Museum im digitalen Zeitalter: Ein interaktives Online-Kunsterlebnis
2021 in Zusammenarbeit mit Schüler*innen für den Unterricht entwickelt, bietet die interaktive Online-Lernplattform einen spielerischen Zugang zu moderner und zeitgenössischer Kunst. Ausgangspunkt von Studio Digital sind zehn Kunstwerke aus der Sammlung des Kunstmuseum Wolfsburg, zu denen, neben Informationen und medialen Lerninhalten, auch Kreativtools bereitstehen, mit denen man selbst Kunst schaffen und in der „Hall of Fame“ veröffentlichen kann.
Die Plattform ist als innovative digitale Möglichkeit der Kunstvermittlung für den Grimme Online Award 2023 in der Kategorie „Kultur und Unterhaltung“ nominiert. Im Interview berichtet Sarah Groiß von der Entstehung, den Herausforderungen bei der Umsetzung sowie der Zukunft von Studio Digital. Außerdem diskutiert sie die Chance, die solche Digitalprojekte für Museen darstellen.
„Studio Digital“ bringt das Kunstmuseum Wolfsburg in den Klassenraum. Woher kam die Idee für das Projekt?
Sarah Groiß: Da gibt es eigentlich drei verschiedene glückliche Fügungen. Frau Lefarth-Polland, Leiterin der Bildungsabteilung für das Kunstmuseum Wolfsburg und ich haben uns Anfang 2020 überlegt, wie wir die Kunstvermittlung zukünftig ausrichten und welche Haltung wir gegenüber Digitalität einnehmen wollen. Daraus haben wir eine ganze digitale Strategie unter agilen Merkmalen entwickelt. Sara Dahme, die Lehrerin am Max-Born-Gymnasium Backnang bei Stuttgart ist, kenne ich schon länger durch die Kulturarbeit. Wir arbeiteten unter anderem zusammen im Think Tank „Museum Neu Denken„, einer Gruppierung aus unterschiedlichsten Akteur*innen aus Kunst und Kultur. Ungefähr Februar 2020 – das war noch vor Corona – hatten wir telefoniert und uns gemeinsam überlegt, wie wir trotz der Entfernung zwischen Wolfsburg und Stuttgart, doch irgendwie zusammenkommen und eine Begegnung zwischen Schule und Museum kreieren könnten. Das war die Initialzündung und der digitale Raum bot dafür natürlich DIE Möglichkeit. Dann kam Corona und unser Geschäftsführer Otmar Böhmer leitete uns die Ausschreibung von „dive in„, einem Programm für digitale Interaktionen weiter. Dieses war Teil von „NEUSTART KULTUR„, einem Rettungspaket für Kulturinstitutionen und -akteure in der Coronazeit. Und dann hatten wir auf einmal einen Namen für das Projekt.
Wie erfolgte die Umsetzung der Idee? Wie genau wurden die Schüler*innen miteinbezogen?
Sarah Groiß: Wir haben gleich zu Beginn in dem ganzen Konzept des Projektes eine Art Prozessschleife für uns konstruiert. Das war als agiler Prozess angedacht, sodass wir immer wieder mit den Schüler*innen in Feedbackgespräche gehen. Hinzu kam noch die Agentur, FuzzyFusion, die das Ganze umgesetzt hat. So war die Prozessschleife eben wie folgt aufgebaut: An erster Stelle standen die Schüler*innen, die die Ideen entwickelten, welche dann ans Museum gingen und von uns verarbeitet und schließlich an die Agentur weitergeleitet wurden. Martin Härtlein von FuzzyFusion, der das ganze Projekt grafisch, von der Programmierung und auch in der Konzeption mitentwickelt hat, hat dann erste Konzepte dazu zusammengeschrieben und Prototypen entwickelt. Die gingen dann wieder zurück an die Schule und wurden von den Schüler*innen getestet, wodurch neue Ideen entstanden, die wieder zu uns kamen. Das war ein wunderbarer stetiger Austausch.
Sind Sie dabei auf Herausforderungen gestoßen?
