„Sichtbarmachen einer (p)ostmigran­­tischen Alltagsgeschichte der DDR und Ostdeutschlands“

Ein Interview mit Isabel Enzenbach über die nominierte Webdoku „De-Zentralbild“

Die Webdoku „De-Zentralbild“ von out of focus medienprojekte präsentiert private Fotos zur Migration in die DDR. Insgesamt 30 Menschen, die zwischen 1957 und 1990 in der DDR gelebt haben, gewähren einen Einblick in ihre privaten Bildersammlungen und verbinden diese mit ihren Erinnerungen an die darin festgehaltenen Augenblicke. Siebzehn von ihnen vertiefen dies in Videointerviews. Die in fünf Sprachen verfügbare Sammlung ist nach Protagonist*innen, Ländern und Themen wie etwa Exil, Kultur, ungewollte Rückkehr und Vertragsarbeit durchsuchbar. Das GOA-Blog hat ein Kurzinterview mit Isabel Enzenbach, die für das Konzept von De-Zentralbild (mit-)verantwortlich ist, geführt. 

Screenshot der Webdoku „De-Zentralbild“

Wie ist die Idee zu Ihrem Angebot entstanden? Gab es einen konkreten Anlass?

Ja, es gab einen konkreten Anlass: unser voriges Projekt „Eigensinn im Bruderland“ (www.bruderland.de). In der Webdoku erzählen Menschen, die als Vertragsarbeiter:innen, Studierende oder politische Exilant:innen in der DDR gelebt haben, von ihren Erfahrungen. Wir haben diese Geschichten zum Teil mit den Fotos der DDR-Bildagentur „Zentralbild“ illustriert, aber auch mit privaten Fotos der Protagonist:innen.

Dabei fielen uns die eklatanten Unterschiede der Fotos auf. Während die offiziellen Fotos meist internationale Solidarität zelebrieren, erzählen private Fotos ganz verschiedene Aspekte: von der Bedeutung der Gruppe, gemeinsamen Partys, von Auszeichnungen, aber auch von Einsamkeit und Isolation. Uns wurde klar, was für eine spannende und zugleich nicht-beachtete Quelle diese privaten Bilder sind. Wie sie helfen können, jenseits stereotyper Bilder, etwas über die Leben von Menschen zu erfahren, die als Nicht-Deutsche in der DDR lebten. Die Perspektiverweiterung drückt sich auch im Namen des Online-Ausstellung und des Bildarchives aus: Von Zentralbild kamen wir zu Dezentralbild.

Was war der größte Erfolgsmoment in der Arbeit, was die größte Herausforderung?

Vielleicht nicht Erfolg, sondern prägend: die Zusammenarbeit mit der zweiten Generation, den Kindern von Vertragsarbeiter:innen bzw. Studierenden in der DDR. Private Fotos der Öffentlichkeit preiszugeben, setzt Vertrauen voraus. Das ist keineswegs selbstverständlich. Das intergenerationelle Gespräch, das beim Suchen der Bilder und Sprechen entstand, an dem nun eine interessierte Öffentlichkeit partizipieren kann, das Sichtbarmachen einer (p)ostmigrantischen Alltagsgeschichte der DDR und Ostdeutschlands, sehen wir als den Erfolg der Online-Ausstellung. Sie ist ein Beitrag zu einer ost-migrantischen Erinnerungskultur.

Welche Resonanz gab es auf Ihr Angebot und wie sehen Ihre weiteren Pläne aus?

Die von De-Zentralbild recherchierten und erschlossenen Fotos wurden von anderen Ausstellungen nachgefragt. Schließlich bieten sie einen neuen Blick auf die DDR als Einwanderungsland. So waren einzelne Bilder zum Beispiel bei „Wer wir sind“ in der Bundeskunsthalle in Bonn, bei “Echos der Bruderländer“ im Haus der Kulturen der Welt in Berlin oder in „An den Rändern taumelt das Glück“ der ACC-Galerie in Weimar zu sehen. Außerdem konnten wir eine Plakatausstellung im Rahmen des fluctoplasma Festivals 2023 in Hamburg präsentieren.

Neben dieser Ausstellungsresonanz folgte historisch-politische Bildungsarbeit mit dem Format, die von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert wurde. In diesem Kontext gab es Diskussionsveranstaltungen und Workshops in Werdau, Plauen, Köln, Weimar und Eberswalde. Besonders wichtig ist uns die Kooperation mit „DOMiD – Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland“, da ein großer Teil der Fotos und Informationen dort dauerhaft archiviert werden.

Als Team wollen wir weiter mit diesem Material arbeiten und würden uns über weitere Kooperationsangebote freuen.

Vielen Dank für das Interview!

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