Ein Podcast zu einer polarisierenden Person
Alice Schwarzer, eine Person, über die sich die Meinungen spalten und die unser Land dennoch sehr geprägt hat. Anlässlich ihres 80. Geburtstags hat das SZ-Magazin einen Podcast herausgebracht, in dem über sie als Wegbereiterin des Feminismus gesprochen wird, der aber auch die Kritik an ihrer Person verhandelt. Im Interview geben die Moderatorinnen Gabi Herpell und Susan Djahangard einen Einblick in ihre Recherche und wie es war, Alice Schwarzer persönlich zu begegnen. „Who the f*** is Alice?“ ist für den Grimme Online Award 2023 in der Kategorie „Kultur und Unterhaltung“ nominiert.
Ihr habt verschiedene Themen zu Alice Schwarzer diskutiert und mit ihnen sechs Folgen gefüllt. Es gäbe aber wahrscheinlich noch viel mehr zu ihrer Person zu sagen. Wie kommt es, dass es genau diese Themen wurden und nicht andere?
Susan Djahangard: Wir haben einfach damit angefangen, uns intensiv ihren Lebenslauf anzuschauen, zu überlegen, was ist wann passiert, wen hat sie wann getroffen und was war sonst in der Zeit los. Wir sind schon der Überzeugung, dass wir die wichtigsten Sachen ausgewählt haben, die maßgeblich sind, um Alice Schwarzer zu verstehen, um den deutschen Feminismus zu verstehen. Ich meine, es ist natürlich Teil von jeder journalistischen Arbeit, dass wir Sachen weglassen und uns entscheiden müssen. Wenn man zum Beispiel ihre Autobiografien liest, dann geht es da schon sehr persönlich um sehr viele Details und Einzelheiten ihres Lebens. So haben wir natürlich versucht zu überlegen, was ist jetzt wirklich wichtig für uns. Die großen Sachen, die man wissen muss, um verstehen zu können, wie Alice Schwarzer so bekannt werden konnte, warum sie so umstritten ist und was sie für Frauen in Deutschland erreicht hat, die haben wir in dem Podcast drin.
Gabi Herpell: Die erste Zeit ihrer Biografie konnten wir gar nicht so gut abdecken. Wenn jemand 80 Jahre alt wird, sind die Gesprächspartner begrenzt. Da gabs viele Einschränkungen, dass muss man dann einfach so erzählen, wie sie es erzählt. Alles andere kann man selbst auch erzählen. Durch das Interview hat man immer wieder Alice Schwarzers Sicht, auch wenn man ihr widerspricht, es bleibt ja ihre Sicht.
Ihr habt selbst am Anfang des Podcast gesagt, dass ihr viele Absagen bekommen habt. Hatte es starke Auswirkungen darauf, wie ihr den Podcast gestaltet? Welche Lösung habt ihr gefunden?
Gabi Herpell: Schwer zu sagen. Wir wissen natürlich nicht, was noch besprochen worden wäre. Wir haben dann immer weiter angefragt. Wir hätten sonst vielleicht jemand anders für dieselbe Stelle gehabt. Wir haben schon versucht, für diese ganz großen Bereiche immer jemanden oder mehrere Leute zu finden. Wer weiß, was sich noch geändert hätte, wenn wir mehr Leute gefunden hätten, die mit uns über ihre private Beziehung zu Alice Schwarzer reden. So nah hat das niemand an sich rangelassen, das verstehe ich auch. Also der Teil bleibt ein bisschen offen, aber das ist am Ende auch Privatsphäre.
Ihr habt Alice Schwarzer in München dann auch persönlich getroffen, nachdem sie zunächst auch nicht auf eure Anfragen reagiert hat. Wie war es, sie dann tatsächlich zu treffen? Zum Beispiel wenn sie das Kopftuch mit dem Nazi-Zeichen vergleicht. Wie seid ihr aus dem Gespräch rausgekommen?
