Demokratie, Gedenkarbeit und Artenschutz

Die Preisverleihung des Grimme Online Award 2024 in Marl

Der Blick auf die Liste der 27 nominierten Angebote ließ tief durchatmen: NS-Zeit und Judenverfolgung, Rechtsradikalismus, Migration und Heimatlosigkeit – recht viele schwere Themen. Die Bedeutung und Schwere der Themen nahm den Nominierten und weiteren Gästen trotzdem nicht die Begeisterung über die Preisverleihung  – und die Zuschauenden freuten sich sowieso mit allen Preisträger*innen.

Gruppenbild der Preisträger; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Gruppenbild der Preisträger; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Freude über die eigene Nominierung und große Spannung bei allen Gästen, wer am Ende einen Preis mit nach Hause nehmen kann, waren also angesagt, an diesem Abend, der lange Zeit gar nicht eingeplant war. Erst im Juni fiel die Entscheidung, zu einem Zeitpunkt, an dem der GOA in den Vorjahren bereits vergeben worden war. Gut drei Monate dauerten die Vorbereitungen, eingeleitet und befördert von Grimme-Geschäftsführer Peter Wenzel, es wurden Mitglieder für Nominierungskommission und Jury berufen und in ihrer Arbeit begleitet, die Einreichformalitäten erstellt, in Handarbeit Bühne, Beleuchtung, Video- und Tontechnik montiert und aufgebaut, Social Media und Blog gefüllt, Moderationsbuch und Regiepläne geschrieben usw., usf.

Trotzdem entstanden natürlich Kosten. Die finanzielle Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen und des Kreises Recklinghausen, das durch die Knappschaft Kliniken gesponsorte Catering, die Produktion der Einspieler seitens der Filmproduktionsfirma fernsehzimmer, die Unterstützung durch Westenergie AG und weitere Partner ermöglichten den diesjährigen Wettbewerb und die Preisverleihung. All jenen dankte Peter Wenzel – und auch der Belegschaft des Grimme-Instituts – in seinem Interview mit der Moderatorin Anja Backhaus zu Beginn der Veranstaltung.

Über die Notwendigkeit des GOA24 braucht sicher nicht diskutiert zu werden: „Dieses Jahr in dieser Zeit ist er wichtiger als jemals zuvor!“, sagte der Juryvorsitzende Stephan Anpalagan bei der Vorstellung des zweiten Preisträgers. Und damit sind wir auch schon mitten in der Preisverleihung.

Noderatorin Anja Backhaus im Gespräch mit Grimme-Geschäftsführer Peter Wenzel; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Noderatorin Anja Backhaus im Gespräch mit Grimme-Geschäftsführer Peter Wenzel; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Demokratie: Gefährdung und Vertrauen

Für ein erstes Ausrufezeichen oder besser: für die ersten drei bis fünf Ausrufezeichen sorgte der Schauspieler Armin Rohde, der als Preispate für die Idee, Datenrecherche und Datenvisualisierung des Projekts „Europäische Waffen, amerikanische Opfer“ von Tagesspiegel und ZDF Magazin Royale fungierte. Nach der Vorstellung der Nominierten aus der Kategorie „Information“, aber noch vor Laudatio und Jurybegründung wies Rohde auf die Wichtigkeit solcher Angebote gerade auch für junge Leute hin und ging – mit viel Leidenschaft und die Redezeit komplett überschreitend („Sind die zwei Minuten schon rum?“) – auf die Demokratiegefährdung durch Lügen im Netz, Framing, Verschwörungserzählungen und ähnliches ein.

