„Mehr mitteilen, mehr kommunizieren“: Philosophie auf Augenhöhe

Philosophie auf YouTube? Funktioniert! Ein philosophischer Blick auf große und alltägliche Themen des Lebens sind das Hauptmerkmal von „Scobel“. Im gleichnamigen YouTube-Kanal betrachtet der Philosoph Gert Scobel auf verständliche und sehr innovative Art und Weise komplexe Sachverhalte wie die Pandemie oder den Ukrainekrieg, aber auch allgemeine Themen wie die Nutzung von sozialen Netzwerken in einem interdisziplinären Licht.

Screenshot "Scobel"

Screenshot „Scobel“

Der YouTube-Kanal „Scobel“ ist für den Grimme Online Award 2022 in der Kategorie „Wissen und Bildung“ nominiert. Gert Scobel und Redakteurin Stephanie Keppler bieten im Interview einen Blick hinter die Kulissen und beweisen, dass nicht nur die berüchtigten bunten Hemden den Kanal besonders machen.

Seit rund zwei Jahren ist mit Scobel ein Philosoph auf YouTube unterwegs und eröffnet mit seinen Videos einen interdisziplinären und philosophischen Blick auf ganz unterschiedliche Themen. Philosophie und YouTube – komplexes Denken auf einer eher schnelllebigen Plattform? Wie entstand die Idee, für Scobel YouTube zu nutzen?

Scobel

Gert Scobel Stephanie Keppler (Scobel).
Foto: Rainer Keuenhof / Grimme-Institut

Stephanie Keppler: Die Fernsehsendung gibt es weiterhin als Livesendung auf 3sat. Im Grunde macht der YouTube-Kanal da weiter, wo die Sendung aufhört. Zumindest bei manchen Themen. Der Grundgedanke ist, dass man am Ende der einstündigen Talkshow eine Erkenntnis gewonnen hat, die es noch weiter auszuführen gilt. Das, was YouTube für uns attraktiv macht, ist zum einen, dass es weder festgelegte Sendezeiten noch eine festgelegte Dauer der Videos gibt. Wir können alles machen, was wir wollen, wobei wir uns natürlich um eine gewisse Form bemühen. Aber YouTube hat viel mehr Freiheiten und bietet mehr Spielräume als das lineare Fernsehen.

Gert Scobel: Ich persönlich habe ein philosophisches Interesse und das kann ich in der Sendung nur bedingt unterbringen. Wenn man aber so eine privilegierte Position hat wie wir, bzw. wie ich sie habe, dann muss man einfach noch mehr mitteilen, noch mehr kommunizieren und das mache ich. Ich glaube, dass viele Sachverhalte eine ganze Menge von Leuten interessieren, wenn man ihnen auf Augenhöhe begegnet und nicht von oben herab zu ihnen spricht. Wir versuchen aufzuzeigen, dass die Wirklichkeit leider ziemlich komplex ist. Komplexer als das, was in der Regel kommuniziert wird, und haben dabei die Hoffnung, dass unsere Zuschauer daraus eine Erkenntnis gewinnen. Das ist meine Grundeinstellung zu der Sache.

Die Themen der Videos sind sehr vielfältig. Wie wird entschieden, welche Themen behandelt werden? Gibt es gewisse Kriterien, nach denen entschieden wird?

Screenshot "Scobel"

Screenshot „Scobel“

Stephanie Keppler: Wir haben eine Themensammlung. Die ist, glaube ich, inzwischen eine drei Kilometer lange Tapete. Wir haben irgendwann gemerkt, dass wir auch gerne auf aktuelle Geschehnisse reagieren wollen. Es gibt bestimmte Themenschwerpunkte, von denen wir inzwischen auch gemerkt haben, dass die Zielgruppe sie sehr mag. Letztendlich gibt es auch Momente, wo Gert sagt: „Ach, ich schreib mal schnell was über den Sinn des Lebens“ und drei Stunden später haben wir ein Skript, von dem wir sagen: Ja, so machen wir es. Genau so und nicht anders. Den Raum brauchen wir und den dürfen wir auch füllen.

