Wende-Erinnerungen
Was war DAS Jubiläumsthema im vergangenen Jahr? Na klar: 30 Jahre Mauerfall. Ein Thema, das die Deutschen nach wie vor stark beschäftigt. Und aus dem sich auch fürs Web so richtig viel rausholen lässt. Kein Wunder, dass sich der größte Schwerpunkt in den diesjährigen Einreichungen zum Grimme Online Award auf die Wende, die DDR-Vergangenheit und das heutige Ost-West-Verhältnis bezieht. Dabei spielen auch persönliche Erinnerungen eine große Rolle.
Zwei Fernsehsender sammeln vom 9. November 2019 bis zum 3. Oktober 2020 Geschichten von Menschen: Der rbb ist für „Erzähle deine Geschichte“ mit dem „Erzählmobil“ unterwegs, einem umgebauten Opel Blitz. Dort können Personen aus dem Sendegebiet in Videostatements ihre Sicht auf den Stand der Wiedervereinigung, den Unterschied zwischen Ost und West oder die Erinnerung an die DDR schildern. Manche erzählen aber auch ganz persönliche Geschichten, über die geteilte Familie oder die endlich durchgeführten Reisen. Persönliche Geschichten gibt es auch in „Meine Wende – Unsere Einheit„, einem Podcast zum Mitmachen vom ZDF. Auf der Website kann jeder Audio-Botschaften über seine ganz persönliche Wende-Geschichte hochladen – ausgewählte werden dann als Podcast veröffentlicht. Verfügbar ist ein Teil der Geschichten, die teilweise ganz erstaunliche Biografien offenbaren, schon jetzt auf der Website oder über die Podcast-App.
Kindheit vor und nach der Wende
Um Erinnerungen geht es auch im Special der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über das Fritz-Heckert-Gebiet in Chemnitz. In dieser Plattenbausiedlung wuchsen in den 1980er Jahren „Die Heckert-Kinder“ auf. Sechs von ihnen berichten hier von ihrer Kindheit, vom Erlebnis der Wende, wie ihr Leben seitdem verlaufen ist und wie sich die Heckert-Siedlung verändert hat.
Das könnten „Julia, Maria & Tom“ nicht beurteilen. Denn sie wurden erst am 9. November 1989 in Frankfurt am Main, Greifswald und Ost-Berlin geboren. Christian Bollert hat sie 2007, kurz vor ihrem 18. Geburtstag schon einmal getroffen und nun für detektor.fm und den Podcast „30 Jahre Mauerfall, 30 Jahre Leben“ erneut gesprochen. Darin geht es um die Lebensläufe und persönlichen Entwicklungen, aber auch um die heute noch vorhandenen Unterschiede zwischen Ost und West und natürlich um Politik.
Den Osten entdecken
Nach der Wende geboren sind die meisten der Volontär*innen von Lausitzer Rundschau, Südwest Presse und Märkische Online Zeitung. Am 9. November 2019 veröffentlichten sie ihr Magazin „ein Land„, für das sie mit Zeitzeugen gesprochen und DDR-Geschichte recherchiert haben. Sie berichten über einen damaligen Friedensaktivisten und dem Einblick in seine Stasi-Akte, über eine Liebe im Sperrgebiet, wo Fotografieren sogar bei der Hochzeit verboten war oder den Sohn westdeutscher Spione, der die Agententätigkeit seiner Eltern bis heute nicht verwunden hat. Zum Magazin gehören aber auch Video-Straßenumfragen oder ein Kinderrätsel zum Begriff „DDR“. Unterschiedliche Ost-West-Geschichten werden auch im Podcast und zugehöriger Instagram-Story „Steht die Mauer noch?“ erzählt: Die einer Gruppe „Wessis“, die regelmäßig Städtereisen in den Osten macht, um das Land kennenzulernen, die einer jungen Frau, die als 7-jährige gemeinsam mit ihrem Vater im Kofferraum eines Autos in den Westen geflohen ist oder die des Tänzers, der als Sohn einer Polin und eines Mosambikaners in der DDR aufwuchs und in den Osten zurückgekehrt ist, auch um sich politisch zu engagieren. Im November 2019 haben Tina Howard und Rahel Klein für DLF Nova innerhalb einer Woche einen Roadtrip durch Deutschland gemacht, um die Geschichten zu dokumentieren.
Ein Koffer, viele Fotos und ein Tagebuch
Auf Spurensuche gehen Frédérique Veith und Marianne Wendt für den SWR. In einem Koffer, der wohl seit 1961 an einem stillgelegten Gleis eines Ost-Berliner Bahnhofs stand, finden sich Fotos und Dokumente eines Mannes. Im Rahmen eines Podcasts und einer Webdoku mit dem Titel „Der Koffer aus dem Mauerstreifen“ recherchieren sie die Geschichte des früheren Eigentümers und seiner Familie – verknüpft mit viel Archivmaterial und Informationen über historische Fakten und Entwicklungen.
Bei dem ARTE-Projekt „Deutschland im Jahre 2019“ gibt es hingegen auf den ersten Blick gar keine Verbindung zum Mauerfall, denn es handelt sich um Videos einer fotografischen Bestandsaufnahme Deutschlands. Die angefragten Fotograf*innen sind jedoch alle von der Agentur Ostkreuz, die von ehemaligen DDR-Fotograf*innen im Jahr 1990 gegründet wurde. Heute blicken sie und ihre inzwischen hinzugekommenen Kolleg*innen in ihren Fotos auf alle Regionen Deutschlands, egal ob West oder Ost. Manchmal sind die Fotograf*innen jedoch sehr dicht am Thema: So dokumentiert zum Beispiel das Video über Thomas Meyer seine jahrelange Arbeit zur Berliner Mauer und dem Mauerstreifen.
Ganz um Ostdeutschland und das heutige Verhältnis zwischen Ost und West geht es dagegen im „Tagebuch Ostdeutschland verstehen“ des „Quoten-Ossis“ der Krautreporter, Christian Gesellmann. Auf Lesereise denkt er über ostdeutsche Identität nach, besucht trostlose Gegenden oder analysiert die fünf größten Probleme Ostdeutschlands. Sein Ton dabei: ehrlich aber sehr zugewandt.
Mehr Mauerfall
Die neun hier vorgestellten Projekte waren aber bei weitem noch nicht alle, die sich mit der deutsch-deutschen Geschichte beschäftigen und die zum Grimme Online Award 2020 eingereicht wurden. In einem zweiten Blogbeitrag werden wir weitere Angebote vorstellen – da geht es dann unter anderem um Social-Media-Angebote, die die Vergangenheit ins Heute holen und Datenanalysen zur Abwanderung oder zur Treuhand.
Deine Berichte haben mich erfasst! Manchmal musste ich das Lesen unterbrechen, vor Heulen müssen oder Nicht-aushalten-können z.B. bei den Schilderungen über Zwickau in deiner Lesung (ich bin in Dresden aufgewachsen, genauer Hellerau – Idylle/Paradies. Die Juden“witze“ kamen vom Sohn eines Parteibonzen – sowas hatte ich nie vorher gehört). Manchmal musste ich schmunzeln.
Es gäbe noch viel mehr zu erzählen, es gibt! Mach weiter, ruh mal aus. Mach weiter – danke!