„Die Welt ein bisschen smarter machen“: Wissenschaftsjournalismus auf YouTube
Wissenschaftsformate erfreuen sich immer größerer Beliebtheit, egal ob auf TikTok, Instagram oder YouTube. Auch Cedric Engels und sein Team sind mit dem Kanal „Doktor Whatson“ auf YouTube erfolgreich. Dort berichtet der Wissenschaftsjournalist über verschiedenste Themen, immer mit dem Ziel, seine 300.000 Abonnent*innen möglichst unterhaltsam zu informieren. „Doktor Whatson“ wurde für den Grimme Online Award 2023 in der Kategorie „Wissen und Bildung” nominiert. Im Interview gibt Cedric Engels einen Einblick hinter die Kulissen und spricht zudem über persönliche Erfahrungen und Ziele.
Was unterscheidet euch am meisten von anderen Wissenschaftsformaten? Was macht „Doktor Whatson“ so besonders?
Cedric Engels: Wir geben uns sehr viel Mühe, was die Aufbereitung angeht. Wir stecken viel Zeit in die Postproduktion, in Animationen, die das Erklärte veranschaulichen und auch schön sein sollen, aber auch in so etwas wie Stimmung und Schnitt und dazu passende Bilder. Wir geben uns auch sehr viel Mühe bei der Musikauswahl, um die richtige Stimmung zu erzeugen. Viele Mitarbeiter*innen sind ehemalige Filmstudierende, so wie ich auch. Dementsprechend möchten wir auch etwas machen, was wirklich ein Film ist, wo also auf mehreren Ebenen kommuniziert wird. Es ist uns wichtig, dass da nicht nur jemand ist, der einen Text vorliest und etwas erklärt.
Uns ist aufgefallen, dass ihr eine sehr große Bandbreite an unterschiedlichsten interessanten Themen habt. Nach welchen Kriterien entscheidet ihr, welches Thema für ein Video relevant genug ist?
Cedric Engels: Da gibt’s tatsächlich sehr, sehr viele verschiedene Gründe für. Der Wichtigste ist einfach, dass wir es interessant finden. Das war ganz, ganz lange mein eigenes Kriterium. Wenn ich gerne über etwas spreche und es total spannend finde, dann möchte ich auch ein Video darüber machen. Ein weiterer Faktor ist beispielsweise Relevanz. Während der Corona-Pandemie haben wir einige Videos gemacht, bei denen es uns egal war, ob es die Leute interessiert oder nicht, da wir in unseren Augen einfach darüber informieren müssen. Außerdem sind wir sehr stark analytisch getrieben und kriegen auch sehr viele Daten von YouTube. Da gucken wir dann zum Beispiel, welche Themenbereiche eher geklickt werden; Weltall- oder Gesellschaftsthemen, aber auch Zukunftstechnologien. Auch davon lassen wir uns leiten und versuchen, eine gute Mischung zu finden. Dann gibt es natürlich noch die Komponente Aktualität, wobei die bei uns tatsächlich eher gegenteilig ist. Wir wissen, dass wir relativ langsam sind, einfach weil wir für die Qualität, die wir bieten, wenig Leute sind. Wir haben eine lange Recherche- und Produktionsphase und sind auf jeden Fall immer late to the Party, und deswegen suchen wir uns eher die Themen aus, die langfristig relevant sind, sowas wie Klimakrise oder Nachhaltigkeit. Oder natürlich auch zeitlose Themen wie schwarze Löcher und alles, was mit dem Weltall zu tun hat.
In eurem 250.000 Abonnenten-Special „Wie viele Stunden stecken in einem Science-Video?“ wurde ein tiefer Einblick in den Produktionsprozess eurer Videos geboten. Kannst du noch einmal kurz zusammenfassen, wer für diese einzelnen Produktionsschritte verantwortlich ist und worauf es bei der Produktion besonders ankommt?
Cedric Engels: Also, wir haben hier verschiedene Abteilungen im Unternehmen aufgebaut. Wir haben einmal die Wissenschaftsredaktion, die die Themen recherchiert, die mit Expert*innen spricht und Interviews führt, die die Fakten auch noch mal gegencheckt und die auch für die Quellen verantwortlich ist. Das heißt, dass bei jeder Aussage für die Zuschauerinnen und Zuschauer klar ist, wo wir diese Infos herkriegen. Das ist in der Videobeschreibung auch alles angegeben. Wenn das dann einmal steht, gucke ich mir das Skript noch mal an, um es an meine Sprache und meinen Stil anzupassen. Dann geht’s ins Kamera-Department oder ins Doktor Whatson Studio, wo wir das Ganze drehen. Danach folgt die Postproduktion, die unsere größte Abteilung ist. Dort kommt der Schnitt, Musik wird unterlegt und das Color Grading sowie die Animationen passieren, das Video bekommt also seinen finalen Look. In der Produktion werden die Abläufe beobachtet und Deadlines festgehalten, damit das Ganze auch pünktlich online geht. Wir wollen schließlich jeden Sonntag ein Video veröffentlichen und müssen dementsprechend bis allerspätestens Freitag fertig werden.
