Unsere Erde im Jahr 2100 – eine interaktive Dystopie
Klimawandel ist ein Thema, mit dem wir uns als Menschheit schon länger beschäftigen müssen und das ein täglicher Begleiter zu sein scheint. Doch wann holen uns die Folgen wirklich ein? Wann ist es zu spät? Im Jahr 2100 werden laut wissenschaftlichen Modellen viele Teile unserer Erde unbewohnbar sein. Das Team der FUNKE Mediengruppe hat zur Veranschaulichung der drastischen Auswirkungen des Klimawandels eine interaktive Website konstruiert. In dieser kann man selbst erkunden, welche Flächen auf der Erde, unserem Lebensraum, betroffen sein werden.
Sie haben mit Ihrem Team die Website “Wo unsere Erde unbewohnbar wird” erstellt. Darin kann man die massiven Auswirkungen des Klimawandels sehen und erkunden, welche Teile der Erde im Jahr 2100 unbewohnbar werden. Das Thema ist sehr aktuell und betrifft uns alle. Wie ist die Idee entstanden und was war Ihre Motivation dahinter?
André Pätzold: Wir haben uns als Datenteam immer wieder mit verschiedensten Anwendungen zum Thema Klima beziehungsweise Umweltschäden beschäftigt. Wir haben gemerkt, dass die Berichterstattung von abstrakten Themen, also allem, was die Zukunft betrifft, sehr schwer mit wissenschaftlichen Daten vermittelbar ist.
Wie haben Sie es dennoch geschafft die Besucher der Website zu erreichen?
André Pätzold: Wir haben uns gesagt: „Okay, du musst irgendwie Aufmerksamkeit erwecken und es ganz leicht begreifbar machen, ohne dass man ganz tiefe Texte lesen muss.“ Für uns als Datenteam, was sich mit Datenvisualisierung beschäftigt, war klar, dass es visualisierbar sein muss und wir eine besondere optische Idee finden müssen. Das haben wir versucht anhand einer ganz einfach heruntergebrochenen Frage: „Wo die Erde unbewohnbar wird”.
Gibt es einen speziellen Grund, warum Sie sich für das Jahr 2100 entschieden haben?
André Pätzold: Das ist das übliche Maß, dass man die Klimaperiode bis zum Ende des Jahrhunderts betrachtet. Streng genommen ist das ungefähr 2070-2100. Wie wird es dann aussehen? Das ist das, was Klimaforscher auch weltweit immer in der Phase zum Ende des Jahrhunderts betrachten. Das ist die Zeitspanne, die die Kinder und Enkel*innen von uns noch erwarten dürfen. Eine Zeitspanne, die uns auch wirklich alle betrifft. Deshalb nehmen wir eine Standardzeitmessung, welche recht nahe für viele ist.
Die Website ist interaktiv und man muss sich selbst durchklicken, um alle Informationen lesen zu können. Warum haben Sie sich genau für diese Art der Darstellung entschieden?
André Pätzold: Das hat mit unserer Geschichte als Team zu tun. Wir sind innerhalb der FUNKE Mediengruppe die Experten für Datenvisualisierung und die Betonung liegt wirklich auf Visualisierung. Wir wollten die Leute eigentlich nicht mit vielen Texten und vielen Zahlen beschäftigen. Wir haben dann einen Prototyp gebaut und mit verschiedenen Darstellungen experimentiert. Das sah anfangs wirklich nicht so aus, wie es jetzt aussieht. Wir wollten das einfach visuell auf die Spitze treiben mit dieser einzigen Frage und haben deshalb wirklich lange herumprobiert. Es sah erst aus wie ein Coronavirus, als die Daten auf dem Globus hervorstanden und wir hatten es intern auch immer den “Todesplaneten” genannt. Da haben wir gleich gemerkt, dass wir es unbedingt als Erde auf einem schwarzen Hintergrund darstellen müssen. Während des Experimentierens mit den Daten ist auch die konkrete visuelle Idee entstanden, die wir immer weiter verfeinert haben.
Welche Zielgruppe erreichen Sie mit der jetzigen Darstellung?
André Pätzold: Es ist eine Art Scrollytelling mit Infohäppchen. Man kann die Kästchen aufklappen und sehen, was die Daten konkret bedeuten. Wir wollten den Mainstream bis hin zu Experten, die sich viel tiefer in dieses Thema eingegraben haben, erreichen. Man kann sich in den FAQs darüber informieren, welche Quellen wirklich dahinterstecken. Aber damit wollten wir nicht demonstrieren, was wir alles an Datenarbeit geleistet haben, sondern es wirklich so einfach wie möglich erfahrbar machen. Obwohl „hardcore“ Berechnungen dahinterstecken, die teilweise mit unseren Standard-Redaktionsrechnern wirklich mehr als zehnStunden an Rechenzeit gebraucht haben.
Wer war alles an diesem umfangreichen Projekt beteiligt?
André Pätzold: Wir sind ein kleines interdisziplinäres Datenteam. Wir haben jemanden, der sich ums Design kümmert und dies auch per Code umsetzt. Das war in dem Fall Benja Zehr. Sie hat den Prototypen mit mehreren Visualisierungen programmiert, mit denen wir experimentieren konnten. Dann Ida Flick, sie war federführend für die Datenarbeit – von der Datenrecherche bis zu sämtlichen Berechnungen. Inhaltlich und visuell haben wir das Projekt dann alle zusammen vorangetrieben. Wir hatten sehr viele Kriterien und haben dann geschaut, wie diese für welche Szenarios passen. Ida war dann in Kontakt mit den Wissenschaftler*innen und hat mit den Nachfragen sichergestellt, dass alle Methoden, die wir im Dreier-Team ausgebrütet haben, auch wirklich korrekt sind.