Gabi Herpell: Wir haben nicht erwartet, dass wir jemanden bekehren. Das passiert natürlich nicht, dass man jemanden mit so klaren und so öffentlich geäußerten Meinungen trifft und dann stellt man das ein bisschen in Frage und plötzlich ändert derjenige seine Meinung. Das mit dem Hakenkreuz-Vergleich, das war natürlich auch für uns in dem Moment überraschend und noch überraschender war es eigentlich, dass sie es drin gelassen hat bei der Autorisierung. Wenn sie sich nicht trauen würde, die Leute gegen sich aufzubringen, dann hätte sie das alles in der Vergangenheit auch nicht geschafft. Viele Leute stellen sie jetzt viel mehr in Frage. Das ist ein Markenzeichen und so habe ich sie auch wahrgenommen. Trotzdem habe ich noch jemand anders wahrgenommen. Jemand, der auch kränkbar und verletzbar ist.
Susan Djahangard: Dafür, dass sie so bekannt ist, fanden wir auch krass, dass sie da einfach allein an der Hotelbar saß. Irgendwann kam dann ihre Partnerin. Wir haben gedacht, das streicht sie in der Autorisierung auch raus. Sie hat keine Presse-Armada hinter sich, die sie da betreut.
Gabi Herpell: Sie hatte auch vorher nicht abgesagt. Sondern einfach nie einen Termin genannt. Das ist auch eine interessante Art mit Anfragen umzugehen. Ich glaube, sie wollte sich ganz viel offenhalten. Irgendwann haben wir gedacht, da rückte der Geburtstag auch näher, was wäre jetzt eigentlich, wenn sie uns wirklich keinen gibt? Weil sie nicht zu greifen war. Und dann gab es plötzlich den Termin.
Was hättet ihr denn gemacht, wenn sie kein Interview gegeben hätte? Es muss frustrierend gewesen sein, wenn man gar nicht weiß, ob sie jetzt das Interview macht oder im letzten Moment dann doch absagt.
Susan Djahangard: Ja, das wäre richtig blöd gewesen. Wenn man sich so lange mit jemandem beschäftigt, dann will man natürlich auch die Person selbst hören und der Person auch die Chance geben, dass sie selbst zu Wort kommen kann. Ehrlich gesagt hatten wir gar nicht so einen festen Plan B. Wir haben die ganze Zeit damit gerechnet, dass das Interview schon stattfinden wird. Wir haben nicht darüber nachgedacht, was wir machen, wenn sie wirklich absagt.
Gabi Herpell: Das wäre richtig schade gewesen. Aber ich meine, wir hätten wahrscheinlich was anderes draus gemacht. Man denkt dann schon: jetzt wird es aber immer enger. Irgendwie auch wieder spannend, dass es dann so eng war.
Wie lange hat es denn überhaupt gedauert, bis ihr das Gefühl hattet, ihr habt genug recherchiert, um die erste Folge aufnehmen zu können?
Susan Djahangard: Ich weiß das tatsächlich noch relativ genau, weil ich erst im April beim SZ-Magazin angefangen habe, aber schon vor meinem ersten Arbeitstag haben wir das erste Mal darüber geredet. Also Anfang oder Mitte März letzten Jahres haben wir zum ersten Mal darüber gesprochen. Dann haben wir uns erst mal eingelesen und überlegt, wie konzipieren wir das. Die ersten Interviews haben wir ab Juli geführt.
Gabi Herpell: Wir haben vor allem erstmal, weil wir das alle selbst noch nicht kannten, zwei Tage hier zu viert gesessen und ein Storyboard gemacht. Das fand ich interessant. Also welche Elemente kommen da rein? Interviews, aber auch Einspieler aus Fernsehen, Radio und so weiter. Alte Interviews mit ihr. Dann Nacherzählungen von Szenen und Dialogen. Was wollen wir alles damit erzählen und covern? Und gehen wir biografisch durch oder wie gehen wir durch ihr Leben? Wir brauchten diese zwei Tage total, um am Ende das Gefühl zu kriegen, das sind ja wirklich sechs Folgen oder sieben oder fünf. Am Anfang habe ich gedacht, ein Podcast, das kann man in einer halben Stunde erzählen und dann war klar, wir kriegen das nicht mal in sechs Folgen richtig unter. Also sieben Monate vom ersten drüber sprechen bis zu den Aufnahmen.
Ihr verwendet einen sogenannten Mansplainer in dem Podcast. Wie kam es dazu und was war euer Hintergedanke dabei?
Susan Djahangard: Das ist mir plötzlich eingefallen. Das war auch praktisch, weil wir so Wörter benutzt haben, wie zum Beispiel „Terf“, die wir auch erklären mussten. Da das eine Situation ist, die viele von uns Frauen kennen, haben wir damit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.