Sarah Groiß: Ja, herausfordernd war natürlich schon, dass wir das erste Mal damit konfrontiert waren, ein Projekt komplett im digitalen Austausch zu entwickeln. Wir haben uns bewusst mit dem Max-Born-Gymnasium Backnang zusammengetan, weil es eine Schule weit weg von uns ist, die normalerweise nicht so einfach zu uns kommen kann. So war mit Sara Dahme schon früh klar, dass der ganze Entwicklungsprozess entsprechend digital laufen muss. Das war jedoch auch der Riesenvorteil, weil die Schüler*innen ihre Bedürfnisse und Interessen am Museum klarer formulieren konnten, weil es eben ein Ort war, den sie noch nicht kannten. Das war auf der einen Seite herausfordernd. Auf der anderen Seite hat es aber auch erstaunlich gut funktioniert. Wir haben uns Videobotschaften geschickt und per WhatsApp oder Zoom kommuniziert.
Die Plattform basiert auf zehn Kunstwerken aus der Sammlung des Kunstmuseum Wolfsburg. Wie beziehungsweise nach welchen Kriterien wurden diese ausgesucht?
Sarah Groiß: Erstmal muss man dazu sagen, dass es schon ein Prozess war, überhaupt auf die Idee zu kommen, sich auf zehn Werke aus unserer Sammlung zu beschränken und nicht zum Beispiel aktuelle Ausstellungen aus unserem Haus als Anlass zu nehmen. Wir wollten etwas Dauerhaftes haben, etwas, was man stetig, auch in der Zukunft nutzen kann. So ist dann irgendwann die Entscheidung auf diese Sammlung gefallen. Daran waren mehrere Personen beteiligt. Natürlich als erstes die Schüler*innen, die aus unserer Sammlung online ihre Favoriten ausgewählt und so eine Vorauswahl getroffen haben. Mit Frau Dahme haben wir dann überlegt, was sich für den Kunstunterricht eignet. Kriterien waren beispielsweise, dass es unterschiedliche Gattungen sind. Für uns im Museum war auch wichtig, dass es Werke sind, die einigermaßen gut digital transportierbar sind. Unser Direktor des Kunstmuseum Wolfsburg, Andreas Beitin, hatte dabei vor allem auch den Anspruch, dass ein Gleichgewicht zwischen Künstlern und Künstlerinnen besteht und dass die Künstler*innen aus verschiedenen Ländern sind. So ist es dann zu diesen zehn Werken gekommen.
Wie wird Studio Digital idealerweise im Kunstunterricht eingesetzt?
Sarah Groiß: Zunächst einmal ist es ein Tool, was sehr spielerisch ist und was die Möglichkeit bietet, sich selbstständig durchzuklicken und einfach auch zu schauen, was einen spontan interessiert und worauf man Lust hat. Deswegen eignet es sich sehr gut für den Vertretungsunterricht für Kunstlehrer*innen oder für Lehrer*innen, die mal Kunstunterricht vertreten müssen und nicht wissen, was sie machen sollen. Da kann man wunderbar dieses Tool einsetzen und den Schüler*innen einen spielerischen Zugang zu moderner und zeitgenössischer Kunst geben, bei dem sie auch selbst aktiv werden können. Das ist das eine Szenario. Dann gibt es natürlich viele weitere. Wir haben geschaut, dass Lehrplananbindungen bestehen. Im Bereich Fotografie sind beispielsweise mit Jeff Wall und Cindy Sherman zwei Künstler*innen, die speziell in der Oberstufe auch im Lehrplan verankert sind. Im Bereich Skulptur haben wir drei herausragende Positionen mit Thomas Schütte, Nam June Paik und Jeff Koons. Thomas Schütte wird meistens sowieso im Kunstunterricht thematisiert, wenn es um das plastische Gestalten geht. Man kann also beispielsweise das Geisterquiz zu Thomas Schütte als Ausgangspunkt nehmen, sich mit dem Medium Skulptur auseinanderzusetzen. Außerdem bieten wir Zoom-Workshops an, die von den Künstler*innen Elisabeth Stumpf und Bernd Schulz geleitet werden. Dabei war die Idee noch mal stärker in die Interaktion treten zu können und eine Begegnung mit dem Museum und dem Team direkt zu ermöglichen.
Wie erfolgreich ist die Plattform bisher und wird sie viel genutzt?