Wie lange haben Sie am Projekt gearbeitet, bis es dann am Ende stand?
André Pätzold: Wir arbeiten sehr aktuell und hatten zu dem Zeitpunkt noch mit den Themen Corona, ersten Energiedaten sowie Nacharbeiten zur Bundestagswahl und mit der Vorbereitung der Landtagswahl in NRW zu tun. Es hat sich deshalb eine Weile hingezogen, aber wir wussten, dass wir die Chance nutzen müssen, wenn wieder ein Bericht vom Weltklimarat veröffentlicht wird. Da wollten wir dabei sein. Wir haben immer nebenbei daran gearbeitet und guckten, wie sich die Situation entwickelt. Da reden wir tatsächlich von Monaten. Als wir dann vor dem Termin Anfang April 2022 waren, haben wir ab da einen Monat intensiv dran gearbeitet.
Beim Durchklicken der Website ist uns aufgefallen, dass zum Beispiel 67 % der Fläche der Niederlande in 77 Jahren unbewohnbar wäre. Haben Sie solche drastischen Endergebnisse erwartet?
André Pätzold: Das Problem ist, wenn man sich wochenlang und teilweise Monate im Voraus mit diesem Thema und den Daten beschäftigt, erwartet man schon das Schlimmste. Man muss bei diesem Beispiel sagen: Es heißt nicht, dass es komplett unbewohnbar ist, sondern unbewohnbar unter natürlichen Bedingungen. Ich habe zum Beispiel eine Schwester in den Niederlanden. Die haben ständig mit diesem Thema zu tun. Da spielt der Anstieg des Meeresspiegels eine ganz große Rolle und sie wappnen sich dafür. Aber sie müssen natürlich großen technischen Aufwand leisten, um das zu erreichen. Deshalb geht es darum zu zeigen, was unter natürlichen Umständen nicht mehr möglich wäre. Es zeigt nur eine Tendenz basierend auf sehr soliden Modellen, aber es bleiben eben immer noch Modelle.
Welche Ergebnisse haben Sie besonders alarmiert/erschüttert?
André Pätzold: Wir waren besonders erschrocken, als die Hitzewelle durch Indien tobte. Da wir uns von Anfang an bei dem Thema Hitze auch Indien angeguckt hatten. Dann konnten wir sagen: „Wow, das ist der Proof of Concept.“ Asien ist vor allem bei Hitze stark betroffen. Aber die Anwendung zeigt, es betrifft uns alle. Wir waren eher selbst fasziniert davon, wie sehr man das in dieser Visualisierung spürt und das war auch das, was uns immer angefasst hat. Ich habe eine Tochter, die 14 ist, damals noch 13, jetzt auch sehr klimabewegt. Sie hat das direkt ihren Freundinnen gezeigt und war traurig, als sie diese Grafik gesehen hat. Da mussten wir erstmal lange darüber reden.
Was haben Sie sich von dem Projekt erhofft?
André Pätzold: Wir wollten damit nicht die Leute erreichen, die sowieso schon denken, dass man unbedingt was für den Klimawandel tun muss, sondern eigentlich die komplette Breite. Also wirklich auch alle Altersklassen. Einfach die Leute damit visuell anfassen und einen kleinen Anstoß geben sich weiter zu informieren. Unser Ziel war es, dass die Leute sich mit diesen Projektionen beschäftigen und diese einfach wahrnehmen und aufnehmen können. Wir sind nicht der Meinung, dass sich alle aufgrund unserer Anwendungen in vollster Tiefe mit dem Thema beschäftigen. Trotzdem haben wir verschiedene Ebenen geschaffen, dies zu tun.
Wie war die Resonanz des Publikums? Gab es positives oder negatives Feedback?
André Pätzold: Über was wir uns gefreut haben, war, dass es wirklich von Anfang an Anklang gefunden hat. Wir hatten insgeheim die Hoffnung, dass es international Resonanz findet, deshalb gibt es das Ganze auch auf Englisch. Erst letzte Woche hat sich eine Frau aus Costa Rica gemeldet und hat sich bedankt für diese Darstellung und hatte Nachfragen. Wir kriegen immer noch Reaktionen darauf, und zwar auch internationale. Das hat die Leute wirklich angefasst, auch am anderen Ende des Planeten. Und was uns richtig gefreut hat, war, dass die Wissenschaftler*innen, mit denen wir zusammengearbeitet haben, es teilweise in ihren Vorträgen benutzen. Sie haben das als Beweisführung genommen, dass Journalist*innen sich damit auch beschäftigen bzw. dass man die Daten auch außerhalb der Wissenschaftsbubble benutzen kann. Das hat uns klar gemacht, dass wir damit nicht nur den visuellen Effekt hatten, sondern dass es einen ernsten wissenschaftlichen Hintergrund hat. Das Ziel eine Faktenbasis zu schaffen, ohne nur aktivistisch zu überzeugen, war uns wirklich wichtig. 2022 sind wir in verschiedenen Blocklisten aufgetaucht, was uns sehr gefreut hat. Wir haben sogar einen internationalen Preis dafür bekommen, einen Preis bei den Online Journalism Awards 2022. Man kann wirklich sagen, wir haben kein einziges negatives Feedback darauf erhalten. Auch die typischen Widerstände, die sich bei dem Thema „Angstmache“ usw. erheben, gab es überhaupt nicht und das hat mich tatsächlich erstaunt.
Das Interview führten Amelie Blatt und Aleksandra Bonowicz. Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang „Mehrsprachige Kommunikation” an der TH Köln.
Zusätzlich ist ein kurzes Videointerview zum Projekt entstanden, realisiert von Studierenden des BA Intermedia an der Universität zu Köln:
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