Moderatorin Anja Backhaus im Gespräch mit dem Schauspieler Armin Rohde; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Moderatorin Anja Backhaus im Gespräch mit dem Schauspieler Armin Rohde; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Die Begriffe Demokratie und Demokratiegefährdung fielen an diesem Abend recht häufig – bereits im oben erwähnten Interview erklärte Peter Wenzel: „Die Demokratie wird angegriffen und das Netz hat die Möglichkeit, Demokratie zu gefährden, aber auch zu schützen“. Und so forderte Anja Backhaus die Gäste im Saal sowie die Zuschauer*innen im Livestream auf, sich alle Angebote anzuschauen, weil: „(…) der GOA bildet und klärt auf durch seine Kuratierungsfunktion.“

Nora Nagel und Hanna Herbst vom ZDF Magazin Royale nahmen die Trophäe mit großer Freude entgegen und berichteten begeistert von den Reaktionen, die es selbst aus den USA gab. Und: Es gab „ausnahmsweise mal keine juristischen Konsequenzen“. Interessant fanden sie „diese europäische Arroganz gegenüber den US-amerikanischen Personen, wo die Mass Shootings ein so großes Problem sind. (…) Dass aber tatsächlich Profiteure in Deutschland und in Österreich sitzen, die (…) damit Geld verdienen, dass diese Mass Shootings in den USA stattfinden.“

Schauspieler Armin Rohde hat die Trophäe an Hanna Herbst und Nora Nagel übergeben; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Schauspieler Armin Rohde hat die Trophäe an Hanna Herbst und Nora Nagel übergeben; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Eng mit dem Thema „Demokratie und Demokratiegefährdung“ verbunden ist auch die Frage nach dem Vertrauen in den Rechtsstaat. Stephan Anpalagan betonte in seiner Laudatio zur preisgekrönten Podcastreihe „Systemeinstellungen“ die Wichtigkeit der Rechte, mit denen sich Menschen gegen die Staatsgewalt wehren könnten, und führte weiter aus: „Es ist ziemlich schwer, in diesem Bereich zu arbeiten, zu forschen, investigativ zu sein, zu recherchieren. Weil man sich mit dem mächtigsten Gegner dieses Landes anlegt, man legt sich an mit dem Staat selbst. Und das zu dokumentieren, das aufzuschreiben, sich damit auseinanderzusetzen, den Menschen zu glauben, die sagen, dass ihnen Unrecht geschehen ist, das ist ein großes Verdienst dieses Podcasts.“

In dem anschließenden Gespräch der Moderatorin mit Anpalagan und dem Host des Podcasts, Serafin Dinges, blieb vor allem der Moment haften, in dem Anpalagan, aber sicherlich auch viele Zuschauer*innen im Institut und vor dem YouTube-Stream eine gewisse Zerrissenheit bei Dinges wahrnahmen: Sind die vielen aufgedeckten Vorkommnisse Einzelfälle oder steckt hinter den Einzelfällen ein System? Einen großen Plan, eine große Verschwörung freilich sieht der Podcast-Host von „Systemeinstellungen“ hier nicht am Werk.

Anja Backhaus und Stephan Anpalagan im Gespräch mit Serafin Dinges; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Anja Backhaus und Stephan Anpalagan im Gespräch mit Serafin Dinges; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Auseinandersetzung mit der Vergangenheit

In seinem Statement zu Beginn der Veranstaltung hob Armin Rohde die Folgen von Lügen und Framing im Internet gerade auch für Jugendliche hervor – und warb um Netz-Angebote für diese Zielgruppe, die diesen Problemen entgegentreten.

Zwei nachfolgend in der Kategorie „Unterhaltung“ ausgezeichnete Angebote, „Library of Lost Books“ und „Curt Bloch und ‚Het Onderwater-Cabaret‘“, leisten genau dieses, auch wenn sie sich nicht nur an eine junge Zielgruppe wenden, sondern an uns alle. Vorgestellt wurden sie jeweils von der Preispatin Schiwa Schlei, Programmleiterin von WDR 1Live und COSMO. Sie bemerkte zunächst mit Blick auf die Mediennutzung Jugendlicher, dass das Vorhandensein von guten und schlechten Inhalten „nichts Online-Spezifisches“ sei, sondern für alle Medien gelte – und betonte anschließend die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: „Wir Öffentlich-Rechtlichen sind nicht die einzigen, die für Qualität in sozialen Netzwerken sorgen, aber ich denke, es ist wichtig, dass es uns da gibt, um trusted guides zu sein in einer Welt, die (…) sehr divers ist und unkontrolliert.“

Anja Backhaus im Gespräch mit der Preispatin Schiwa Schlei; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Anja Backhaus im Gespräch mit der Preispatin Schiwa Schlei; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

