Das Ende endloser Diskussionen
Am 29. Januar 2021 erntete der WDR mit der Wiederholung seiner Talkshow „Die letzte Instanz“ einen Shitstorm: Eine rein weiß besetzte Runde ließ sich ohne jede Sachkenntnis unter anderem über rassistische Sprache aus. Als Reaktion darauf lud Enissa Amani auf eigene Faust fünf Expert*innen – u.a. zu Antirassismus, Antisemitismus und Antiziganismus – ein und setzte mit „Die beste Instanz“ ein Zeichen für eine fundierte Auseinandersetzung mit diesen Themen.
Die Talkshow „Die beste Instanz“ ist für den Grimme Online Award 2021 in der Kategorie „Spezial“ nominiert. Im Interview spricht Enissa Amani über die Hintergründe der Talkshow und wie sie selbst begonnen hat, sich vermehrt öffentlich politisch zu äußern.
Zu Beginn deiner Talkshow „Die beste Instanz“ hast du bereits kurz erklärt, dass die Idee zur Show dadurch entstanden ist, dass der WDR nach Ausstrahlung der Talkshow „Die letzte Instanz“ nicht in einen neuen öffentlichen Diskurs mit Menschen gegangen ist, die sich tatsächlich mit dem Thema Rassismus auskennen und betroffen sind. Kannst du uns erzählen, wie der Ablauf von der Ideenfindung bis zur Umsetzung der Show verlaufen ist?
Für mich kam das Statement von dem WDR nicht schnell genug und nicht massiv genug. Bei etwas, was so eine Welle geschlagen hat, so langsam zu reagieren und lediglich einen Instagram Post zu verfassen, das erwartet man von einem Blogger, aber nicht von einem großen Sender wie dem WDR mit Mitteln, Macht und Einfluss. Deshalb habe ich vorher oft bei denen kommentiert: „Macht bitte eine Expertisenrunde.“ Als dann nur so eine Standard-Antwort wie „Danke für deine Anregung“ kam, habe ich mit meinem Creative Director Erhan, der zum Glück studierter Regisseur ist, telefoniert und ihm gesagt, ich möchte eine Talkshow machen und selbst Gäste einladen. Das war am Montag. Ich habe damit gerechnet, dass er sagt, das sei nicht machbar wegen Corona, oder einfach so schnell nicht umsetzbar. Dann sagt der mir: „Donnerstag oder Freitag, wenn du weißt, wer die Gäste sein sollen.“ Erhan hat mir die Regie überlassen und selbst die Produktion gemacht, und ich habe meinen Creative Advisor, Sam Shamami, für die Redaktion dazu genommen. Wir waren also ein Mini-Team und dementsprechend hatte jeder gefühlt 30 Aufgaben in vier Tagen. Das war wirklich viel Stress. Die erste Location ging nicht, eine andere auch nicht. Da, wo wir im Endeffekt gedreht haben, hatte ich als Kind Klavierunterricht. Dort haben früher Sozialhilfekinder für 25€ pro Woche Musikunterricht bekommen. Das ist für mich jetzt auch symbolisch sehr schön. Dann habe ich die Gäste angerufen, da gab es natürlich auch ein Hin- und Her wegen dem Mini-Zeitfenster. Ich habe viele tolle Namen gehabt, egal, ob Bestsellerautoren oder Twitter Aktivisten. Die Zugtickets und Hotels habe ich natürlich gestellt und die Gäste dann kommen lassen.
Ich habe im Leben nicht mit so einem Impact gerechnet. Ich dachte eher, ich mache das für den guten Zweck, weil es sein muss und es wichtig ist. Ich habe den Gästen noch gesagt, das wird eine kleine Sache, und dann schlug es ein wie eine Bombe, dafür bin ich sehr dankbar.
Gab es einen Moment oder eine ausschlaggebende Erfahrung in deinem Leben, die dafür gesorgt hat, dass du angefangen hast, dich politisch zu engagieren bzw. Aufklärungsarbeit leisten zu wollen?
