„(…) es sind immer wieder kleinere Erfolgsmomente, die mich motivieren“

Ein Interview mit Susanne Siegert über ihren TikTok-Kanal „keine.erinnerungskultur“

Auf ihrem für den Grimme Online Award nominierten TikTok-Kanal „keine.erinnerungskultur“ klärt Susanne Siegert über die Verbrechen der Nationalsozialisten in der NS-Zeit auf und macht deutlich, warum es noch heute so wichtig ist, sich mit den Geschehnissen auseinanderzusetzen. Einprägsam sind auch die Gespräche, die sie mit der jüdischen Holocaust-Überlebenden Renate Aris aus Chemnitz führt. Über 190.000 Menschen folgen ihrem Account, einem Gegengewicht zu Fake News und Hetze und ein Beweis dafür, dass auch anspruchsvolle Themen wie die NS-Zeit auf TikTok erfolgreich umgesetzt werden. 

Screenshot des TikTok-Kanals

Screenshot des TikTok-Kanals „keine.erinnerungskultur“

Wie ist die Idee zu Ihrem Angebot entstanden? Gab es einen konkreten Anlass?

Ich glaube, der konkrete Anlass war, als ich im März 2020 zum ersten Mal das ehemalige Lagergelände des KZ-Außenlagers Mühldorfer Hart besucht habe. Das war eines der größten Außenlager des KZ Dachau, ungefähr 20 Kilometer von meinem Heimatort entfernt – trotzdem habe ich davon nie etwas in der Schule gelernt. Die Überreste des Lagers zu sehen hat dazu geführt, dass ich mehr zu diesem Ort recherchiert habe, und ich war überrascht davon, wie viel Material, z.B. Originaldokumente aus dem Lager, frei zugänglich in Online-Archiven verfügbar ist.

Den Ortsnamen „Mühldorf“ im Kontext von Massenvernichtung kennenzulernen, hat meinen Zugang zum Thema „Nazi-Verbrechen“ verändert und das wollte ich gerne mit anderen Menschen teilen. Instagram und TikTok erschienen mir als geeigneter Weg dafür, auch wenn es sich erstmal komisch angefühlt hat, sich vor die Kamera zu stellen und reinzusprechen.

Was war der größte Erfolgsmoment in der Arbeit, was die größte Herausforderung?

Ich glaube, es sind immer wieder kleinere Erfolgsmomente, die mich motivieren, so viel Zeit in diesen Kanal zu stecken. Das sind vor allem Kommentare von jungen Nutzer:innen, die Fragen stellen, ihre Erfahrungen teilen oder mir auch erzählen, dass sie meine Videos dazu motiviert haben, mehr zu ihrer Heimat oder auch ihren Familienmitgliedern zu recherchieren. Das bedeutet mir sehr viel, weil ich auch zeigen möchte, dass junge Menschen sehr wohl Interesse an der Geschichte des NS-Regimes haben, wenn man sie dort erreicht, wo sie eh viel Zeit verbringen, auf Augenhöhe und in einer Machart, die nicht wie ein Fremdkörper in ihrer Mediennutzung wirkt.

Gleichzeitig ist diese Abhängigkeit von Plattformen natürlich eine große Herausforderung, TikTok oder auch Instagram können ihren Algorithmus anpassen, Videos können weniger ausgespielt werden – und man kann nichts dagegen tun, außer weiter regelmäßig gute Inhalte zu veröffentlichen und den Anschluss zur Community nicht zu verlieren.

Welche Resonanz gab es auf Ihr Angebot und wie sehen Ihre weiteren Pläne aus?

Von Anfang an war die Resonanz sehr gespalten: Ich bekomme sehr viel positives Feedback, von Nutzer:innen, die sich bedanken, die interessante Themen-Hinweise geben oder ihre Erfahrungen teilen. Das schätze ich sehr, es ist ein tolles Gefühl, dass mich manche Nutzernamen schon seit so vielen Jahren begleiten.

Auf der anderen Seite gibt es immer auch Menschen, die die Erinnerung an die Zeit blockieren wollen, den Holocaust relativieren, verharmlosen oder sogar leugnen. Mir begegnet auch viel Antisemitismus in den Kommentaren, nochmal deutlich mehr seit dem 7. Oktober 2023. Menschen äußern sich abfällig darüber, dass ich gendere, über mein Aussehen, die Art wie ich spreche. Aber ich habe einen guten Umgang damit gefunden und fokussiere mich lieber auf den positiven Austausch und darauf, dass ich selbst jeden Tag neue Dinge lernen darf. Das ist auch nach wie vor mein Antrieb, diese Videos neben meinem Hauptjob zu recherchieren und erstellen. Dadurch, dass es nicht mein Job ist, bin ich komplett unabhängig und kann die Themen bearbeiten, die mir am Herzen liegen, was oft eine feministische oder queere Perspektive ist bzw. generell Themen, die nicht zum Schullehrplan gehören.

Natürlich wäre es schön, ich könnte diese Arbeit irgendwann hauptberuflich machen, noch mehr Zeit und Ressourcen reinstecken – aber wir werden sehen, ob das irgendwann möglich sein wird. Denn meine Unabhängigkeit und auch die Möglichkeit, mich zu positionieren, sind Dinge, die ich sehr schätze und auf die ich nicht verzichten möchte.

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