Digitales Erzählen mit Sinnlichkeit verbinden
Schon seit mehr als zehn Jahren ist Prof. Michael Hauri als Berater und Trainer für Magazine, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten und Journalistenschulen tätig. Mit seinem Wissen und persönlichem Interesse an visuellem Journalismus und digitalem Storytelling ergänzt er in diesem Jahr die Jury des Grimme Online Award. Mit sechs weiteren Medienbegeisterten hat er sich intensiv mit den 28 Nominierungen auseinandergesetzt und in einer zweitägigen Sitzung über die Preisträger entschieden. Im Interview erzählt er auch von seinen eigenen Projekten, mit einem hat er im Jahr 2012 selbst einen GOA gewonnen.
Sie haben als freischaffender Fotograf gearbeitet, waren als Coach tätig und haben Ihre eigene Produktionsfirma geleitet. Jetzt sind Sie Jurymitglied beim Grimme Online Award. Hatten Sie erwartet, nach Ihrem Studium all diese Dinge zu erreichen, oder welche Ziele hatten Sie generell nach dem Studium?
Michael Hauri: Während des Studiums dachte ich, ich würde später ausschließlich als visueller Journalist arbeiten. Ich hätte nicht erwartet, dass das Berufsleben so viele Überraschungen und Wendungen mit sich bringt.
Was macht Ihre Arbeit besonders und welche Eigenschaften sind entscheidend für Ihren Erfolg?
Michael Hauri: Ich versuche digitales Erzählen mit Sinnlichkeit zu kombinieren. Bis etwa 2010 war das Erzählen im Netz für die meisten Journalist*innen noch Neuland und es galt als wenig attraktiv, für Online-Medien tätig zu sein. Das visuelle oder sinnliche Erleben von Inhalten auf Websites, in Nachrichten-Apps oder in sozialen Netzwerken war etwas Besonderes und in Deutschland nicht weit verbreitet. Beim Produktionsstudio 2470.media haben meine Kolleg*innen und ich schon früh angefangen, die interaktiven und multimedialen Möglichkeiten digitaler Formate auszuloten. Heute sind gutes Design, hochwertige Fotostrecken, animierte Datenvisualisierungen und die Einbindung audiovisueller Medien viel selbstverständlicher geworden.
Rückblickend auf Ihre Karriere, welchen Moment haben Sie besonders genossen?
Michael Hauri: Ein besonderer Moment war für mich ein Jahr nach dem Studium, als wir mit der taz über ein digitales Projekt verhandelten. Wir saßen zusammen mit dem damaligen Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch sowie verschiedenen Redakteur*innen und stellten ihnen unser Projekt „berlinfolgen“ vor. Urplötzlich stand der Geschäftsführer auf und meinte: „Ja, okay, klingt super. Wir sehen uns!“. Es sah zunächst so aus, als wolle er sich aus dem Staub machen, doch später stellte sich heraus: Unsere Idee hatte sein Interesse geweckt. Wir konnten das Projekt realisieren und wertvolle Erfahrungen sammeln. Mir ist dabei klar geworden, dass es sich lohnt, ins Risiko zu gehen und etwas Neues auszuprobieren.
Was reizt Sie an der Tätigkeit als Jurymitglied des Grimme Online Award und wie erfüllend ist diese Aufgabe für Sie?
Michael Hauri: Der Grimme Online Award gilt als der wichtigste und renommierteste Preis für Online-Publizistik in Deutschland. Deshalb ist es zunächst eine große Ehre für mich, überhaupt in Betracht gezogen zu werden, in der Jury mitzuwirken. Was mich daran reizt, ist primär der Austausch mit den Kolleg*innen und die Möglichkeit, meinen Wissensstand zu erweitern, neue Perspektiven auf die Medienlandschaft zu erhalten und Einsichten in die Möglichkeiten und Grenzen digitaler Medien zu gewinnen.
Welche Kriterien sind Ihnen besonders wichtig bei den Nominierten und was gefällt Ihnen am meisten an den Projekten?