Ihr habt euch sehr lange mit dem Feminismus und Alice Schwarzer als Person beschäftigt, gab es trotz allem noch Sachen, die euch überrascht haben, die ihr vielleicht vorher nicht wusstet oder die euch gar nicht so bewusst waren? Positiv wie auch negativ.
Susan Djahangard: Für mich war es zum einen superinteressant noch mal zu verstehen, wie war die feministische Bewegung in Deutschland in den Sechzigern und Siebzigern. Ich habe mich schon davor für Feminismus interessiert, aber ich wusste vieles nicht, zum Beispiel welche Zeitschriften es gab. Dann haben wir die Gründerin von „Courage“ getroffen. Einer Zeitschrift, von der ich überhaupt nicht wusste, dass es die damals gab. Solche Sachen fand ich spannend, weil ich davon überzeugt bin, dass es superwichtig ist, dass auch junge Frauen verstehen, welche Geschichte der Feminismus schon gemacht hat, welche Diskussion es vielleicht schon gab. Ich wusste auch nicht viel über Alice Schwarzer. Ich wusste, dass sie diese Kampagne im Stern „Wir haben abgetrieben“ gemacht hat. Aber dass sie das innerhalb von einem Monat auf die Beine gestellt hat, da 374 Frauen zusammenzutrommeln, dass fand ich schon irre.
Gabi Herpell: Ich fand interessant, was sie noch nebenher gemacht hat. Ohne, dass das so auf der Agenda stand. Wir stolpern in dem Podcast über ein Buch über Petra Kelly und Gert Bastian. Das Buch fand ich zum Beispiel interessant, weil sie die Einzige war, die in Deutschland gesagt hat: „Wenn ein Mann seine Frau im Schlaf umbringt, dann ist das kein Doppelselbstmord, sondern dann ist das ein Femizid“. Da fand ich auch wieder interessant, dass sie dieses Gespür hat. Darauf muss man erst mal kommen. Was mich überrascht hat, weil ich das auch nicht wusste, war dass die ganze Emma-Redaktion nach einem Jahr gekündigt hat. Ihr sind ihre Frauen abgesprungen. Manchmal kriegt man dann auch so ein bisschen Mitleid mit ihr. Das war gerade so die Zeit, in der sie den ganzen Hass erfahren hat, von den Männern und den ganz großen Blättern. Und dann laufen ihr die Frauen auch noch von der Fahne. Da denkt man schon, dass diese Zeit für sie nicht einfach gewesen sein kann.
Susan Djahangard: Das fand ich auch interessant, in Zusammenhang mit Petra Kelly und Alice Schwarzers Mut zu sagen: „Ich sehe das anders als alle anderen“. Denn ich meine, das war auch etwas, das mir am Anfang erst mal eher unsympathisch war. Wenn sich jemand so in den Vordergrund drängt. Auf den ersten Blick finde ich es sympathischer und überzeugender, wenn Frauen sich gemeinsam im Kollektiv organisieren und gemeinsam arbeiten. Ich fand es dennoch interessant zu hören, wie mehrere Frauen meinten, dass sie das sogar besser fanden, dass es jemanden wie Alice Schwarzer gab, die das an sich gerissen hat und sich in die erste Reihe gestellt hat. Die sich getraut hat allein zum Spiegel zu laufen und den ganzen Männern zu sagen: „Nein, ich schreibe jetzt diesen Artikel, denn das ist jetzt wichtig“. Das fand ich überraschend. Zu verstehen, dass diese Funktion, die ich erst mal schwierig und eher unsympathisch finde, hier geholfen hat. Das hat mich sehr beschäftigt.
Gab es Themen, die ihr persönlich so wichtig findet, dass ihr sie gerne mit drin gehabt hättet?
Susan Djahangard: Wir arbeiten gerade an einem Text zu dem Selbstbestimmungsgesetz, welches im Podcast kurz vorkommt. Es wäre absurd zu erwarten, dass man dort alle Themen auserzählt. Uns begegnen noch immer Leute, die wir aus der Recherche kennen, wo wir denken: das wäre vielleicht nochmal spannend, mit denen noch ein Interview zu machen. Aber das ist gar kein Nachteil für den Podcast, sondern eher, dass das nochmal gezeigt hat, wie groß und vielfältig diese politische feministische Bewegung war und ist.
