Unternehmen unter der Lupe: Greenwashing oder Weltverbesserer?

Nachhaltige Putzmittel, langlebige Pfannen und recycelte Sneaker – Werbeversprechen, bei denen wir mit gutem Gewissen einkaufen gehen. Doch sind diese Versprechen vertrauenswürdig oder nur Imagepolitur? Ob es für diese Versprechen eine fundierte Grundlage gibt, deckt das Startup Flip mit seinem investigativ-kritischen Journalismus auf. Seit 2020 recherchiert das Team, um die Welt zu einem nachhaltigeren und besseren Ort zu machen. Dabei entscheiden nicht die Journalisten, ob eine Idee oder ein neues Produkt nachhaltig ist, sondern die Community, die alle zwei Wochen mit neuen Recherchen in Form eines Newsletters gefüttert wird. Investigativ, partizipativ, aktiv.

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Screenshot „Flip“

Flip ist für den Grimme Online Award 2022 in der Kategorie Spezial nominiert. Im Interview erklärt Co-Gründer und Journalist Felix Rohrbeck, wie die Gründer mit ihrer Idee eine Nische im Journalismus gefunden haben, indem sie nicht nur meckern, sondern nach Lösungen für eine bessere Wirtschaft schauen.

Im Jahr 2021 hat Flip zusammen mit dem NDR, der ZEIT, dem Format STRG_F sowie deutschen Promis ein großes Projekt gestartet. Ihr wart auf Sneakerjagd und habt mithilfe von GPS-Sendern verfolgt, wo die Sneaker nach der Altkleidersammlung oder Rücknahmestelle landen. Flip habt ihr schon im Jahr 2020 gegründet. Wie kam die Idee und wie habt ihr euch gefunden?

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Screenshot „Flip“

Wir haben Flip gegründet, weil wir das Gefühl hatten, es wäre gut, wenn man nicht immer nur sagen würde, was alles schiefläuft in der Wirtschaft. Wir wollten auch sagen, wie es besser werden kann. Christian Salewski und ich haben als Investigativjournalisten in der Vergangenheit große Skandale wie Cum-Ex aufgedeckt und gespürt, dass es, wenn man immer nur negative Aspekte der Wirtschaft beleuchtet, für die eigene Psychohygiene auf Dauer ungesund und auch für die Leserschaft frustrierend ist. Christian Sothmann und Dominik Sothmann, die anderen beiden Mitgründer, kommen aus der Wirtschaft und hatten Lust, ganz konkret etwas zum Guten zu verändern. Mit ihnen haben wir Flip dann zusammen entwickelt und versucht, den Brückenschlag vom Investigativen zum Konstruktiven hinzubekommen. Das erste große Projekt dahingehend war die Sneakerjagd, bei der wir herausfinden wollten, was wirklich mit unseren alten Schuhen passiert. Da gibt es große Versprechen von den Herstellern wie Nike, dass die Schuhe nach der Entsorgung recycelt werden, sodass man mit gutem Gewissen immer mehr Schuhe kaufen kann. Wir haben uns gefragt, ob das wirklich so ist. Und dann haben wir mit der Sneakerjagd losgelegt.

Kannst du uns das Konzept von Flip erklären?

Der Kerngedanke von Flip ist, dass wir eine bessere, nachhaltigere und gerechte Wirtschaft möchten und dazu einen Beitrag leisten wollen. Viele Unternehmen behaupten, sie würden die Welt zum Besseren verändern und betreiben aber Greenwashing. Wir wollen Greenwashing aufdecken, denn wir glauben daran, dass man als Konsument*in eigentlich viel Macht hat, aber genau dieser Machthebel geht durch Greenwashing wieder verloren, weil die Leute gar nicht mehr wissen, was wirklich hilft und was nicht. Wir wollen aber nicht nur aufdecken, sondern auch sagen, wenn etwas wirklich Sinn macht. Also schauen wir uns Produkte, Unternehmen oder Petitionen an, die für eine bessere Wirtschaft stehen. Wir recherchieren dann, ob diese Idee wirklich ein Problem löst, oder nur so tut. Unsere Rechercheergebnisse schicken wir dann alle zwei Wochen als Newsletter an unsere Community. Sie kann dann abstimmen: Ist die Idee ein Flip oder ein Flop? Wir als Journalisten haben gelernt, wie man recherchiert. Die Entscheidung, ob eine Idee gut oder schlecht ist, treffen aber unsere mittlerweile mehr als 11.000 Abonnent:innen. Ein interaktiver Ansatz, bei dem die Community entscheiden und mitmachen kann.