Michael Hauri: Im Vordergrund stehen für mich Angebote, die stark auf die Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe eingehen. Aufgrund meines Hintergrunds achte ich außerdem besonders auf die erzählerische Qualität und auf die visuelle Umsetzung. Zudem ist für mich der Aspekt Innovation besonders wichtig: Projekte, die neuartige Komponenten beinhalten, bekommen von mir generell einen Bonus. Mit Blick auf die 2023er Ausgabe des GOA möchte ich aber auch den Faktor Recherche hervorheben: Am Ende haben sich auffallend viele Projekte durchgesetzt, denen ein besonders aufwendiger Rechercheprozess und teilweise auch neue Formen der Zusammenarbeit in der Recherche zugrunde liegen.
Es kommt sicherlich auch zu Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Jurymitglieder. Wie gehen Sie damit um?
Michael Hauri: Grundsätzlich habe ich keine Probleme damit, in Diskussionen einen klaren Standpunkt zu vertreten. Für mich war es im Juryprozess aber hochinteressant, wie andere Mitglieder über Inhalte und Darstellungsformen denken. Zuzuhören und vielfältige Perspektiven zu berücksichtigen ist im Journalismus vielleicht wichtiger denn je. Von handfesten Argumenten lasse ich mich deshalb immer gerne umstimmen.
Verfolgen Sie den Grimme Online Award schon länger und wie haben Sie die Entwicklungen in den letzten Jahren wahrgenommen?
Michael Hauri: Für mich ist der Grimme Online Award seit zwölf Jahren eine Inspirationsquelle, weil ich so lange schon Journalist*innen in digitalem Storytelling schule. Die erwarten von mir, dass ich stets die neuesten und besten publizistischen Beiträge vorstelle.
Was hat Sie zu Ihrer Fotoserie „berlinfolgen“ inspiriert, für die Sie 2012 mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet wurden?
Michael Hauri: Das Projekt „berlinfolgen“ ist von 2011 bis 2013 entstanden und wir fühlten uns von der New York Times inspiriert. In deren Audioslideshow-Serie mit dem Titel „One in 8 Million“ erzählten gewöhnliche New Yorker*innen aus dem Off ihre Geschichte, dazu sah man Schwarz-Weiß-Fotos. Wir machten das Format noch multimedialer und übertrugen es nach Berlin. Fun Fact am Rande: Die Preisverleihung verfolgte ich zu Hause über den Livestream, denn am nächsten Morgen musste ich in Hamburg ein Seminar leiten. Ich hielt die Wahrscheinlichkeit, den Preis tatsächlich zu gewinnen, für sehr gering und wollte einer enttäuschten Rückfahrt vorbeugen. Zum Glück waren meine Kolleg*innen optimistischer und konnten den Preis vor Ort entgegennehmen. Den Abend werde ich trotzdem nie vergessen.
Gibt es noch ein Projekt in der Zukunft, von dem Sie sich wünschen würden, es umzusetzen?
Michael Hauri: Ich habe das Glück, ganz aktuell an der Hochschule Hannover einen Traum verwirklichen zu dürfen. Zusammen mit anderen Lehrenden baue ich für den Studiengang Visual Journalism and Documentary Photography einen Educational Newsroom auf. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, Arbeitsergebnisse, die in unseren Seminaren entstehen, konsequent zu veröffentlichen und unseren Studierenden dabei das Know-how für digitale Prozesse in Redaktionen zu vermitteln. Dadurch haben wir die Möglichkeit, auf die neuesten technologischen Entwicklungen zu reagieren. Das heißt, wenn in der heutigen Zeit KI eine Rolle spielt, dann versuchen wir das in unserem Educational Newsroom schnell und unkompliziert einzubauen. Wir probieren die neuesten Tools aus und reflektieren: Was dürfen wir nutzen? Was ist sinnvoll und wo ziehen wir eine rote Linie? Meine Vision ist es, die Aus- und Weiterbildung an Hochschulen viel stärker zur Förderung von Innovationen in der Medienbranche zu nutzen. Die Perspektive der Studierenden ist deshalb wertvoll, weil sie uns Lehrenden das Nutzungsverhalten widerspiegelt.
Das Interview führten Merle Kellermann und Hafize Tatlicak. Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang „Mehrsprachige Kommunikation” an der TH Köln.
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