„Aber die jungen Leute machen auch wirklich mit“, merkte die Projektverantwortliche der „Library of Lost Books“, Kinga Bloch, an, als es um den Wert ihres Angebots gerade für diese Generation ging. „Wir müssen an diese Generation auch glauben, wir müssen die junge Generation wirklich abholen und einen Raum geben, in dem sie tolle Sachen machen können – und sie machen das dann auch.“

Gemeint ist die angebotene Interaktivität: „Die Möglichkeit, sich selbst auf die Suche nach den verlorenen Büchern zu begeben, die von den Nazis geraubt wurden oder in der Nachkriegszeit verloren gingen, fesselt und involviert die Nutzenden noch viel stärker in die Geschichte dieses außergewöhnlichen Ortes“ (aus der Begründung der Jury). Und alles begann, laut Bloch, mit einem Stempel: „Der erste Moment war, dass ein Stempel des Instituts gefunden wurde von den Kollegen in Jerusalem, und da begannen wir nachzuforschen. (…) Wir haben Stempel gefunden in den Vereinigten Staaten, in Prag, in London, in Berlin, (…) natürlich auch in Israel.“ Nun suchen viele und gerade junge Menschen weiter nach Büchern und schriftlichen Hinweisen, um die Bibliothek einer nicht mehr existierenden Hochschule zumindest digital wieder zu befüllen.

Anja Backhaus im Gespräch mit Kinga Bloch und Angela Schulz zur Wiesch; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Anja Backhaus im Gespräch mit Kinga Bloch und Angela Schulz zur Wiesch; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Eine Schatzsuche sozusagen – und um einen Schatz ging es auch bei „Curt Bloch und ‚Het Onderwater-Cabaret‘“. Projektleiter Thilo von Debschitz: „Ich hätte nie gedacht, dass nach fast acht Jahrzehnten so ein Schatz überhaupt noch existiert, das ist ja wie das Tagebuch der Anne Frank, nur in einer anderen Form.“ Ein wenig tragisch, aber auch etwas amüsant war seine Reaktion, die er uns ein paar Tage später zukommen ließ und die wir in aller Ausführlichkeit zitieren möchten:

„Als dann unsere Kategorie aufgerufen und das LBI London [mit dem „Library“-Projekt, Hinweis der Redaktion] auf die Bühne gebeten wurde, waren wir zunächst sehr enttäuscht. Deswegen habe ich dem internationalen Team, das vor den Bildschirmen das Streaming verfolgte, ein „Schade“ zugetextet. Simone Bloch [die Tochter von Curt Bloch, Hinweis der Redaktion] stieg dann auch in New York aus der Übertragung aus, meine Tochter ebenfalls (…).

Für uns war klar: Das war’s. Denn dass bei fünf Nominierungen zwei mit jüdischem Thema ausgezeichnet werden, war für uns nicht denkbar. Paritätisch erwarteten wir, dass das – wenn es überhaupt einen zweiten Preisträger geben würde – eher Themen mit Migrationshintergrund betreffen würde, also @tahdur oder die Migratöchter. Zumal die Preisträgerin des LBI auch noch Kinga Bloch hieß. Zweimal Bloch auf der Bühne war für uns komplett unwahrscheinlich.

Gedanklich sind wir da ausgestiegen, was einen eigenen Preis anging. Als dann der Aufruf unseres Projektes kam, rutschte uns das Herz komplett in die Hose. Ich habe schnell Simone in New York versucht zu erreichen (erfolglos).“

Mit der Hoffnung, dass sich viele Menschen mit dem Werk von Curt Bloch beschäftigen, dass es ein niedrigschwelliges Angebot sei, um etwas „über die NS-Zeit zu erfahren“, ging die Veranstaltung schließlich über zum Sonderpreis „Künstliche Intelligenz“.

