MUSI(K SE)ZIEREN
„Ein Song, sein Sound und seine Geschichte“ lautet der Untertitel des Podcasts „Tracks & Traces“ von detektor.fm. Einmal monatlich nehmen hier Musiker*innen ihre Songs Spur für Spur auseinander und erklären, wie sie entstanden sind. Bosse, AnnenMayKantereit oder Boy berichten, wie es zur Songidee kam, wie sie komponiert und getextet haben. Mit den passenden Musikausschnitten wird das Ergebnis des beschriebenen kreativen Schaffensprozesses hörbar. Hintergründe, die einen den Song ganz neu hören lassen.
Der Podcast „Tracks & Traces“ ist für den Grimme Online Award 2020 in der Kategorie „Kultur und Unterhaltung“ nominiert. Im Interview berichtet der Redakteur Gregor Schenk von der Entstehung des Formats nach amerikanischem Vorbild, der Freude der Künstler*innen, mal über Sidechain-Kompression und Vintage-Synthesizer fachsimpeln zu können und warum das auch für Nicht-Musikproduzent*innen interessant ist.
Wie ist die Idee zu ‚Tracks & Traces‘ entstanden?
Wir bei detektor.fm haben festgestellt, dass das Angebot guter deutschsprachiger Musik-Podcasts relativ überschaubar ist. Häufig sind das Sachen, denen man entweder anmerkt, dass die Plattenfirma sie beauftragt hat oder es sind, ich nenne es jetzt mal, Laberformate, in denen in dialogischer Form, aber nicht sonderlich innovativ, über Musik gesprochen wird. Als Musikfan höre ich vor allem amerikanische Podcastformate: NPR, der Dissect-Podcast, wo in einer Staffel ein ganzes Album analysiert wird und eben den Song Exploder, ein Lieblingspodcast von mir und von ganz vielen hier bei detektor.fm, wo Bands und Künstler*innen ihre Songs erklären. Ungefähr seit 2015 spukt uns die Idee im Kopf herum, mit deutschsprachigen Künstler*innen Songs bis ins kleinste Detail auseinanderzunehmen, einzelne Spuren anzuspielen, zu erklären, wo das alles herkommt und das dann am Ende wieder zusammenzusetzen. Anfang 2019 haben wir mit Sonos einen Partner gefunden, mit dem wir das umsetzen konnten. Das war der Startschuss für Tracks & Traces.
Wer ist das Team hinter dem Projekt?
Es gibt ein eingespieltes Team bei detektor.fm, das sich immer um den Start neuer Podcasts kümmert: Leute, die die Grafik für das Artwork, die Videos und Social-Media-Assets, Marketing und PR machen und Tracks & Traces auf Podcast-Plattformen, wie Spotify oder Apple Podcast platzieren. Alles Weitere: Auswahl der Bands, Interviews, Redaktion und Produktion, läuft dann über meinen Tisch.
Was ist das Besondere an ‚Tracks & Traces‘?
Der Ansatz von Tracks & Traces besteht aus zwei Gedanken: Was passiert bei mir, mit meinen Synapsen im Kopf, wenn ich einen Song höre und was geht in den Köpfen derer vor, die sich das alles ausdenken? Das finde ich wahnsinnig faszinierend. Wir reden ja hier über dreieinhalb Minuten Popsongs, die man gerne mal so weghört, wenn sie im Radio laufen, beim Abwaschen oder was auch immer. Was da aber an Gehirnschmalz ins Songwriting fließt, welchen Aufwand so eine Produktion im Studio macht, welche Instrumente, Sounds, Inspirationen drinstecken und wie das alles ineinandergreift, das wird einem oftmals gar nicht bewusst. Bei Tracks & Traces können wir uns endlich mal die Zeit nehmen, uns mit dem Werk der Künstler*innen gebührend auseinanderzusetzen. Das kann auch mal so richtig nerdig werden, wo vielleicht nur noch Leute, die selbst Ahnung von Musikproduktion haben, das verfolgen können. Aber wenn jemand mit so einem Eifer von Vintage-Synthesizern oder Sidechain-Kompression spricht, dann muss man das vielleicht gar nicht verstehen, um nachvollziehen zu können, woher diese Leidenschaft kommt. Wenn man einen Song unter die Lupe genommen hat, auseinander gepuzzelt hat und am Ende den Song noch mal in seiner Gänze hört, ist das immer ein super erhellender Moment.
Wie kommt die Idee bei den Künstler*innen, die Ihr anfragt, an?
Musikjournalismus geht häufig in dieselbe Richtung und ähnelt sich oftmals in diesem Frage-Antwort-Spiel. Die wenigsten Bands und Künstler*innen können mal in einem Format darüber berichten, wie sie die Mikrofone vor ihren Verstärkern platziert haben. Darüber freuen sich viele.
Am Anfang war es noch ein bisschen kompliziert, Acts davon zu überzeugen mitzumachen, weil es das Format einfach noch nicht gab, wir konnten nur die Idee beschreiben. Aber jetzt machen wir das ungefähr ein Jahr und mittlerweile ist es ein Selbstläufer. Es kommen sogar Künstler*innen auf uns zu, die jetzt auch nicht ganz unbekannt sind, und die sagen, dass sie Bock hätten mitzumachen.
An wen richtet sich das Format?
Ich glaube schon, dass Leute, die selbst Musik schreiben und produzieren, dafür in besonderem Maße empfänglich sind. Aber auch wenn man keine Ahnung von Produktionstechniken hat, kann einen das mitnehmen, weil es darum geht, einen Song auseinander zu dröseln und sich einzelne Spuren anzuhören. Da muss man kein Spezialist sein, um zu verstehen, okay, da ist jetzt noch ein Bass mit drin, der so und so modelliert wird, damit es dann im Refrain total aufgeht und sich ein pumpender Effekt ergibt oder so. Also im besten Fall lernt man da auch noch ein bisschen dazu.
Wen hätten Sie gern als nächstes dabei?
Es gibt eine lange, lange Excelliste mit Acts, die wir gerne dabeihätten. Wir wollen uns auch genremäßig noch breiter aufstellen und Sachen abdecken, die nicht so auf der Hand liegen, sowas wie einen Song von Scooter. Das wäre relativ bizarr, aber natürlich auch spannend zu erfahren, wie H.P. Baxxter auf die Zeile „Hyper, Hyper“ kam.
Was wünschen Sie sich, neben unkonventionelleren Songs, noch für die Zukunft von ‚Tracks & Traces‘?
Natürlich geht es auch darum, bekannte Künstler*innen für das Format zu gewinnen, weil es cool ist zu erfahren, wie AnnenMayKantereit, Boy oder Bosse sich ihre Hits ausgedacht haben. Aber der noch viel wichtigere Aspekt ist, Acts reinzuholen, die in irgendeiner Weise originäre, progressive und interessante Kunst machen und eine Geschichte zu dem Song erzählen können, über den wir sprechen. Wir sind im Frühjahr in die zweite Staffel gestartet und machen das im monatlichen Rhythmus, vielleicht wird es da auch mal ein bisschen mehr geben. Es gibt auf alle Fälle genug Ideen und Songs, über die man sprechen kann.
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