„(…) die komplexe Arbeit einer Gedenkstätte und die Fülle der (…) Themen zu einem explorativen Erlebnis digital zu verdichten.“

Ein Interview mit Marie Mohnhaupt über die nominierte Website „Andreasstraße digital“

Die interaktive Website „Andreasstraße digital“ der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße und der Stiftung Ettersberg macht die Geschichte des Areals zu DDR-Zeiten spürbar. In „Räumen und Geschichten“ der Untersuchungshaftanstalt, der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit und des Bezirksgerichts werden historisches Wissen und biographische Erfahrungen durch Scroll-Storys mit Zeitzeug*innen-Interviews, Fotos, Filmausschnitten und Dokumenten, Zeichnungen, Animationen und O-Tönen vermittelt. Für Schulen wurde ein „digitaler Lernort“ konzipiert. Zum Projekt hat das GOA-Blog ein Interview mit Marie Mohnhaupt, Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Stiftung Ettersberg, geführt.

Screenshot der Website „Andreasstraße digital“

Wie ist die Idee zu Ihrem Angebot entstanden? Gab es einen konkreten Anlass?

Der Wunsch und Anspruch der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße/Stiftung Ettersberg war es, eine digitale Erweiterung des historischen Ortes und der Dauerausstellung „HAFT | DIKTATUR | REVOLUTION: Thüringen 1949 – 1989“ zu schaffen. „Andreasstraße digital“ ist eine interaktive Webseite für alle, die sich für die Geschichte der Stadt Erfurt und das Areal der Andreasstraße zu DDR-Zeiten interessieren und sich diese im Internet selbst erschließen wollen. Entweder in Kombination mit einem Besuch oder auch unabhängig davon.

Unsere Gedenk- und Bildungsstätte befindet sich in einer früheren Untersuchungshaftanstalt, die zu DDR-Zeiten sowohl vom Ministerium für Staatssicherheit als auch von der Volkspolizei genutzt wurde. Zusammen mit der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit und dem Bezirksgericht am Domplatz bildet sie das historische Areal Andreasstraße. Die Website „Andreasstraße digital“ bereitet Userinnen und User auf den Besuch dieses historisch sehr besonderen Ortes vor, sie ergänzt unsere Ausstellung und bietet vielfältige Möglichkeiten, sich während oder nach einem Ausstellungsbesuch tiefer mit dem bereits Erfahrenen zu beschäftigen.

Mit „Andreasstraße digital“ versuchen wir einmal mehr, Brücken zu schlagen zwischen der Welt der Wissenschaft und der Lebensrealität der Menschen. Das heißt: Wir bereiten historisches Wissen und biographische Erfahrungen verständlich auf und bringen sie zu den Menschen. Für Schüler*innen und Lehrkräfte haben wir den Bereich Lernort konzipiert, der mit drei Modulen für den Schulunterricht, die individuelle Beschäftigung mit unseren Themen oder auch für unsere museumspädagogische Arbeit in der Gedenk- und Bildungsstätte genutzt wird.

Die virtuelle Welt ist kein Ersatz für die reale Welt. Digitale Angebote können Erlebnisse und Begegnungen in der analogen Welt aber wunderbar ergänzen. Sie können Menschen an Orte bringen, an denen sie aus unterschiedlichen Gründen gerade nicht sein können, und laden zur Vor- und Nachbereitung sowie zur vertiefenden Beschäftigung mit der Materie ein. Aus diesen Gründen haben wir für unsere Gedenkstätte die Website „Andreasstraße digital“ entwickelt.

Was war der größte Erfolgsmoment in der Arbeit, was die größte Herausforderung?

Der größte Erfolgsmoment war sicherlich der Launch der Website „Andreasstraße digital“ am 4. Dezember 2022. Einem für die Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße wichtigen Datum. Am 4. Dezember 1989 wurde die Andreasstraße vom Ort der Unterdrückung zum Ort der Befreiung. Mutige Erfurter*innen besetzten an diesem Tag die dortige Stasi-Zentrale und die dazugehörige Haftanstalt. Sie retteten die Stasi-Akten vor der Vernichtung und ermöglichten so die Aufarbeitung der SED-Diktatur. Wenig später folgten Menschen in anderen ostdeutschen Städten dem Erfurter Beispiel. Für User*innen die mehr über dieses historische Datum erfahren möchten, bietet „Andreasstraße digital“ unter dem Link https://4-dezember-1989.andreasstrasse.com/#/1 eine Scroll-Story an.

Auch wenn das Projekt mit der Veröffentlichung der Häftlingsstatistik und der Übersetzung in die englische Sprache erst im Juni 2023 abgeschlossen wurde, waren wir sehr glücklich, dass wir bereits am 4. Dezember 2022 mit dem Hauptteil der Seite online gehen konnten. Die Veröffentlichung in Etappen war den erschwerten Arbeitsbedingungen während der Corona-Pandemie geschuldet. Der Großteil der Inhalte auf „Andreasstraße digital“ wurde von uns für die Website erarbeitet. Diese Arbeit umfasste umfangreiche Recherchen in Archiven und Bibliotheken sowie einen intensiven Austausch mit Zeitzeug*innen und Expert*innen sowie die Erstellung der zahlreichen Interviews. Alles Aufgaben, die auch bei uns, durch die Corona-Pandemie, nur mit erheblichem Zeitverzug bewältigt werden konnten.

Welche Resonanz gab es auf Ihr Angebot und wie sehen Ihre weiteren Pläne aus?

Die Website „Andreasstraße digital“ ergänzt das Vermittlungs- und Bildungsangebot unseres Hauses perfekt und wird zur Vor- und Nachbereitung eines Besuchs der Gedenk- und Bildungsstätte intensiv durch unsere unterschiedlichen Zielgruppen genutzt. Vor allem die Arbeit mit den Zeitzeug*innen-Biografien kommt in unserer museumspädagogischen Arbeit regelmäßig zum Einsatz.

Nutzer*innen bringen immer wieder ihre Überraschung darüber zum Ausdruck, auf welche Art und Weise wir unsere Themen vermitteln. Das besondere Design, das bewusst die Ästhetik einer Graphic Novel mit der Technik eines 3D-Architekturmodells im Stadtraum von Erfurt vereint, sowie die in multimedialen Scroll-Storys aufbereiten Zeitzeug*innen-Biografien fallen auf. Der Anspruch, die komplexe Arbeit einer Gedenkstätte und die Fülle der zu vermittelnden Themen zu einem explorativen Erlebnis digital zu verdichten, kommt an und ermöglicht es den Nutzer*innen neue Perspektiven auf Vergangenheit und Gegenwart zu entwickeln.

Vielen Dank für das Interview!

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