Auf der Suche nach Antworten
„Die Verzweiflung der Familie Bektaş schwebt über allem und begleitet mich.“ So beschreibt Philip Meinhold, Journalist und Produzent des rbb-Podcasts „Wer hat Burak erschossen?„, die Begegnungen mit Buraks Familie, nachdem dieser auf der Straße von einem bislang Unbekannten erschossen wurde. Philip Meinhold verfolgt diesen Fall seit 2014 und dokumentiert seine Begegnungen mit Buraks Angehörigen, Ermittler*innen und Anwält*innen in dem 10-teiligen Podcast.
„Wer hat Burak erschossen?“ ist für den Grimme Online Award 2021 in der Kategorie „Information“ nominiert. Im Interview verrät Philip Meinhold, was er seit Beginn seiner Recherchen aufgedeckt hat und warum ein Podcast genau das richtige Format für einen solchen Kriminalfall ist.
Wie kam es zu der Idee, sich so intensiv mit dem Mord an Burak Bektaş zu beschäftigen?
Ich kannte den Fall tatsächlich bereits vom Morgen nach der Tat, weil ich damals diensthabender Redakteur beim Radio war. Wir haben gleich darüber berichtet, denn es war von Anfang an ein so erschreckender und gleichzeitig unerklärlicher Fall. Ich habe den Fall, wie es so im journalistischen Tagesgeschäft ist, zunächst wieder aus den Augen verloren. Zweieinhalb Jahre später bin ich ihm durch Zufall, im Rahmen einer Mahnwache, die an diesen Mord erinnert hat, wiederbegegnet. Ich war erstaunt, dass der Fall immer noch nicht aufgeklärt war. Ich habe dann angefangen, mich damit zu beschäftigen und gleich bemerkt, dass es für mich mehr als ein bloßer Kriminalfall ist; mehr als eine bloße „True-Crime“-Geschichte, die man häufig in Podcast-Serien erzählt. Es gibt ganz viele gesellschaftspolitische Zusammenhänge, die anhand dieses Falls mit zu erzählen sind. Zum Beispiel wie rechter Terror funktioniert, wie die Ermittlungsarbeit bei der Polizei in solchen Fällen ist, ob es weiße Flecken in der Ermittlungsarbeit gibt.
Sie haben sich dazu entschieden, Ihre Erkenntnisse über den Fall als Podcast zu veröffentlichen. Was waren Ihre Gründe für diese Form?
Ich hatte, als ich 2014 mit der Recherche zu diesem Fall angefangen habe, der mich inzwischen ein Viertel meines Berufslebens begleitet, gerade von der amerikanischen Serie „Serial“ gehört. Ich war, so wie ganz viele Radiojournalisten weltweit und auch in Deutschland, von dieser Erzählform geflasht. Die Kombination aus Journalismus und seriellem Erzählen und dann auch noch für das Radio! Radio ist ein sehr schnelllebiges Geschäft, wo man schnell reagieren kann, aber auch sehr kurz und kompakt erzählen muss. Das Format hatte für mich den Vorteil, wirklich tief in eine Geschichte einsteigen zu können. Dazu begeisterte mich an der Podcast-Serie das persönliche Erzählen. Das ist für mich eine sehr authentische Form des Erzählens. Somit wird nicht nur von den eigenen Recherchen, sondern auch von den eigenen Zweifeln an der Recherche berichtet. Deswegen schien mir das Podcast-Format für diesen Fall geeignet.
Was haben Sie aus der jahrelangen Beschäftigung mit dem Fall insbesondere in Erinnerung behalten? Gespräche mit der Familie, Freunden oder vielleicht etwas Anderes?
Ich glaube, das Eindrücklichste für mich an diesem ganzen Fall ist tatsächlich mein erster Besuch bei der Familie Bektaş zu Hause. Diese Trauer und die tiefe Verzweiflung der Familie zu spüren. Das hat mich damals total bewegt und das bewegt mich jetzt, wenn ich darüber spreche. Die Begegnung mit Buraks Freunden, die ihn an dem Abend begleitet haben und selbst zum Teil schwer verletzt wurden, hat mich bewegt. Es waren zugleich aber auch herausfordernde Begegnungen. Es ist herausfordernd, sich auf die Situation einzustellen, dem gerecht zu werden, was diese Menschen erlebt haben und gleichzeitig einem journalistischen Anspruch nachzugehen, indem man auch kritische Fragen stellt. Aber wie gesagt, die Verzweiflung der Familie Bektaş schwebt über allem und begleitet mich.
Im Fall Burak wird oft die unzureichende Ermittlungsarbeit der Polizei hinsichtlich einer rechtsextremen Tat kritisiert. Dies wird auch an mehreren Stellen in Ihrem Podcast aufgegriffen. Wie würden Sie Ihre Einschätzung diesbezüglich zusammenfassen?