Anja Backhaus im Gespräch mit Thilo von Debschitz und Tim Siegert; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Anja Backhaus im Gespräch mit Thilo von Debschitz und Tim Siegert; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Sonderpreis „Künstliche Intelligenz“

Beim GOA24 folgte nach den ersten zwei von vier Kategorien, also zur Halbzeit, ein besonderer Preis, der zum ersten Mal verliehen wurde: der Sonderpreis „Künstliche Intelligenz“, übergeben durch den Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien des Landes Nordrhein-Westfalen und Chef der Staatskanzlei, Nathanael Liminski. Nominiert waren interessanterweise drei KI-Podcasts, davon zwei gängige Wissenspodcasts – der „KI-Podcast“ von BR und SWR sowie „KI verstehen“ des Deutschlandfunks – und das fiktive Krimi-Hörspiel „In 5 Tagen Mord – Die Krimi-Challenge mit KI“, das am Ende den Sonderpreis bekam. Das Hörspiel greift viele Themen auf, die auch in den beiden anderen Podcasts beleuchtet werden: KI und Urheberrecht, Auswirkungen von KI auf Kreativität und kreative Berufe sowie KI und Ethik.

Anja Backhaus im Gespräch mit Nathanael Liminski; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Anja Backhaus im Gespräch mit Nathanael Liminski; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Der Minister ging zunächst auf die diesjährige Preisvergabe allgemein ein, um schließlich auch das Thema KI aufzunehmen:

„Ich finde, das waren alles tolle Beispiele dafür, warum es sinnvoll ist, dass dieser Preis auch in diesem Jahr in dieser Zeit stattfindet. In einer Zeit, in der sich das Netz häufig ein bisschen anfühlt wie ‚hohe See‘, ist der Grimme Online Award nichts weniger als ein Leuchtturm, der Orientierung stiftet und der vor allen Dingen eine Bühne bietet (…) für gute Inhalte.

Auf der einen Seite hat KI dazu geführt, dass wir alle (…) noch ein bisschen misstrauischer geworden sind. Andererseits ist KI natürlich auch ein wahnsinnig effektives Instrument, um (…) Desinformation aufzudecken.“

Über die Chancen und Risiken von Künstlicher Intelligenz wurde schließlich auch auf der Bühne mit der Projektleiterin Eva Deinert und den Autor*innen Christian Schiffer und Janina Rook des Krimi-Hörspiels diskutiert. Während Rook kaum glauben konnte, dass ChatGPT bereits von so vielen Menschen selbstverständlich genutzt wird, sprach Schiffer gar von einer Art Magie: „Irgendwann wird aus Quantität auch eine Qualität. Wenn man einfach der KI sagt, mach mir nochmal 10 Ideen, und die KI macht das, dann sind irgendwann kreative Dinge dabei, die einen inspirieren. Die eigentliche Magie entsteht dann, wenn der Mensch mit der KI zusammenarbeitet.“

Anja Backhaus im Gespräch mit Eva Deinert, Christian Schiffer, Janina Rook und Nathanael Liminski; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Anja Backhaus im Gespräch mit Eva Deinert, Christian Schiffer, Janina Rook und Nathanael Liminski; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Mit Glückwunsch, Applaus und Dank an den Minister leitete Anja Backhaus zur dritten Kategorie über: „Wissen und Bildung“.

Nicht vergessen – und Gedenkarbeit leisten!

In dieser Kategorie ging es zweimal um das Erinnern und einmal um Pflanzen, Gärten und Artenschutz. Obwohl: Erinnern ist vielleicht nicht das richtige Wort – Nicht-Vergessen oder Gedenkarbeit mögen passender erscheinen. So würdigte der Preispate Bodo Klimpel, Landrat des Kreises Recklinghausen, die großartige Leistung des GOA-gekrönten Angebots „#LastSeen. Bilder der NS-Deportationen“ in eine eindrückliche Laudatio, die mit den Worten endete: „Es ist so leicht, die, die man nicht mehr sieht, zu vergessen. (…) #LastSeen erschwert uns das Vergessen. Danke.“

Anja Backhaus im Gespräch mit Alina Bothe und Bodo Klimpel; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Anja Backhaus im Gespräch mit Alina Bothe und Bodo Klimpel; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