Damit eure Follower den Content lesen können, bereitet ihr das in einem Newsletter auf, der freitags erscheint. Wie kamt ihr auf die Idee, das in einem Newsletter aufzubereiten und nicht direkt auf der Website bereitzustellen, sodass es auch für eine breitere Leserschaft abrufbar ist?

Als wir Flip gegründet haben, haben wir uns überlegt, wie wir möglichst schnell und mit wenig Aufwand viele Menschen erreichen können. Der Gedanke war: Wie kann man die Grundidee mit einem ganz kleinen Produkt schnell verwirklichen? Einen Newsletter zu produzieren ist aus technischer Sicht schnell gemacht. Zudem ist ein großer Vorteil, dass man mit einem Newsletter die Menschen aktiv erreicht. Sie entscheiden sich einmal dafür, unseren Newsletter zu abonnieren, der dann alle zwei Wochen in die Inbox flattert. Wenn die Geschichten nur auf unserer Flip Website stünden, müssten die Leute ja selbst daran denken, diese immer mal wieder zu besuchen. Ich habe aber auch gemerkt, dass es die Art von Journalismus verändert. Man landet bei den Menschen aus der Community in der persönlichen Inbox und es herrscht ein etwas anderer, vertrauterer, lockerer Ton beim Texten.

Nun habt ihr die erste Flip-Box angeboten: bestehend aus eurem Magazin und fünf Produkten, die von eurer Community auf einer Skala von 1 bis 10 mit einem Score von mindestens 7,5 bewertet wurde. Jeder und jede kann die Box kaufen und somit nachhaltige Produkte unterstützen. Wollt ihr diese Box zukünftig vergrößern oder werden die fünf Produkte hin und wieder ausgetauscht?

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Screenshot „Flip“

Die Box war ein erster Versuch, einen Schritt über das hinauszugehen, was Journalist*innen normalerweise machen. Wir haben uns getraut, die von uns gecheckten Produkte auch zum Kauf zu empfehlen. Weil die Verbraucher*innen am Ende wissen wollen, wie sie im Alltag zu einer besseren Welt beitragen können. Das Magazin haben wir beigelegt, um den journalistischen Kern zu stärken und über die Problematik und Geschichte hinter den Produkten zu informieren. Anfänglich haben wir uns viele Gedanken gemacht, ob das auf Kritik stoßen könnte. Ist es aber nicht. Im Gegenteil. Ich glaube, das hat auch damit zu tun, dass wir nicht wahllos irgendwas verkaufen. Bei unserer Box hängt alles zusammen: Der Journalismus steht am Anfang, wir testen, die Community entscheidet und erst dann kommt es in die Box. Das macht Sinn. Die Box war hier ein Testballon, ob dieser didaktische Ansatz funktioniert. Ich glaube dennoch, dass die Flip Box in Zukunft nicht alle ein, zwei Monate mit anderen Produkten rauskommt. Wir sind gerade dabei, ein etwas anderes Geschäftsmodell zu entwickeln.

Eure Flip-Themenauswahl reicht von nachhaltigem Banking, technisch-innovativen Produkten bis hin zu ökologischen Hygieneartikeln. Nach welchen Kriterien wählt ihr neue Flip-Themen aus?

Wir kriegen viele Vorschläge von unseren Leser*innen, die irgendwo was gesehen oder davon gehört haben und wissen wollen, ob das wirklich nachhaltig ist. Dann setzen wir uns auch viel mit Instagram auseinander. Für viele grüne – oder vermeintlich grüne Start-Ups – ist diese Plattform der wichtigste Werbekanal. Durch Instagram sind wir beispielsweise auf everdrop und deren Putzmittel-Tabs aufmerksam geworden. Ab und an gibt es aber auch große Themen, bei denen wir erst einmal überlegen, wie wir das den Leser*innen und Verbraucher*innen zugänglich machen können. Ein Beispiel ist der Bereich Wohnen und Häuserbau, der für einen sehr großen Teil der CO2-Emissionen verantwortlich ist. Er ist aber für uns schwerer zu greifen, weil es kein konkretes Produkt gibt, wir aber immer eine konkrete Idee vorstellen wollen. Beim Thema Wohnen haben wir uns dann mit den Architects for Future beschäftigt, einer Initiative, die sich für Nachhaltigkeit im Bauwesen einsetzen.

