Das Ende des asymmetrischen Journalismus
Spannervideos auf Toiletten, eine Exklusivreportage von der „Sea-Watch 3“ oder die Fake Pranks von Joko und Klaas: Beim funk-Angebot „STRG_F“ wird investigativ recherchiert – und die Recherche ist selbst Teil der Reportage, was zugleich die Methoden der Journalist*innen vermittelt. Wöchentlich werden auf dem YouTube-Kanal Videos veröffentlicht, die nicht nur eine junge Zielgruppe ansprechen. Dabei sind die Autor*innen im Austausch mit der Community und binden sie auch in die Recherchen ein.
Der YouTube-Kanal „STRG_F“ ist nominiert für den Grimme Online Award 2020 in der Kategorie „Information“. Mit dem Redaktionsleiter Dietmar Schiffermüller sprachen wir über Investigativ-Journalismus auf YouTube, die Kollaboration von Publikum und Redaktion und warum monatelang nach Streusalzsilos gesucht wurde.
Was ist das Besondere an STRG_F?
Das magnetische Zentrum von STRG_F ist Journalismus. Wir wollen Journalismus für junge Zielgruppen machen. Und ich sage es mal so, es gibt eine gute Nachricht: Junge Menschen wollen Journalismus und sie verstehen sehr genau den Unterschied zwischen Journalismus und der Simulation von Journalismus. Wir versuchen, das sehr sorgfältig zu machen, aber auch ein Narrativ so zu erzählen, dass es für junge Menschen interessant und auch im besten Falle unterhaltsam ist.
Wie werden die Themen ausgewählt?
Unser Hintergrund ist ja die Panorama-Redaktion, da haben wir viel Erfahrung im investigativen Journalismus. Einerseits kommen natürlich Themen von den Autor*innen. Wenn jemand ein Thema hat, das das eigene Herz entflammt, wo er oder sie sagt, das muss ich erzählen, ich will das recherchieren, ist das immer der beste Anfang. Wir haben natürlich inzwischen auch Menschen, die uns Themen vorschlagen, manchmal auch Informant*innen, die sich melden. Es gibt also eine Mischung aus Zugängen von Themen.
Wie viele Reporter bzw. Personen sind beteiligt?
Wir haben so ein inneres Team von acht bis zehn Reporter*innen, die regelmäßig auftauchen. Dann gibt es natürlich auch viele Reporter*innen, die von außen kommen und Themen mitbringen. Wir haben sozusagen keine ganz eng umrissene Anzahl von Reporter*innen, sondern sind journalistisch orientiert und sagen, wenn es eine Recherche gibt, die wichtig ist, dann erzählen wir die.
Bei STRG_F wird man mit auf die Recherche genommen. Ist das die Rettung des Images der Reportage? Dieses Image hat ja in der Vergangenheit etwas gelitten.
Ich glaube, es geht nicht darum, das Image zu retten, sondern es geht darum, in diesen Zeiten transparent zu sein, also auch die eigenen Maßstäbe zu vermitteln. Ich glaube, das ist total wichtig, weil wir in Zeiten von starker Kritik stehen. Wir erleben es auch sehr, sehr stark. Ich habe auf meinem Schreibtisch Vorgänge, die sehr intensiv sind, weil wir stark angezweifelt werden. Deswegen ist es alternativlos zu sagen, wie wir arbeiten, wo wir Hürden haben und wo wir auch Fehler machen. Es gab auch Momente, wo die Community uns auf Dinge hingewiesen hat, die vielleicht nicht ganz korrekt waren und wir haben sie dann korrigiert. Ich glaube, die Zeiten von asymmetrischem Journalismus sind vorbei. Ich glaube, dass wir uns mit den Zuschauer*innen auf Augenhöhe bewegen, aber natürlich mit dem Handwerk, das wir in den Standards gelernt haben, die wir mitbringen. Das zu erzielen ist ganz wichtig.
Welche Zielgruppe hat STRG_F?
Unsere Zielgruppe sind die 20- bis 30-Jährigen. Das ist eine Zielgruppe, die im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht mehr so stark erreicht wird. 80 Prozent unserer Zuschauer*innen sind unter 34. Wir erreichen sie also sehr gut, das freut uns wahnsinnig.
Die Nominierungskommission hat besonders die „Nähe zur Zielgruppe“ gelobt. Diese kann Ihnen auch Themenvorschläge zuschicken. Wie wird das angenommen?
Wir bekommen viele Themenvorschläge und haben auch schon einige umgesetzt. Das ist dann sozusagen ein Anfangsverdachts-Moment, das wir zugeschickt bekommen oder ein Thema, das jemanden umtreibt und wir versuchen, einen eigenen Zugang zu finden. Dass der Austausch so stark ist, ist sehr, sehr ermutigend. Früher in der alten Fernsehwelt war es so: Wir senden – ihr schaut an. Es gab eine Asymmetrie, das ist heute anders und es ist gut, dass es anders ist. Der Austausch mit der Community ist jetzt viel zentraler und auch ein Teil unserer publizistischen Arbeit. Es geht nicht nur darum, dass wir einfach einen Film droppen, sondern dass wir auch in der Kommunikation publizistisch sind: argumentieren, uns auseinandersetzen, Kontakt halten. Ehrlich gesagt, ist es sehr befriedigend diese Arbeit so zu machen.
Welche Folge ist Ihnen persönlich besonders in Erinnerung geblieben?
Ich glaube, die wichtigste Folge war unser allererster Film über CFD-Trading. Das ist jetzt auch über zwei Jahre her und der Firma wichtig, weil wir gleich am Anfang unsere DNA gefunden haben und weil es einfach so gut funktioniert hat. Wir haben ein Thema aus der YouTube-Community genommen, aber unsere Recherchepower darauf gelenkt und es gleichzeitig so erzählt, dass es interessant ist. Das hat uns gezeigt, dass es geht, Journalismus auf YouTube zu machen. YouTube ist ja nicht der natürliche Lebensraum für Journalismus, YouTube ist ein großer Kindergeburtstag. Trotzdem zu versuchen, journalistische Filme dort zu machen und zu sehen, dass die geguckt werden und sie auch die Lebenswelt betreffen von denen, die es gucken, war toll zu erleben. Deswegen war der erste Film ganz besonders wichtig, und er hat uns natürlich die Silos gebracht. Wir haben in dem Film nach Silos gesucht, die in einem Werbevideo von einer fragwürdigen Veranstaltung zu sehen waren. Wir wollten unbedingt diese Silos finden, um Rückschlüsse zu bekommen, wer die Täter sind und haben recherchiert und recherchiert… Auch die Community hat gesagt: Wo sind die Silos? Wir wollen die Silos! Wir haben monatelang diese Silos recherchiert und uns in den Dienst der Community gestellt. Am Ende haben wir sie gefunden und darüber einen Film gemacht. Inzwischen sind die Silos ein eigener Eintrag auf Google Maps, die Leute reisen dahin und schicken uns Fotos von diesen Streusalzsilos. Das zeigt einfach, dass der Austausch anders stattfindet und was da auf einmal entstehen kann. Es ist Recherche für die Community und wir stellen uns sozusagen in den Dienst der Sache. Für mich war es immer so eine Parabel auf Journalismus: Wir suchen für euch und wir finden was und publizieren.
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