„Was erhoffen Sie sich davon, dass diese Fotos jetzt für alle zugänglich sind?“, fragte anschließend die Moderatorin und die Projektleiterin Alina Bothe von der Freien Universität Berlin antwortete: „Zwei Dinge. Das eine ist historische Grundlagenforschung: Zu verstehen, was passiert ist, indem wir hinschauen. Das andere ist, das Wissen über das, was geschehen ist, das Miteinander-Agieren von Tätern und Zuschauern (…), dass das zugänglich und mitnehmbar wird, ist Teil unser aller Erinnerung.“ Die Rolle der Täter und der Verfolgten, aber auch die der Zuschauenden, die versteckt hinter einer Gardine oder ganz offen Zeuge der Verbrechen werden – „am helllichten Tag, mitten in den Innenstädten“ (Bothe) – werde durch die Bilder offengelegt. Bewegende Momente zu einem bewegenden Angebot!

Den Begriff „Gedenkarbeit“ hat Susanne Siegert, die für ihren TikTok-Kanal „keine.erinnerungskultur“ einen Award entgegennehmen durfte, in die Diskussion gebracht. Erinnern könne man sich eigentlich nur an Dinge, die man selbst erlebt habe: „[Wir müssen] andere Begriffe finden für die Auseinandersetzung mit Naziverbrechen, jetzt ohne Überlebende, und da müssen wir alle eine Rolle übernehmen als Akteur*innen und müssen selber da Arbeit leisten. Deswegen bevorzuge ich persönlich den Begriff ‚Gedenkarbeit‘.“ Auf ihrem TikTok-Kanal klärt Susanne Siegert über die Verbrechen der Nazis im Zweiten Weltkrieg auf und macht deutlich, warum es noch heute so wichtig ist sich mit den Geschehnissen auseinanderzusetzen.

Sie selbst erinnere sich hingegen, wie sie vor vier Jahren begonnen und in den ersten beiden Jahren nicht viel Aufmerksamkeit erhalten habe: Rückmeldungen gab es allenfalls von einer Freundin und der Mutter. Das hat sich schon längst geändert – und vielleicht verhilft die Auszeichnung des Angebots noch einmal zu einem weiteren Aufschwung.

Susanne Siegert in Erwartung der Auszeichnung; Foto: Georg Jorczyk / Grimme-Institut

Susanne Siegert in Erwartung der Auszeichnung; Foto: Georg Jorczyk / Grimme-Institut

Die Laudatio zu „keine.erinnerungskultur“ hielt die Creatorin Marie Lina Smyrek, die im letzten Jahr den Grimme Preis für ihren TikTok-Kanal „smypathisch“ erhielt. In ihrer zweiten Laudatio an diesem Abend bewegte sie sich anschließend auf einem ganz anderen Themen-Terrain:

UmweltMedienpreis oder Grimme Online Award?

Instagram-Kanal von Robin König alias Robinga Schnögelrögel; Bild: Michael Schnell / Grimme-Institut

Instagram-Kanal von Robin König alias Robinga Schnögelrögel; Bild: Michael Schnell / Grimme-Institut

67 zu 33 Prozent – so lautete der Zwischenstand gegen Ende einer Umfrage, die Robin König alias „Robinga Schnögelrögel bei Instagram“ an die Follower*innen seines Instagram-Accounts stellte: Wo soll ich am 16. Oktober hingehen? Zur Preisverleihung des UmweltMedienpreises, veranstaltet von der Deutschen Umwelthilfe, oder zum Grimme Online Award? Für beide Preise war er nominiert. Zwei Drittel seiner Community entschieden sich für den UmweltMedienpreis und so musste der GOA in Abwesenheit des Preisträgers verliehen werden – die Trophäe wird ihm zugesandt. Schade, aber es war sicherlich auch eine schwere Entscheidung für den „Plant-Influencer“.

Preispatin Marie Lina Smyrek; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Preispatin Marie Lina Smyrek; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Mit den smypathischen, nein, sympathischen Worten „Robin spricht die Pflanzen mit ihrem lateinischen Namen an, lobt sie und dankt ihnen für ihre Arbeit, als wäre es das Normalste auf der Welt. Und das Schöne ist: Das ist es ja auch!“, zeigte Laudatorin Marie Lina Smyrek ihre Bewunderung für Robin Königs Leistung. Und auch gut: Die folgende Preispatin Sarah Brasack, stellvertretende Chefredakteurin des Kölner Stadtanzeigers, weiß nun, warum ihr Insektenhotel auf dem Balkon seit fünf Jahren unbewohnt ist.