Wie lange dauert die Vorbereitung eines neuen Videos, von der Idee bis zur Umsetzung?

Gert Scobel: Die Postproduktion ist schwieriger, je nach Video, weil wenn es länger ist, muss zum Beispiel unser Zeichner Claus Ast einfach mehr zeichnen. Er muss oft auch neue Sachen zeichnen und das braucht ja auch Zeit. Das kann man so Pi mal Daumen nicht sagen, wie lange das jeweils mit der Postproduktion dauert, ist unterschiedlich.

Stephanie Keppler: Es hängt total von der Länge ab. Tatsächlich davon, was sozusagen die Illustrationen angeht und wie figürlich das Thema ist. Letztendlich haben wir da natürlich auch noch einen kreativen Raum mit Claus Ast, den wir sehr lieben, den er auch füllen soll. Er zieht eine Ebene in die sehr anspruchsvollen Videos ein, die einen kleinen, heiteren und leichteren Aspekt da reinbringen. Das ist manchmal ganz vordergründig und manchmal eben sehr hintergründig, aber immer sehr hilfreich.

Gibt es eine Art Skript für das YouTube-Video oder wird frei gesprochen?

Screenshot "Scobel"

Screenshot „Scobel“

Gert Scobel: Wir haben mit dem iPad im Prinzip ein Teleprompter-System. Wir wären nie in der Lage, vier, manchmal ja sogar fünf Videos, die ja zum Teil 20 Minuten lang sind, in ein paar Stunden zu produzieren, wenn ich das so frei machen würde.

Wir haben uns für diese Methode entschieden und ich glaube, man sieht es bei mir auch nicht so stark. Es wirkt relativ frisch und ich benutze den Prompter immer so, dass ich zwischendrin auch mal ein Wort umändere oder mal auch einen Satz einfüge. Dadurch hat das ja immer noch eine gewisse Lebendigkeit und solange die gewahrt ist, ist es völlig egal, was man dafür für Mittel benutzt.

Zuvor lief das Programm wöchentlich auf 3sat. Seit 2019 ist „Scobel“ auf YouTube online. Hat sich das Publikum durch die neue Plattform geändert? Beispielsweise hinsichtlich des Alters?

Stephanie Keppler: Ja, absolut. Es ist kein Geheimnis, dass wir durch den YouTube-Kanal ein Publikum erreichen, das wir mit der linearen Fernsehsendung nicht mehr erreichen. Ich würde fast behaupten, dass auf YouTube dann die Kinder und Enkel der Zuschauer zu finden sind. Über die Hälfte ist tatsächlich unter 35 Jahren. Es ist teilweise also schon ein ganz anderes Publikum. Zum Beispiel hat jemand mal unter eins der Videos kommentiert, dass Gert ein toller Typ sei, der seine eigene Fernsehsendung haben solle.

Ihre interdisziplinäre und philosophische Sicht auf Themen lädt zum eigenen Nachdenken ein und kann Diskussionen auslösen. Wie gehen Sie um mit Kommentaren und Diskussionen, die sich zu Ihren YouTube-Videos entwickeln?

Screenshot "Scobel"

Screenshot „Scobel“

Gert Scobel: Ich bin glücklich über die Kommentare, die wir haben. Wirklich, die sind richtig toll! Da bilden sich Dialoge und man sieht ein richtiges Weiterdenken und Mitdenken. Das zeigt, dass das Internet ein gutes Kommunikationsmedium sein kann, auch wenn es das oft nicht ist. Ich gebe zu, dass ich es aus Zeitgründen leider gar nicht schaffe, mich richtig an den Kommentaren zu beteiligen. Aber neulich gab es seit längerem mal wieder einen Kommentar, bei dem ich dachte, dass das eine zutreffende Kritik und ein gutes Argument sei. Darauf musste ich dann einfach antworten, aber normalerweise schaffe ich das einfach nicht.