Gabi Herpell: Was mich total beeindruckt hat in diesem Podcast, war auch ein Gespräch mit Katharina Oguntoye, die am Ende gesagt hat: „Meine Helden müssen ja nicht alles so machen, wie ich es machen würde“. Das fand ich eine Haltung, die hat ja fast keiner mehr.
Susan Djahangard: Ich hatte tatsächlich auch in ganz vielen Gesprächen Überraschungsmomente. Gerade mit Katharina Oguntoye, die eine der wichtigsten Begründerinnen der schwarzen deutschen Frauenbewegung ist. Ich hatte eigentlich erwartet, von dem was ich über sie wusste, dass sie viel kritischer ist als Alice Schweizer. Im Gegenteil! Sie hat Alice Schwarzer verteidigt.
Wie war die Reaktion der Öffentlichkeit als der Podcast veröffentlicht wurde? War das eine Reaktion, mit der ihr gerechnet habt oder hat sie euch überrascht?
Susan Djahangard: Ich glaube, wir waren schon gespannt, was passiert, wenn wir den Podcast veröffentlichen, und wir haben uns natürlich gefreut, dass wir Rückmeldungen gekriegt haben. Wir haben auch Radio-Interviews gegeben und das war natürlich irgendwie schön, dass es gehört wird und Leute interessiert. Das, was mich am meisten bewegt hat, war, dass Leute diesen Generationskonflikt, den wir erwähnen, kennen. Eine Zuhörerin hat mir geschrieben, dass sie in einem feministischen Forschungsinstitut arbeitet. Sie hat geschrieben, dass sie viele Konflikte mit einer Kollegin hat, die älter ist als sie. In den Konflikten geht es um viele der inhaltlichen Fragen, wie die Transrechte oder wie man zum Kopftuch steht zum Beispiel. Das war für mich die bewegendste Rückmeldungen, dass der Podcast auch dazu beitragen kann, dass Frauen sich über Feminismus unterhalten können und das eben auch zwischen den Generationen.
Gabi Herpell: Die Drohungen in den Kommentaren waren erwartbar. Die schönsten Rückmeldungen waren die, wo die Leute gesagt haben, dass sie das eben über Alice Schwarzer hinaus auch interessant fanden. Was ich ebenfalls interessant fand, waren die Rückmeldungen zum Medium Podcast selbst. Wie unterhaltsam es ist.
Was ist euer Fazit aus der ganzen Recherche und der Arbeit am Podcast? Was nehmt ihr an Erinnerungen und Rückmeldungen mit?
Susan Djahangard: Das Erste, was wir beide mitgenommen haben, ist, dass es mega viel Spaß macht, so einen Podcast zu machen. Weil man so tief eintauchen kann, man so viel erzählen kann. Auch einfach so im Studio zu sitzen, wir waren irgendwann vollkommen fertig. Es hat trotzdem sehr viel Spaß gemacht. Für mich war auch toll, dass wir zusammen so eng daran arbeiten konnten und so viel voneinander gelernt haben. Ich glaube, ich nehme inhaltlich super viel mit, wie zum Beispiel ein besseres Verständnis von der feministischen Geschichte. Ich habe mich auch bei diesem ersten Impuls ertappt, dass ich den Podcast erst mal gar nicht machen wollte. Das hat mich dann nachhaltig beschäftigt.
Gabi Herpell: Ich fand zwei Sachen daran für mich total interessant. Einmal, was das für die Zukunft des Journalismus bedeutet. Sagen wir mal, es ist nicht das Ende von Print, aber ein Podcast ist ein neuer Anfang. So komplex journalistisch habe ich noch nie erzählt und das finde ich toll. Das ist noch mal was ganz anderes, dieses Genre, in das wir hier reingerutscht sind. Journalismus ist sehr einsam. Jeder schreibt an seiner Geschichte und rennt durch die Gegend. Man trifft sich dann in Konferenzen, aber das mittlerweile auch nicht mehr unbedingt leibhaftig. Bei dem Podcast sitzt man beisammen, das ist eine tolle Art von Teamwork.
Das Interview führten Melina Giesen und Tabeah Klatt. Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang „Mehrsprachige Kommunikation” an der TH Köln.
Zusätzlich ist ein kurzes Videointerview zum Projekt entstanden, realisiert von Studierenden des BA Intermedia an der Universität zu Köln:
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