Beim UmweltMedienpreis gewann Robin König übrigens auch, und zwar den Publikumspreis!

Glückwunsch aus Marl auch dazu!

Und noch einmal Demokratie und ihre Gefährdung!

Nach der Natur ist vor der Politik – nach Schnögelrögel wurde es wieder politischer und auch ein wenig ernster. Preispatin Sarah Brasack sagte zu Beginn ihrer Laudatio: „Wir brauchen investigative Recherchen, wenn wir möchten, dass es auch in ein paar Jahren noch eine Demokratie in Deutschland gibt. [Es ist ja so], dass gerade Investigativjournalist*innen, wenn man (…) auf einer Skala gefährdeter Arten guckt, da nah an der Kategorie Feldhamster sind, weil einfach ganz viele Redaktionen in Deutschland sich investigative Recherche gar nicht mehr erlauben können.“

Preispatin Sarah Brasack; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Preispatin Sarah Brasack; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Ihre Hochachtung brachte sie beiden nominierten Angeboten in der Kategorie „Spezial“ entgegen: Correctiv für den Impact der „Geheimplan-Recherche“ und netzpolitik.org/BR für die „Databroker-Files-Recherche“. Letztere haben den Spezialpreis schließlich gewonnen. Rebecca Ciesielski beschrieb im Interview mit Anja Backhaus noch einmal kurz die irritierende Leichtigkeit, mit der das Rechercheteam an hochsensible Daten kommen konnte, die allein durch die Nutzung von Smartphone und Apps entstanden sind, von Firmen gesammelt und weiterverkauft, im Fall der Recherche sogar kostenlos preisgegeben wurden.

Anja Backhaus im Gespräch mit Rebecca Ciesielski; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Anja Backhaus im Gespräch mit Rebecca Ciesielski; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Das Ganze sei ein „Skandal“, wie Sarah Brasack zurecht betonte. Aber was kann dagegen unternommen werden? „Man hat natürlich immer das Spannungsverhältnis zwischen Regulation und Selbstverantwortung“, meinte Ciesielki, doch haben ihre Untersuchungen gezeigt, dass die Selbstverantwortung da ggf. nicht ausreiche. Vielleicht müsse doch mehr Regulation vorgenommen werden.

Komik und Tragödie

Was schwer begann, hier und da von etwas Leichtigkeit durchbrochen, dann aber wieder wuchtig wurde – das sollte nun mit dem letzten zu vergebenen Preis einen heiteren Abschluss erhalten, auch wenn, wie es halt oft mit niveauvollem Humor so ist, so manches angesprochene Thema an sich nicht witzig ist. Dies drückt auch der letzte Preisträger dieses Abends aus, Tahsim Durgun: „Ich habe (…) begriffen, dass die Mechanismen von Komik und Tragödie sehr nah beieinander liegen und man eigentlich nur noch das Deckungsgleiche füreinander entdecken muss.“

Anja Backhaus im Gespräch mit Tahsim Durgun und Sara Brasack; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Anja Backhaus im Gespräch mit Tahsim Durgun und Sara Brasack; Foto: Mareen Meyer / Grimme-Institut

Durgun erhielt für seinen TikTok-Kanal @tahdur den Publikumspreis – auf der Basis der zum Grimme Online Award nominierten Vorschläge haben die Nutzer*innen das von ihnen favorisierte Angebot ausgewählt. Auf Platz 2 in der Abstimmung kam der TikTok-Kanal „keine.erinnerungskultur“ von Susanne Siegert (s.o.), Nadia Zaboura mit ihrer Medienkritik auf Instagram erreichte Platz 3. Tahsim Durgun blieb bei aller Freude und Bewegtheit der Dank des Gewinners an Mutter, Vater und Geschwister – und natürlich an Beyoncé.

Ein schöner Abschluss!

PS: Der Gruß an Beyoncé hatte eine kleine Vorgeschichte – nachzuschauen im Video der Gesamtveranstaltung bei YouTube.

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