Stephanie Keppler: Der gute Umgang innerhalb unserer Community ist wirklich wertvoll. Wir haben da Menschen, die ein Erkenntnisinteresse haben und sich dementsprechend in den Kommentarspalten äußern. Im Vergleich zu anderen Kanälen, wo mehr ausgeteilt wird, haben wir bei uns eine kleine Insel der Seligkeit. Uns ist es deshalb wichtig, dass die Community weiß, wie sehr wir das wertschätzen und wir werden demnächst wieder ein Video machen, um zu zeigen, dass wir ihre Fragen lesen und goutieren. Wobei die am häufigsten gestellte Frage immer noch die nach den Hemden ist.

Wie entscheiden Sie, welche persönliche Meinungen Sie mit Ihrer YouTube-Community teilen und welche Ansichten vielleicht nicht für YouTube geeignet sind? Ist das etwas, über das Sie nachdenken?

Gert Scobel: Nachdenken tue ich darüber. Was ich probiere, ist bei philosophischen Themen einerseits eine existenzielle Ebene aufzumachen, also eine Ebene, über die klar wird, dass das, was ich behandle, Sachen sind, die einem auch im Alltag begegnen können. Andererseits versuche ich, inhaltlich solide zu sein. Was ich damit meine, ist, dass ich mich beispielsweise mit jemandem wie Hegel seit 20 Jahren beschäftige und die Diskussion kenne. Bei dem Video, das wir darüber gemacht haben, habe ich mir vorgestellt, was jemand, der noch nie davon gehört hat, damit anfangen kann oder was der- oder diejenige wissen muss, um das besser verstehen zu können. Klar ist da überall irgendwo Meinung und Auslegung drin, aber in erster Linie versuche ich, bei allen Sachverhalten den Stand der Dinge darzustellen, und referiere dabei auf andere Philosophen. Ich äußere schon auch persönliche Meinungen und Vermutungen, aber dann mache ich die auch als meine kenntlich.

Bei etwas schwierigeren Themen versuche ich, mit einem philosophischen Instrumentarium an die Sache zu gehen, meine Analyse verständlich zu machen. Ich male mir zwar aus, wie die möglichen Reaktionen sein könnten, aber vertraue da auf unsere Community.

Hat sich seit Ihrem Auftritt auf YouTube für Sie persönlich etwas verändert? Würden Sie sagen, das Interesse an Ihrer Person ist dadurch gestiegen?

Gert Scobel: Ich war wirklich im Laufe der Zeit erstaunt, von wie viel jungen Leuten ich inzwischen angesprochen werde, also wo ich denke, woher kennen die mich jetzt? Was früher mit Fernsehen wirklich überhaupt nicht so war. Das ist wirklich super, weil mir das so in den letzten anderthalb Jahren ein paar Mal richtig tolle Gespräche mit jüngeren Leuten eingebracht hat. Ich finde das super belebend. Ich bin da aus meiner alten Blase ein bisschen rausgekommen.

Wohin könnte sich Scobel Ihrer Meinung nach entwickeln? Ist ein Ausbau auf andere Plattformen wie Instagram oder TikTok möglich?

Stephanie Keppler: Wir können hier leider keine strategischen Überlegungen des Hauses verraten. Ab und zu machen wir Ideen-Aktionen, die dann auch mal über die Facebook-Kanäle des Hauses gehen. Und wenn es ein neues Video gibt, bewerben wir das auch über Twitter. Aber wir tragen nicht die Inhalte dahin.

Das Interview führten Silvia Abiyeme de Bertolini und Sita Konate. Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang “Mehrsprachige Kommunikation” an der TH Köln.

Screenshots aus Zoom-Interview: Stephanie Keppler und Gert Scobel

Screenshots aus Zoom-Interview: Stephanie Keppler und Gert Scobel