Bei welchem der bislang veröffentlichten Artikel überraschte euch das Rechercheergbnis am meisten?

Vermutlich bei everdrop, weil wir zuerst gedacht haben, dass es sich um eine sehr gute und sinnvolle Idee handelt. everdrop vermarktet Putzmittel-Tabs, die sich in einer Flasche auflösen, sodass man nicht ständig neue Plastikflasche benötigt. Bei unserer Recherche stießen wir dann aber auf immer mehr Fragezeichen, sodass bei uns der Verdacht aufkam, dass es sich um Greenwashing handeln könnte. Zwei Monate haben wir uns intensiv der Recherche gewidmet. Am Ende kam raus, dass hier einfach viel aufgeblasen wurde und völlig unklar ist, ob die Tabs unter dem Strich überhaupt etwas bringen.

Überrascht wurden wir auch bei der Verfolgung der Schuhe von Carolin Kebekus im Rahmen der Sneakerjagd. Diese hatten wir in eine der Recycling-Boxes von Nike geworfen und die Schuhe landeten laut GPS-Signal irgendwann in Belgien. Nike wollte uns keine Auskunft darüber geben, wo die Schuhe eigentlich recycelt werden sollten, deshalb fuhren wir dann einfach selbst hin. Es war ein schöner Sommertag und wir kamen irgendwann auf einem Grundstück mit einer großen Halle an. Die Türen standen offen und man konnte sehen, dass hier vor allem neue Schuhe geschreddert wurden. Damit hätten wir niemals gerechnet. Das ist auch das Gegenteil von nachhaltig, wenn man etwa Retouren dort zerstört.

Ihr lüftet Geheimnisse, die aus Sicht der Unternehmen lieber ungelüftet bleiben sollten. Gab es noch andere Reaktionen auf bestimmte Enthüllungen?

Ich will hier gar nicht so sehr auf Einzelfälle eingehen. Insgesamt aber lassen sich zwei Arten von Unternehmen unterscheiden. Die einen machen ihre Hausaufgaben, betrachten erst mal genau das Problem und überlegen, wie man dazu beitragen könnte, es zu lösen. Dann rechnen die auch mal durch, ob es unter dem Strich wirklich etwas verbessert. Erst dann gehen sie an den Markt. Diese Unternehmen sind dann meistens auch sehr transparent und können unsere Fragen beantworten. Auf der anderen Seite gibt es Unternehmen, die ihre Hausaufgaben nicht wirklich gemacht haben. Die haben eine Idee und investieren dann hohe Summen in Marketing, Social Media oder Influencer-Kooperationen, können ihre Zahlen aber oft nicht belegen oder versprechen einfach viel zu viel. Nicht selten ist gerade diese Art von Unternehmen aber sehr erfolgreich. Hier genauer hinzuschauen ist eine der Aufgaben von Flip und unsere Recherchen treffen, glaube ich, einen Nerv. Die Leute wollen sich nicht verarschen lassen und sind dankbar, wenn da jemand ganz konkret recherchiert: Stimmt es eigentlich, was die da behaupten?

Dann wären wir bei der letzten Frage. Wie kann es deiner Meinung nach gelingen, dass Unternehmen zukünftig wirklich Verantwortung beim Thema Nachhaltigkeit übernehmen?

Ich glaube, dass man ihnen tatsächlich auf die Finger schauen muss. Greenwashing muss so teuer werden, dass es sich nicht lohnt. Auf der anderen Seite muss es sich auszahlen, wenn man es ernst meint.  Zu dieser übergeordneten Mission wollen wir mit Flip beitragen.

Das Interview führten Melina Guebbas und Björn Engelhard. Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang „Mehrsprachige Kommunikation“ an der TH Köln.

Benedikt Dietsch und Felix Rohrbeck (Flip). Foto: Rainer Keuenhof / Grimme-Institut

Benedikt Dietsch und Felix Rohrbeck (Flip).
Foto: Rainer Keuenhof / Grimme-Institut