Politisch geäußert habe ich mich schon immer – schon meine ersten TV-Auftritte und Interviews hatten politische Inhalte, die dann aber noch mit dem Humor verbunden waren. Ich habe immer politische Statements gemacht. Zu dem Zeitpunkt habe ich noch viele Texte auf Facebook gepostet, zum Muslim Ban von Trump beispielsweise. Ich war also schon immer politisch oder gesellschaftlich engagiert, aber es gab einen Moment, wo ich ein Video gemacht habe, das sehr viel Aufmerksamkeit bekommen hat: 2019 zu dem Attentat in Neuseeland. Da hatte ich eine riesige Wut wegen eines AfD-Statements, die zu dem Vorfall etwas schrieben wie: „Unser Beileid an die Opfer da in Neuseeland, aber lasst uns nicht vergessen, dass die eigentliche Gefahr vom Islam ausgeht.“ Da bin ich um 12 Uhr nachts ausgerastet vor Wut und habe mich zur AfD und ihrer Pietätlosigkeit geäußert. Ich weiß, jeder, den ich vorher gefragt hätte, hätte mir davon abgeraten, weil ich ja eigentlich Künstlerin bin. Dieses Video sehe ich heute als ausschlaggebend, denn danach hatte ich in drei Tagen 180.000 neue Follower. Das waren alles Politköpfe, die mich „neu“ entdeckt haben, da sie mich nur als Comedian kannten. Das war natürlich sehr schön, dass Menschen schrieben: „Ich kannte sie, aber sie hat mich nochmal neu überzeugt.“ Da habe ich gemerkt, dass Videos auf Grund von Intonation und Betonung einfach nochmal mehr Leute erreicht als purer Text. Seitdem hat sich bei mir ungeplant ein Politisierungsprozess eingeschlichen. Und mir gefällt das, denn das ist das, was ich instinktiv mache und wofür mein Herz schlägt. Ich weiß jetzt auch gar nicht mehr, wie ich mich bezeichne oder einordne, aber was ich eindeutig weiß ist, dass ich nicht mehr nur Comedian bin.
Hat sich der WDR konkret zu deiner Show „Die beste Instanz“ geäußert?
Nein, vom WDR habe ich keine Nachricht zu „Die beste Instanz“ bekommen. Allerdings haben die mir eine lange SMS mit einer Einladung zu einer Sendung geschickt. Da war ich sehr sauer, weil sie einfach meine Nummer rausgefunden haben, statt mir eine E-Mail zu schreiben. Die besagte Sendung hat sich allerdings nicht deutlich genug gegen Rassismus positioniert. Deshalb war ich froh, dass ich abgesagt hatte. Aber das Witzige war: Da war eine Dame von der Community der Sinti eingeladen, die am Ende den Moderator gefragt hat, ob sie noch was sagen dürfte. Da sagt sie in die Kamera: „Danke an Enissa Amani. Hätte sie sich nicht so mutig eingesetzt, hätte dieser Kreis hier nicht stattgefunden.“ Dann hat der Moderator so halb überrumpelt gesagt: „Na gut. Danke auch an Enissa Amani, die sich da sehr einsetzt.“ Das fand ich sehr witzig, aber das kam eben von einer Teilnehmerin und nicht vom WDR selbst. Aber es kommt ja nicht auf ein „Danke“ an. Ich bin trotzdem cool mit denen, aber würde mir bei Einladungen zu Sendungen vorher genau anschauen, worum es geht. Denn in der Zwischenzeit haben die sich trotzdem noch Dinge wie Blackfacing geleistet.
Was war oder ist das Ziel von „Die beste Instanz“?