Bei so viel Arbeit und Aufwand freut man sich sicher auch über viel Resonanz. Bei welchem Video hat es euch überrascht, dass es besonders viele oder wenige Zuschauer*innen gab?
Cedric Engels: Tatsächlich sind wir ständig überrascht davon. Was gut performt und was nicht, ist immer so eine Blackbox. Manchmal denkt man, das ist das coolste Thema aller Zeiten, und es performt einfach nicht so gut und manchmal ist es genau andersrum. Das Video über die grüne Mauer in Afrika hat inzwischen fast eine halbe Million Menschen erreicht, obwohl wir eigentlich das Gefühl hatten, dass Nachhaltigkeitsthemen eher nicht so gut geklickt werden. Da wir uns extrem wünschen, dass Nachhaltigkeitsthemen noch viel mehr Aufmerksamkeit bekommen, waren wir dann sehr glücklich zu sehen, dass sich die Leute auch dafür interessieren. Und dann gibt es natürlich auch noch Videos, die nicht so gut gelaufen sind, zum Beispiel über Medizin oder auch das Behind-the-scenes-Video. Das war dann vielleicht auch zu erwarten. Im Nachhinein denkt man sich immer: ist ja eigentlich logisch. Die Abonnent*innen wollen wirklich die Wissenschaftsthemen haben und interessieren sich dann leider nicht so sehr dafür, wie wir die Videos dann auch aufbereiten.
Man kann im Kommentarbereich eurer Videos gut erkennen, dass ihr dort sehr aktiv seid. Was ist euch besonders wichtig im Austausch mit der Community?
Cedric Engels: Es ist natürlich das Coole und Besondere an YouTube, dass man sehr viel Feedback bekommt und immer im Austausch steht. Ich liebe daran, dass man einfach sehr direkt weiß und hört, was gut ankam und was nicht. Die Leute sind auch sehr ehrlich. Also, wenn man mal einen Fehler macht, dann kriegt man das auf jeden Fall in den Kommentaren mit. Das sorgt natürlich auch dafür, dass man viele Dinge sehr persönlich nehmen kann, und ich glaube, man muss sich ein dickes Fell antrainieren, um das nicht an sich heranzulassen. Ich habe tatsächlich über die letzten Jahre gemerkt, wie ich immer weniger Kommentare lese, das tut mir auch ganz gut. Ich schaue schon noch rein, in die Top-Comments zum Beispiel, aber manchmal ist eben auch viel Quatsch dabei.
In deiner Podcast Folge bei Durchfechter sagtest du, dass es dich stört, dass du überwiegend männliche Zuschauer hast. Das ist jetzt allerdings schon eine Weile her, hat sich seitdem etwas an dieser Statistik verändert oder siehst du noch Verbesserungsbedarf? Und was sollte sich deiner Meinung nach in der Gesellschaft ändern, damit sich mehr Frauen für wissenschaftliche Themen interessieren?
Cedric Engels: Also, es hat sich seitdem ein bisschen verbessert, allerdings definitiv noch nicht genug. Am liebsten hätte ich natürlich, dass die Hälfte aller Zuschauenden Frauen sind. Das ist aktuell leider noch nicht der Fall, aber wenn ich es ändern könnte, würde ich es machen. Es ist aber auch so, dass auf YouTube ein gewisser Teufelskreis entsteht: wenn viele Männer bereits unsere Videos gucken, dann schlägt der Algorithmus diese auch mehr Männern vor. Mit einem bereits laufenden Kanal da auszusteigen oder gegenzusteuern ist schwierig. Deswegen müssen wir akzeptieren, dass es so ist. Trotzdem würde ich mir natürlich wünschen, dass es in der Gesellschaft ein gleiches Interesse aller Menschen für Wissenschaft gibt, für die wirklich wichtigen Themen unserer Zeit. Mag sein, dass Raketen oder schwarze Löcher vielleicht mehr Männer ansprechen – auch das ist viel Vorurteil und vielleicht auch viel Sozialisierung – aber die wirklich wichtigen Themen unserer Zeit, wie Klimakrise, Vegetarismus und Veganismus werden sowieso viel mehr von Frauen thematisiert, was ich super und sehr wichtig finde.
Um noch mal auf die Podcast-Folge zurückzukommen: Du erwähntest, dass du mal mit einem OP-Roboter arbeiten durftest, das haben wir uns sehr aufregend vorgestellt. Gibt es darüber hinaus Ereignisse in dem Zusammenhang mit deiner Tätigkeit als Wissenschaftsjournalist, die dich besonders geprägt haben?