Ich habe den ermittelnden Kommissar, der über neun Jahre die Ermittlung geleitet hat, wobei es inzwischen einen Wechsel gab, sowie die Mordkommission als wirklich engagiert erlebt und auch als empathisch gegenüber der Familie. Eine Schwierigkeit, die sie bei den Ermittlungen haben, ist, dass es in diesem Fall wenige objektive Spuren gibt, was es natürlich erschwert. Ich habe trotzdem den Eindruck, dass manchmal die Routine und insbesondere die erlernte Routine in solchen Mordermittlungen bei einem Fall wie diesem vielleicht im Wege steht. Ganz konkret hat es meiner Meinung nach in den Ermittlungen einen wichtigen Hinweis gegeben, dem unzureichend nachgegangen wurde. Ein Hinweis auf einen Mann, der zweieinhalb Jahre nach dem Mord an Burak Bektaş ebenfalls in Berlin-Neukölln einen Briten namens Luke Holland erschossen hat, wofür er auch verurteilt worden ist. Diesem Hinweis wurde meiner Meinung nach in den Ermittlungen nicht ausreichend nachgegangen. Woran das genau lag, kann ich nicht genau sagen. Vielleicht waren es einfach routinemäßige Einschätzungen, dass dies nicht relevant für den Fall sei.
In Ihrem Podcast geben Sie kontroverse, rassistisch diskriminierende Äußerungen aus einem Brief einer rechtsextremen Gruppe wieder. Warum haben Sie sich entschieden, diese Aussagen zu zitieren? Können Sie nachvollziehen, dass die Wiedergabe solcher Äußerungen kritisch gesehen werden kann?
Ich verstehe die Sensibilität demgegenüber. Ich persönlich glaube, dass es, wenn ich zitiere und das Zitat auch kenntlich mache, durchaus wichtig ist, da genau zu sein und es auch zu zitieren. In dem Moment, wo ich an einer Stelle „N-Wörter“ sagen würde, wäre es nicht mehr das originale Zitat aus dem Brief. Aber ich gebe zu, dass man das auch sicherlich anders sehen kann. Als Journalist, der sich mit so einem Fall befasst, ist man Lernprozessen unterworfen und würde Dinge vielleicht nach ein paar Jahren noch mal anders machen. In diesem Fall denke ich jedoch: Wenn Dinge als Zitat gekennzeichnet sind und einen dokumentarischen Charakter haben, ist es vielleicht wichtig, sich anzuhören, was da gesagt wird.
Wie haben die Angehörigen von Burak auf die Veröffentlichung des Podcasts reagiert?
Sie haben es nicht explizit gesagt, aber ich weiß, dass gerade Buraks Mutter mir nach wie vor viel Vertrauen entgegenbringt. Unsere erste Begegnung ist sechseinhalb Jahre her und das ehrt mich. Ich glaube, Buraks Angehörige sind dankbar, dass sich jemand in dieser Intensität dieses Themas angenommen hat und vor allem dranbleibt und den Kontakt hält. Ich glaube, da hat es zum Teil auch Enttäuschungen gegenüber der Presse gegeben; das ist, denke ich, bei meinem Podcast nicht der Fall gewesen. Buraks Freunde und Begleiter haben sich zum Teil auch im Nachhinein dafür bei mir bedankt. Ich glaube, dass der Versuch, sich authentisch diesem Fall zu nähern, durchaus auf Wertschätzung gestoßen ist.
Die im Podcast aufgegriffenen Themen haben durch Anschläge wie die in Hanau und Halle ja noch einmal an Aktualität gewonnen. Glauben Sie, dass sich mittlerweile etwas in der Polizeiarbeit geändert hat im Vergleich zum Fall Burak vor neun Jahren?
Ich kann das in Bezug auf die aktuellen Fälle nicht beurteilen. Ich hatte, wie gesagt, auch bei meinen Gesprächen mit der ermittelnden Mordkommission das Gefühl, dass da durchaus ein Bewusstsein für die Problematik ist. Es wurde anders agiert gegenüber der Familie als zum Teil durch ermittelnde Behörden in den NSU-Fällen. Aber tatsächlich kann ich nicht beurteilen, was sich intern bei der Polizeiarbeit tut. Ich denke grundsätzlich, dass da noch ein langer Weg zu gehen ist.
Der Titel des Podcasts beinhaltet eine Fragestellung, die bis heute leider nicht beantwortet werden konnte. Wie schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass der Täter im Fall Burak noch gefunden wird?
Das hat sich tatsächlich im Laufe der Jahre verändert. Als 2015 der Brite Luke Holland erschossen wurde und ein Täter festgenommen wurde, kam noch einmal eine unglaubliche Dynamik in die Ermittlungen von Burak Bektaş. Da war ich zuversichtlich. Aber der festgenommene Verdächtige konnte nach wie vor noch nicht gerichtsfest mit dem Fall Burak Bektaş in Verbindung gebracht werden. Deswegen bin ich skeptisch, ob fast zehn Jahre nach dem Mord an Burak, dieser Fall noch geklärt wird. Die Zeit spielt diesen Ermittlungen auch nicht unbedingt in die Karten. Vielleicht muss man damit leben, dass dieser Fall nicht geklärt werden kann, auch wenn ich der Familie von Burak von Herzen wünsche, dass irgendwann noch ein Täter gefasst wird.
Das Interview führten Katharina Leonie Trier und Eda Özyurt.
Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang „Mehrsprachige Kommunikation“ an der TH Köln.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!