Albtraum Partizipation?
Mehr Demokratie, mehr Partizipation – das Mantra der neuen Beteiligungsmöglichkeiten im Internet. Aber nicht alle sehen das so, es gibt auch kritische Stimmen, die Partizipation, Transparenz und den „Kult des Amateurs im Netz“ eher skeptisch sehen: Ist mediale Beteiligung immer gut? Trägt mehr Partizipation zu einer Qualitätsverbesserung der Demokratie bei? Der Journalist und Kommunikationswissenschaftler Max Ruppert stellt drei aktuelle kritische Stimmen vor, die „Nein“ sagen zur euphorischen Sichtweise der medialen Partizipation.
Gute Partizipation, schlechte Partizipation?
An den zahlreichen Veranstaltungen des Grimme-Instituts und Schriften weiterer Institutionen lässt sich die durchgehend positive Konnotation von Partizipation und Beteiligung leicht ablesen: Es werden die Chancen der neuen Partizipationsmöglichkeiten betont, oft geht es sogar darum, mehr davon zu fordern: „Mehr E-Demokratie wagen“ (Grimme-Institut) oder „Mehr Partizipation wagen“ (Bertelsmann Stiftung). In die gleiche Richtung gehen das Büchlein „Bürgermacht – eine Streitschrift für mehr Partizipation“ sowie die Broschüre „Mehr Partizipation durch neue Medien“ des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung. Aus Betroffenen sollen dank Internet Beteiligte werden – nachzulesen in einem aktuellen Band der Schriftenreihe Medienkompetenz des Landes Nordrhein-Westfalen. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.
(Partizipation und Teilhaben waren ein zentrales Thema auf dem Tag der Medienkompetenz.)
Verklärte Vorstellung von Partizipation
Markus Miessen, 34-jähriger Architekturprofessor und Autor, setzt hier einen Kontrapunkt: Der Begriff der Partizipation sei in Deutschland in den letzten Jahren positiv verklärt worden, sagt er. In den letzten Jahren hat er sich intensiv mit Partizipation im Politik-, Raumplanungs- und Medienbereich auseinandergesetzt. Er spricht gar vom „Albtraum Partizipation“. „In der letzten Dekade wurde die ,Bürgerbeteiligung‘ fast einhellig gepriesen. Blauäugig förderten Parteien, Behörden, Politiker, Aktivisten oder Künstler das ,Partizipative‘.“ (Markus Miessen)
Miessen sieht seine Aufgabe darin, den „zuckersüßen Beigeschmack“ der Partizipation zu entlarven und dem Begriff die Unschuld zu nehmen. Eine Partizipationskultur, die nur im Rahmen der bestehenden Systeme stattfindet, bringe keine Qualitätsverbesserung für das Zusammenleben, für die Demokratie mit sich. Markus Miessen stellt sich eine autonomere Art der Partizipation als Idealzustand vor und spricht vom Prinzip des „ungeladenen Außenseiters“. Es sollte für diesen „ungeladenen Außenseiter“ möglich sein, in Kommunikations- und Entscheidungsprozesse als fachfremde Stimme einzugreifen und eine neue Perspektive zu eröffnen. Gerade dann, wenn sich Systeme abkapseln und eben nicht zur Partizipation einladen, könnte eine partizipatorische Stimme zur Konfliktlösung beitragen. Dabei soll der Außenseiter allerdings eine „kritische Nähe“ wahren und keine „Komplizenschaft“ mit der Sache, an der er partizipiert, eingehen. So würde auch die Qualität der Partizipation und des Diskurses steigen.
Den theoretischen Hintergrund für den „ungeladenen Außenseiter“ bildet bei Miessen ein agonistisches – also wettbewerbsbetontes – Demokratiemodell, das Meinungspluralität zulässt und das im Gegensatz zum Modell von Habermas nicht nur auf Konsens in der Gesellschaft abzielt.