Cedric Engels: Ich darf ständig sehr coole Dinge tun. Ich bin schon in einem Fusionsreaktor drin gewesen oder durfte auch ein Modell eines Roboters steuern, der auf dem Mond fahren kann und das macht einfach sehr viel Spaß. Es ist extrem cool und manchmal glaube ich kaum, dass ich das machen darf und die Möglichkeit dazu habe, Dinge zu tun, an die viele Leute nicht rankommen. Das ist natürlich auch eine gewisse Verantwortung, aber auch einfach cool, Leuten dann durch meine Perspektive zeigen zu können, was alles gerade passiert in der Welt. Ich bin immer noch der Meinung, dass wir gerade in der spannendsten Zeit leben, weil noch nie so viel passiert ist, noch nie so viel Wissen in der Menschheit existierte und der technologische Fortschritt noch nie so schnell vorangeschritten ist. Darüber zu berichten, das festzuhalten, das mit anderen Menschen zu teilen, macht mir sehr, sehr viel Spaß, und deswegen bin ich sehr glücklich, dass ich genau diesen Job ausführen darf.
In einem Interview aus dem Jahre 2019 sagtest du, dass Elektroautos dein absolutes Lieblingsthema sind. Ist das heute immer noch der Fall?
Cedric Engels: Inzwischen ist das nicht mehr mein Lieblingsthema. Ich habe das eine Zeit lang auf jeden Fall sehr stark verfolgt und bin auch weiterhin noch von vielen Aspekten sehr überzeugt, zumindest im Vergleich zu Verbrennerautos. Ich habe inzwischen aber auch für mich in der Recherche rausgefunden, dass zum Beispiel Städte weder von Verbrennerautos noch von Elektroautos profitieren und Elektroautos daher sowieso der falsche Weg sind. Inzwischen habe ich auch gar kein Auto mehr und fahre mit dem 49-Euro-Ticket quer durch Deutschland. Damit bin ich auch zufrieden. Dementsprechend ist das nicht mehr mein Thema. Ich glaube, das gehört aber auch dazu, manchmal so seine Themen zu haben, die einen begeistern, das ist dann aber auch irgendwann wieder vorbei, und zu der Zeit waren das E-Autos. Jetzt gerade bin ich mitten im Selbstexperiment vegan leben, worüber wir auch eine Doku drehen. Wie gehts mir damit? Wie reagiert mein Umfeld darauf? Was macht mein Körper und auch: ist es wirklich umweltfreundlich? Wie teuer ist es? All diese Fragen möchten wir beantworten. Das ist also das, womit ich mich gerade viel beschäftige.
Du sagtest in der Podcast-Folge bei Durchfechter, dass du dich in Zukunft nicht auf YouTube siehst. Welche Ziele und Wünsche hast du stattdessen?
Cedric Engels: Ja, also da sprechen wir natürlich über die weite Zukunft, von zehn Jahren oder so. Ich sehe mich weiterhin auf jeden Fall dabei, Wissenschaft zu kommunizieren und weiterhin auch in der Medienbranche. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich das noch selber machen werde in zehn Jahren oder ob ich nur „behind the scenes” aktiv bin. Das will ich offenlassen und schauen, wie es mir in der Zeit dann geht, was mich interessiert und wie meine persönlichen Lebensumstände sind. Aktuell ist mein Ziel, meine Firma so aufzubauen, dass wir coole Videos und auch andere Formate wie Podcasts oder Livestreams entwickeln, mit denen wir Wissenschaft und Wissen vermitteln und die Welt ein bisschen smarter machen. Das sind unsere Werte, das ist unser Ziel, und mein persönliches Ziel ist, das Ganze so aufzubauen, dass es auch ohne mich funktionieren würde und nicht alles von mir abhängig ist. Wenn ich das schaffe, dann bin ich mir sehr sicher, dass ich auch weiterhin selbst Projekte machen werde, aber ich muss es dann nicht machen. Und ich glaube, genau diese Freiheit hätte ich total gerne.
Das bedeutet, du möchtest gerne weiterhin Wissenschaft an den Mann und an die Frau bringen?
Cedric Engels: Die Zukunft ist ungewiss. Wer weiß, wie lang YouTube noch existiert, Social-Media-Plattformen kommen und gehen. Da bin ich ehrlich mit mir selber und mit allen anderen: ich bin mir sehr sicher, dass ich mit 60 Jahren nicht mehr auf YouTube sein werde. Aber das ist auf keinen Fall eine Ankündigung, dass das Ganze bald schon aufhört. Ich werde bestimmt auch die nächsten Jahre auf jeden Fall noch Wissenschaft auf dem Kanal „Doktor Whatson“ vermitteln.
Das Interview führten Luisa Becker und Carina Rengers. Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang “Mehrsprachige Kommunikation” an der TH Köln.
Zusätzlich ist ein kurzes Videointerview zum Projekt entstanden, realisiert von Studierenden des BA Intermedia an der Universität zu Köln:
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