Das Ziel war tatsächlich eine Runde zu machen mit Expert*innen, die nicht noch die Unverschämtheit haben, ein sehr präsentes Thema infrage zu stellen. Deswegen war es mir besonders wichtig, am Anfang der Sendung zu sagen: „Wir werden hier heute nicht darüber diskutieren, ob es Rassismus gibt. Sondern wir sagen ganz klar: Rassismus gibt es! Und jetzt lassen wir uns mal von Experten erklären, in welchen Formen und wie wir das ändern können.“ Einige haben das allerdings nicht verstanden. Einige wenige haben so was geschrieben wie: „Na, ihr müsst doch auch jemanden einladen, der von der anderen Seite ist.“ Aber nein, genau eben nicht. Natürlich gibt es unterschiedliche Haltungen, aber es soll nicht so sein wie oft im deutschen Fernsehen – so nach dem Motto: Gibt es das wirklich? Es können aber durchaus verschiedene Meinungen vertreten sein wie zum Beispiel: Der eine will das so bekämpfen und der andere will das anders bekämpfen. Aber wir holen sicher niemanden, der sagt: „Ich finde es vollkommen okay, dieses rassistische Wort zu benutzen.“ Das ist falsch und entspricht nicht dem heutigen Zeitgeist. Wenn einige Sender da noch „anderes“ Publikum bedienen wollen, weil sie rassistische Narrative reproduzieren, dann ist das eine gefährliche Haltung, die schnellstens geändert werden muss.
Dein Format ist vor allem in den sozialen Medien förmlich durch die Decke gegangen. Hat unsere Gesellschaft nur auf jemanden wie dich gewartet, der den öffentlich-rechtlichen Sendern die Stirn bietet?
Ich glaube, nicht unbedingt den Öffentlich-Rechtlichen, aber ich glaube schon, dass bestimmte Gruppierungen manchmal darauf warten, dass jemand den Mut für eine bestimmte Sache aufbringt. Viele Leute schreiben mir: „Danke, dass du unsere Stimme bist.“ Ältere Menschen kamen mit Blumen zu meinen Shows und sagten: „Wir wollten Danke sagen, dass Sie sich bei ,Hart aber Fair‘ gegen eine Diskriminierung von Muslimen so klar ausgesprochen haben, dass wir auch hier dazu gehören und nicht so stigmatisiert werden.“ Da habe ich gedacht, dass jede dankbare Mama mehr wert ist als die Menschen, die mir schrieben: „Geh zurück in den Iran.“ Ich wurde dargestellt, als hätte ich für die ISIS gesprochen. Egal, um was für eine Gruppe es geht, diese Form von Pauschalisierung ist hochgefährlich und nimmt Einfluss auf die Denke eines gesamten Landes. Trotzdem wollte man mich auf eine ‚Muslim-Sprecherin‘ reduzieren, obwohl ich klar ausgedrückt habe, dass ich aus einem nicht-religiösen Haushalt komme und es mir um alle Marginalisierten geht.
Es gibt weitaus mutigere Menschen als mich, ich habe aber einen inneren Drang, für kleinere Gruppen zu kämpfen. Ich weiß noch, als ich als junges Mädchen Talkshows geguckt habe, in denen über irgendjemanden diskutiert wurde und ich sauer wurde, wenn eine Gruppe nicht für sich sprechen durfte. Es wird heute oft quotenmäßig eine Frau im Kopftuch eingeladen, die sich aber auch möglich gemäßigt ausdrückt und nicht ganz klar sagt: „Was ihr da macht, ist nicht in Ordnung!“ Das ist dem geschuldet, wie wir hier aufgewachsen sind. Wir haben uns nicht gleichwertig gefühlt. Wir haben uns gefühlt, als wenn wir dankbar sein müssen, dass wir überhaupt hier sein dürfen. Nicht, dass wir ein Mehrwert sind und es auch klar unser Land, unser Zuhause ist.
