„(…) nur wenige Themen, die so sehr mit Emotionen und Erinnerungen, echtem und gefühltem Erleben verbunden sind“

Ein Interview mit Michael Schönherr über die nominierte Website „Die Treuhand und die Folgen“

Das Datenprojekt „Die Treuhand und die Folgen“ der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und Hoferichter & Jacobs GmbH zeichnet die Arbeit der Treuhand anhand des Weges nach, den die ostdeutschen Betriebe nach der Wiedervereinigung gegangen sind. Tausende von Publikationen der Treuhand, Handbücher und Listen wurden digitalisiert und in einer Datenbank zusammengefasst. Vier Teile beleuchten das Thema aus verschiedenen Perspektiven in Zeitstrahl, interaktiver Karte und Darstellung der Produktionsorte von „Ost-Produkten“ und bereiten es intuitiv auf. Das GOA-Blog hat drei Fragen an Michael Schönherr, Leiter Content der Filmproduktionsfirma Hoferichter & Jacobs und Autor des Projekts, gestellt.

Screenshot der Website Die Treuhand und die Folgen

Screenshot der Website „Die Treuhand und die Folgen“

Wie ist die Idee zu Ihrem Angebot entstanden? Gab es einen konkreten Anlass?

In Ostdeutschland gibt es nur wenige Themen, die so sehr mit Emotionen und Erinnerungen, echtem und gefühltem Erleben verbunden sind wie die Treuhand. Sie hat hier bis heute ein sehr negatives Image, mit dem in den letzten Jahren sogar Wahlkampf gemacht wurde.

Diese so emotionalisierende Behörde wollten wir objektiv untersuchen und haben 2020, zu ihrem 30. Gründungsjubiläum, ein erstes datenjournalistisches Projekt zusammen mit dem Mitteldeutschen Rundfunk umgesetzt. Dieses Projekt haben wir gemeinsam mit der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur deutlich umgestaltet, inhaltlich erheblich erweitert und um weitere Perspektiven ergänzt. Dabei haben wir auch den Datenbestand deutlich ausgebaut, sodass wir nun den Weg von 7.500 DDR-Betrieben nachvollziehen können.

Was war der größte Erfolgsmoment in der Arbeit, was die größte Herausforderung?

Die größte Herausforderung bei diesem in der medialen Öffentlichkeit, in der Bevölkerung und selbst in der Wissenschaft umstrittenen Thema ist sicherlich ein möglichst unvoreingenommener Blick auf die Treuhand. Dabei half die Objektivierung durch die datenjournalistische Analyse tausender Treuhandbetriebe und den Zugang zu den Treuhandakten.

Dies führte zur zweiten großen Herausforderung, da es erstaunlicherweise keine ordentliche Liste aller von der Treuhand betreuten DDR-Betriebe gibt. Daher mussten wir mit digitalen Mitteln mehrere analoge Quellen sehr unterschiedlicher Qualität erschließen, um alle Treuhandunternehmen erfassen und möglichst viele analysieren zu können.

So spannend die Treuhand und so eine Datenanalyse auch sind, so komplex ist die Geschichte der Treuhand. Schließlich betraf sie auf sehr vielen Ebenen gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Fragestellungen. Insofern sind wir froh, dieses vielschichtige Thema auf hoffentlich leicht verständliche Art zugänglich machen zu können.

Welche Resonanz gab es auf Ihr Angebot und wie sehen Ihre weiteren Pläne aus?

Wir sehen aus dem Feedback vor allem, wie relevant das Thema bis heute ist. Einerseits erinnern sich Menschen an Produkte und Betriebe, die in ihrer Erfahrungswelt oder in den Erzählungen der Familien eine Rolle spielen und deren Geschichte sie hier nachvollziehen können. Und zum anderen ist das Wirken der Treuhand ganz offensichtlich so nachhaltig, dass es in quasi jede ostdeutsche Familie hineinwirkte.

Die Treuhand ist insofern immer mit Zuschreibungen besetzt, sie verbindet sich mit Emotionen und fordert bis heute Emotionen heraus. Mit dem Abstand mehrerer Jahrzehnte interaktiv und tiefgründig von Zusammenhängen, von der Geschichte und von den Auswirkungen ihres Handelns zu erfahren, ist für Nutzerinnen und Nutzer insofern auch ein biografisches Puzzleteil.

Wichtig ist dabei, dass es ein Gesamtprojekt aus Podcast, Buch und Online-Projekt ist. Parallel zum Online-Projekt entstanden über 50 Interviews mit ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Treuhand sowie eine Interview-Buchpublikation und ein mehrteiliger Podcast zur Geschichte der Treuhand aus dieser Innenperspektive. Das Gesamtprojekt wird nun erweitert um über 20 weitere Interviews mit dem ehemaligen Leitungspersonal privatisierter Treuhandbetriebe und mit weiteren Podcast-Folgen.

Vielen Dank für das Interview!

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