Sarah Groiß: Wir sind total überrascht und erfreut, wie diese Plattform angenommen wird. Wir beobachten, dass sie nicht nur im Kunstunterricht eingesetzt wird, sondern auch eine gewisse Breite in der Öffentlichkeit anspricht. Auch unsere Museumsbesucher*innen. Wir haben das Tool nämlich aktuell zur Ausstellung „Re-Inventing Piet. Mondrian und die Folgen“ ausgestellt, sodass man auch vor Ort damit arbeiten kann. Besonders überraschend und schön zu sehen ist das Eigenleben, das sich in der Hall of Fame entwickelt hat. Es ist so witzig und klug, wie mit den Tools umgegangen wird, was sich alle dort überlegen – auch für die Titel ihrer Werke. Vor allem, weil die Personen sich jetzt auch schon gegenseitig zitieren. Wir wissen zum Beispiel von einer Person, die mit dem Mondrian-Tool gearbeitet und das Werk „Red Carpet“ gemacht hat. Irgendwann tauchte dann ein „Red Carpet 2“ auf, das aber eindeutig nicht von der gleichen Person war. Dieses Zitieren und Interagieren in der Hall of Fame untereinander ist einfach spitze.
Planen Sie, Studio Digital zu erweitern und fortlaufend neue Kunstwerke hinzuzufügen? Was sind Ihre langfristigen Ziele mit der Plattform?
Sarah Groiß: Ja, sie ist bewusst modular angelegt worden, sodass wir sie erweitern können. Wir haben sie in einem ersten Schritt auch schon mit dem Mondrian-Bereich erweitert. Nächstes Jahr steht ein großes Jubiläum unserer Sammlung an. Dafür schwebt uns eine Erweiterung in Richtung KI-Makerspace vor. Es ist aber noch nicht 100 % sicher, wie und in welcher Form wir das umsetzen können. Da sind wir bei diesem digitalen Projekt natürlich auch immer wieder auf Gelder angewiesen. Außerdem ist der Quelltext der Plattform Open Source, das heißt, er kann auch von anderen Museen genutzt und der Ansatz so weiterentwickelt werden. Wir wissen schon von Partner*innen, die zurzeit damit arbeiten.
Wie wichtig ist Ihnen Barrierearmut? Planen Sie beispielsweise noch eine Vertonung der Texte für Menschen mit Sehbehinderung?
Sarah Groiß: Auf jeden Fall. Barrierearmut ist insofern gegeben, dass die Plattform Open Access ist, sodass jede*r Zugang hat und man jederzeit und allerorts kostenfrei darauf zugreifen kann. Wir haben uns auch um eine „schülernahe Sprache“ bemüht, wobei uns bewusst ist, dass das noch keine einfache Sprache ist. Teil der zukünftigen Strategie ist deswegen auch ein Remake der Textproduktion mit zugehöriger Vertonung, sodass man sich die Texte in guter Tonqualität anhören kann. Man muss bedenken, dass wir ein Jahr Zeit hatten, um ein fertiges Produkt zu schaffen, das für Schüler*innen im Kunstunterricht funktioniert. Das war eine enorme Herausforderung. Jetzt können wir nach und nach in die Optimierung und Erweiterung gehen.
Denken Sie, dass neue Technologien und Online-Angebote wie Studio Digital eine Bedrohung für die Zukunft von Museen darstellen? Oder können sie im Gegenteil sogar eine Chance sein und beispielsweise Menschen dazu anregen, ins Museum zu gehen oder auch Menschen Zugang dazu verschaffen, die vielleicht normalerweise keinen Zugang dazu hätten?
Sarah Groiß: Ich sehe darin überhaupt keine Bedrohung, sondern im Gegenteil, wie die meisten Akteur*innen unseres Feldes, glaube ich, eine riesige Chance. Solche Digitalprojekte sind für die Museen sehr wichtig, um nicht nur in ihrem regionalen Feld agieren zu können, sondern sich noch weiter zu öffnen, in die Breite zu vernetzen und Partnerschaften mit jeglichen Institutionen in anderen Städten zu haben. Diese Nominierung ist für uns auch wieder eine große Chance, uns weiter zu öffnen, bekannt zu machen und zu vernetzen. Kultur ist ja eine Sache, die gemeinsam ausgehandelt wird. Dazu kommt, dass alles, was man digital macht, sich letztlich auch wieder positiv auf den analogen Raum auswirkt. Je mehr Werbung und Projekte wir im digitalen Raum haben, desto mehr Interesse wird auch an dem Museum und an den Originalen geweckt. Es geht mit dem Digitalen ja immer eigentlich erstmal auch darum, eine erste Idee davon zu bekommen, was zum Beispiel bei uns im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen und zu erleben ist. Und das ist dann vielleicht ein Anreiz, wirklich auch zu uns zu kommen.
Das Interview führte Anna Ashraf. Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang „Mehrsprachige Kommunikation“ an der TH Köln.
Zusätzlich ist ein kurzes Videointerview zum Projekt entstanden, realisiert von Studierenden des BA Intermedia an der Universität zu Köln:
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