Ich glaube, dass es lange Zeit so war, dass wir komplett unterrepräsentiert und nicht auf Augenhöhe wahrgenommen wurden. Allein schon, wie viele Leute den Ausdruck „Ihr seid Gäste in diesem Land“ noch verwenden. Ich habe lange Zeit den Fehler gemacht, dass ich dachte, dass das nur von einer bestimmten Generation kommt. Ich dachte, so traurig es klingt, wenn es diese Generation irgendwann nicht mehr gibt, gibt es diese Probleme nicht mehr. Das stimmt so aber nicht. Diese Denke existiert auch bei Kindern, die es von Eltern oder Großeltern so gelernt haben.
Es haben sich schon Sachen geändert, aber Rassismus-Denkstrukturen werden von Eltern an Kinder übertragen, so dass oft über Generationen kein wirklicher Wandel stattfindet. Wir haben uns selbst „Ausländer“ genannt und uns als Menschen zweiter Klasse gefühlt, die nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit hier leben. Das ist leider immer noch präsent, auch wenn es sich langsam durch eben solchen Aktivismus ändert.
Zu Beginn der Talkshow hast du deine Gäste vorgestellt und nebenbei erwähnt, dass noch eine Vielzahl an anderen interessanten Persönlichkeiten gerne ein Teil der Show gewesen wäre. Da du zum Ende der Sendung nicht mehr dazu gekommen bist, konkrete Namen zu nennen, haken wir an dieser Stelle noch mal nach: Welche potenziellen Gäste hätten noch dabei sein wollen?
Ich habe bestimmt mit 10 oder 15 Leuten telefoniert, da ich nicht wusste, wer so kurzfristig zusagt und wer nicht. Obwohl niemand wusste, dass ich das ganze Equipment schon parat hatte, hat keiner gesagt: „Enissa, ich bin raus.“ Unter anderem wären Tupoka Ogette, Alice Hasters und Anna Dushime sehr gerne Teil der Talkshow gewesen. Ich hätte die Runde auch gerne vergrößert, was aber wegen Corona nicht möglich war.
In der Sendung hast du beiläufig erwähnt, dass die erste Folge eventuell nicht die letzte ist. Könntest du uns verraten, ob wir uns schon auf eine zweite Folge freuen dürfen?
100% sicher bin ich mir noch nicht. Ich muss erst mal überlegen, wie ich das finanziere. Viele Follower haben gesagt, dass ich doch einen Funding-Aktion machen soll. Ich habe als Künstlerin jedoch ein Problem damit, bei Fans nach Geld zu fragen. Aber eventuell ziehe ich das in Betracht. Auch ein Sender, der bereit ist für so einen Schritt, kommt in Frage. Wenn ich wirklich beschließe, dass es eine weitere Idee wäre, damit zu einem Sender zu gehen, aber mit Freiraum, als Partner, der offen für Ideen ist und nicht das ewig alte Muster bedienen möchte. Ich habe ein super Team und wir sprühen vor freshen Ideen, das will ich nicht kompromittieren müssen. Sondern wenn, dann Hand in Hand gehen. Die erste Folge habe ich auch mit voller Absicht nicht monetarisieren lassen. Wir wollten deutlich machen, dass es uns nicht um YouTube-Klicks geht, sondern um die Message.
Es gibt so viele Themen, zu denen die Menschen sich eine klare Experten-Runde wünschen. Manche Sachen muss man klarer und fordernder sagen. Es könnten die NSU-Akten sein, oder sexuelle Gewalt und Sexismus, wo man mal erklärt, warum Frauen in dieser Hinsicht oft nicht geglaubt wird und wie die Zahlen und Fakten sind. Ein weiteres Thema wäre Massentierhaltung und Tierquälerei – also alles, was wir als Gesellschaft noch falsch machen im Umgang mit uns und auch der Natur. Das sind Themen, wo ich auch noch selbst sehr viel lernen muss und gerne eine aufklärende Plattform biete.
Das Interview führten Anna Fedorov und Bianca Heidt.
Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang „Mehrsprachige Kommunikation“ an der TH Köln.
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