Partizipation als unbezahlte Arbeit
Miessens ungewöhnliche Perspektive regt zum Nachdenken an: Überall und immer öfter werden wir heute zu Beteiligung, zum Abstimmen, Kommentieren und Partizipieren eingeladen – und produzieren so in einem vorgegebenen Rahmen Inhalte, meist für Redaktionen, große Medienhäuser oder Internetgiganten wie Facebook. Im Prinzip wird dieser user generated content unbezahlt von einer Masse an freiwilligen Amateuren geliefert. Stunde für Stunde. Die Redaktionen können sich dann aussuchen, wie sie das Material nutzen. Diese unbezahlte Arbeit ist ein Aspekt, der oft in der (wissenschaftlichen) Diskussion um mediale Partizipation vergessen wird. Auch Medienphilosoph Byung-Chul Han aus Berlin sieht diese Entwicklung kritisch. In seinem Buch Transparenzgesellschaft entlarvt er die Ökonomie der massenhaften Beteiligung:
„Das Soziale wird zu einem funktionellen Element des Produktionsprozesses degradiert und operationalisiert. Es dient vor allem zur Optimierung des Produktionsverhältnisses. Der scheinbaren Freiheit der Konsumenten fehlt jede Negativität. Sie bilden kein Außen mehr, das das systemische Innen in Frage stellen würde.“
Han fehlt ein Impuls von außen, eine Parallele zu Miessens „ungeladenem Außenseiter“. Byung-Chul Han sieht die ständige Forderung nach Transparenz und Selbstentblößung von Menschen, z.B. auf Facebook, als eine Folge des Drucks, der durch Marktkräfte entsteht. Er selber gibt übrigens laut Wikipedia-Eintrag deshalb keine Radio- und Fernsehinterviews.
Laien übernehmen die Deutungshoheit
In dieser kurzen Darstellung der Partizipations-Kritiker darf Andrew Keen nicht fehlen. In „Die Stunde der Stümper“ schreibt er sich regelrecht in Rage gegen all den Müll, den er auf Plattformen wie YouTube sieht. Er befürchtet, dass die Nutzer durch user generated content desinformiert werden und sieht nichts geringeres als den Verfall unserer gesamten Kultur durch nutzergenierte Medien.
„Verabschieden wir uns von den Experten und kulturellen Türhütern der heutigen Zeit, den Reportern, Nachrichtenmoderatoren und Redakteuren, den Musikgesellschaften und den Filmstudios in Hollywood. Der heute grassierende Kult des Amateurs bedeutet, dass die Affen bestimmen, wo es langgeht. Sie schreiben mit ihren unendlich vielen Schreibmaschinen die Zukunft. Und uns wird vielleicht nicht gefallen, wie sie aussieht.“ (Keen 2008: 17, kursiv MR)
Im Gegensatz zu Han und Miessen ist Andrew Keen aber ein Verfechter des althergebrachten Gatekeeper- und Expertensystems. Er will weiterhin eine Welt der Qualitätsmedien, mit Titeln, denen er vertrauen kann. Eine neue Lösung für das Problem der zahlenmäßig explodierenden Amateur-Partizipation entwirft er allerdings nicht.
Zusammenfassung
Die hier angesprochenen, aktuellen Texte kritisieren Partizipation, egal ob medienvermittelt oder direkt im Politiksystem, hauptsächlich an drei Punkten:
- Als „Zuckerwatte fürs Volk“, als Beruhigungspille und Legitimation für das bestehende System.
- Als unbezahlte Arbeit und kostenlose Datengenerierung für große Internetimperien.
- Als Kulturverfall und Deprofessionalisierung der Informationsverarbeitung.
Sicherlich bereichern diese Stimmen das Nachdenken über den entstehenden Kosmos der Partizipationsmöglichkeiten im Internet. Aber auch diese kritischen Stimmen lassen sich kritisieren. So unterschätzt Markus Miessen wohl das Potenzial des Internets als großes, pluralistisches Meinungsforum der Welt. Mit dem Argument der unbezahlten Arbeit sollte sich die Medienwissenschaft intensiver auseinandersetzen, denn kollaborative Initiativen wie das GuttenPlag-Wiki haben gezeigt, dass es den Initiatoren und Mitstreitern manchmal gar nicht auf eine finanzielle Kompensation ankommt, sondern andere Belohnungssysteme greifen. Die Argumente von Keen wiederum lassen sich nutzen, um in die Richtung einer Verbindung von Laien- und Expertensystemen zu denken, was Miessen und Co. wahrscheinlich per se als „gelenkte und geleitete Partizipation“ abtun würden. Womit wir schon mitten in der Diskussion über eine neue Qualität von medialen Partizipationsmöglichkeiten wären.
Bibliografie
Han, Byung-chul (2012): Transparenzgesellschaft. Berlin.
Keen, Andrew (2008): Die Stunde der Stümper. Wie wir im Internet unsere Kultur zerstören. München.
Miessen, Markus (2012): Albtraum Partizipation. Berlin.
Kurz nach diesem Post erscheint im Magazin der Süddeutschen Zeitung ein langes und interessantes Interviet mit dem Berliner Medienphilosophen Byul-Chung Han. Er scheint also seine Medienscheu doch ein bisschen abgelegt zu haben. Oder er spricht nur mit traditionell-journalistischen „Qualitätsmedien“…. Hier der Link zu Online-Version des Interviews, Überschrift: „Wir steuern auf eine Katastrophe zu“: http://bit.ly/TjYlBu