambitioniertes Format zusammenzutun“ – Wie war es für dich, im Rahmen dieser Kooperation zusammenzuarbeiten?
Charlotte Thielmann: Für mich war es großartig. Soweit ich weiß, gab es bisher keine solche Kooperation, zumindest nicht in dieser Größenordnung. Ich persönlich bin nicht mit den Details dieser Kooperation vertraut, wie die Verträge geregelt sind und wer was bezahlt. Das ist Sache der Chefs, mit denen ich nichts zu tun habe. In unserem Fall waren wir hauptsächlich mit der Recherche beschäftigt. Es gab eine gemeinsame Projektleitung, bestehend aus Stephan Siegert von detektor.fm, Diane Arapovic als Projektleiterin und Steen Lorenzen von radioeins. Sie bringen natürlich eine andere Erfahrung mit als wir. Bei detektor.fm produzieren wir Podcasts und haben wahrscheinlich mehr Podcasts gemacht als bei radioeins. Wir haben jedoch nicht so viel Erfahrung mit solch großen Projekten. Die Zusammenarbeit hat sehr gut funktioniert, weil sie einen anderen Blick darauf hatten, wie man solche langfristigen Projekte plant und einen Zeitplan erstellt. Manchmal ist man als Redaktion auch in seiner eigenen Blase, daher ist es immer gut, wenn jemand von außen draufschaut und sagt: „Ich verstehe nicht, was ihr da geschrieben habt“.
Welche Maßnahmen müssen deiner Meinung nach getroffen werden, um den Immobilienmarkt in Zukunft besser zu machen? In Bezug auf Wohngemeinnützigkeit, Barrierefreiheit und Sozialwohnungen.
Charlotte Thielmann: In der letzten Folge haben wir einige Maßnahmen besprochen, die jedoch nur eine kleine Auswahl der insgesamt möglichen politischen Maßnahmen darstellen. Wir haben uns für diese Maßnahmen entschieden, weil sie grundlegende Aspekte sind, die angegangen werden müssen. Eine wichtige Maßnahme ist, dass das System der zeitlich begrenzten Sozialwohnungen überdacht werden muss. Derzeit werden mehr Sozialwohnungen aus der Bindung genommen als neue gebaut werden. Dies führt langfristig zum Verschwinden von Sozialwohnungen. Die Politik muss hier dringend handeln. Des Weiteren muss die Politik Wege finden, um die explodierenden Grundstückspreise in den Großstädten zu kontrollieren. Die einfachste Lösung besteht darin, dass die Kommunen oder Städte die Grundstücke besitzen. Wenn die Grundstücke im Besitz der Kommunen oder des Landes sind, haben sie mehr Einfluss darauf, was dort gebaut wird. Im Moment ist es schwierig, beispielsweise Abrisse zu verhindern, da sie in privatem Besitz sind und der Schutz des Eigentums greift. Wenn jedoch die Stadt oder Kommune Eigentümer ist, können sie sagen: „Das ist unser Grundstück, wir bestimmen, was damit geschieht“. Dadurch erhält man die Möglichkeit, politisch Einfluss darauf zu nehmen, was gebaut wird.
Was ist deiner Meinung nach der Grund dafür, dass Modelle wie in Wien oder Ulm in Berlin und anderen Orten nicht implementiert werden können? Ist es wirklich überwiegend ein politisches Problem oder gibt es andere Gründe?
Charlotte Thielmann: Zunächst einmal muss gesagt werden, dass auch in Wien und Ulm nicht alles perfekt läuft. Dort gibt es sicherlich viele Menschen, die sagen würden: „Bei uns läuft es gerade auch nicht so gut“. Aber du hast recht, grundsätzlich haben sie vieles richtig gemacht. Berlin versucht zwar anzuknüpfen, aber es ist schwierig, weil Wien und Ulm seit 100 bis zu 150 Jahren viele positive Entwicklungen hatten. Wenn man über einen so langen Zeitraum kontinuierlich Grundstücke erworben und einen großen Bestand aufgebaut hat, hat man heute eine solide Grundlage, auf der man aufbauen kann. Im Gegensatz dazu haben andere Kommunen den Fehler gemacht, einen Großteil ihres Bestands zu verkaufen. Ein Beispiel ist Dresden, wo der gesamte kommunale Bestand verkauft wurde. Nun kann man nicht einfach mit einem Fingerschnipp sagen: „Wir kaufen alles zurück“. Abgesehen davon, dass zu einem Zeitpunkt verkauft wurde, als die Preisentwicklung auf dem Wohnungsmarkt und die politischen Einschätzungen nicht übereinstimmten. Jetzt, wo die Preise stark gestiegen sind, ist es für die Kommune schwierig zu sagen: „Wir kaufen alle Grundstücke und Immobilien zurück“. Dennoch gibt es Versuche, dies zu tun. Zumindest verkaufen die meisten Kommunen ihren verbleibenden Bestand nicht mehr. Stattdessen bieten sie beispielsweise Erbbaurechte an. Das bedeutet, dass Investoren 100 Jahre lang das Nutzungsrecht erhalten und darauf bauen dürfen. Nach 100 Jahren geht das Grundstück wieder in kommunalen Besitz über oder es wird neu verhandelt. Dadurch bleibt es langfristig im kommunalen Bestand. Dieser Ansatz wird bereits verfolgt, aber es ist ein langwieriger Prozess, der eine große Aufholjagd erfordert. Die gewählten Politiker müssen Maßnahmen ergreifen, die viel Geld kosten und sich erst in 20 Jahren auszahlen. Das ist für Politiker oft unattraktiv, da sie sich in den ersten vier oder fünf Jahren rechtfertigen müssen, warum der Haushalt schlecht aussieht. Es erfordert eine langfristige und nachhaltige Politik, die nicht sofortige Ergebnisse liefert, leider.
Das Interview führten Evely Arne, Moa Manu Stiefelmayer und Domenick-Asare Vogeler. Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang „Mehrsprachige Kommunikation“ an der TH Köln.
Zusätzlich ist ein kurzes Videointerview zum Projekt entstanden, realisiert von Studierenden des BA Intermedia an der Universität zu Köln:
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