Klischees und Wissenslücken über einen großen Kontinent
Spricht man über Afrika, ist Armut häufig ein dominierendes Thema. Über den kulturellen Reichtum des Mutterkontinents ist hingegen kaum einer aufgeklärt. Mit seiner lockeren und humorvollen Art berichtet Stève Hiobi nicht nur von der Kultur und Geschichte Afrikas, sondern informiert ebenso über wichtige politische Ereignisse aus Vergangenheit und Gegenwart. Sein Kanal erreicht tausende TikTok-User*innen. Was ihn für deutsche Zuschauer*innen besonders interessant macht, ist die Tatsache, dass Stève vom deutschen Kolonialismus in Afrika berichtet und dabei auf die Schicksalsschläge ehemaliger Sklav*innen eingeht, wie zum Beispiel die Geschichte von Kwelle Ndumbe. Stève ist mit seinem TikTok-Account „DeinBruderStève“ in der Kategorie „Information“ für den Grimme Online Award 2023 nominiert. Im Interview gewährt er Einblicke in die Welt der Content-Creation und teilt dabei seine Vision einer gesamtafrikanischen Identität.
In dem TikTok-Kanal „DeinBruderStève“ greifst du Themen rund um den afrikanischen Kontinent auf. Wie entstand die Idee für diesen Content?
Stève Hiobi: Ich interessierte mich schon immer für die Geschichte Afrikas und beschäftigte mich lange damit. Dieses Interesse ist vor allem durch meine Herkunft geprägt. Afrika ist eben meine Heimat. Ich habe mich gerne darüber informiert, auch um eben dem Narrativ des armen Afrikas entgegenzutreten. Dabei bin ich auf vieles gestoßen, das viele hier in Deutschland nicht wissen und das ihr Bild verändern würde. Der richtige Trigger kam dann tatsächlich, als ich ein Video gesehen habe, in dem jemand etwas über mein Heimatland Kamerun erzählte. Ich drehte auch ein Video über Kamerun und fügte hinzu, dass es dort einen Krieg gibt. Daraufhin kamen sehr viele Reaktionen mit „hey, wussten wir gar nicht“. Seitdem mache ich den Content über Afrika.
34 % der TikTok-User*innen sind 16- bis 24-Jährige. Inwieweit hängt das mit deiner Entscheidung zusammen auf TikTok zu streamen? Hat die Benennung deines Kanals mit „DeinBruderStève“ etwas mit der Erreichung dieser Zielgruppe zu tun?
Stève Hiobi: Bruder Stève ist ein Spitzname, der mich schon seit meiner Jugend verfolgt. Ich habe meinen Account „DeinBruderStève“ genannt, um den Leuten die Verbindung zu zeigen und um klarzumachen, dass ich keinem was Böses will. Ich möchte, dass man zu jeder Zeit miteinander umgeht, als wäre man Bruder und Schwester. Man ist freundlich zueinander, man kann sich die Wahrheit sagen, aber eben mit Liebe und Respekt. Das ist das, was für mich dahintersteht oder die Botschaft, die ich auch anderen Leuten überbringen möchte. Wenn ich auf meiner Plattform etwas sage, dann will ich es so sagen, wie ich denke, dass es richtig und es von den Fakten her belegbar ist – auch wenn es für manche hart sein kann es zu hören. Aber ich tue das nicht, um die Leute zu verletzen, sondern wirklich, um brüderlich in ein Gespräch zu kommen. Man kann mich auch gerne kritisieren und sagen „nein, das ist so nicht richtig“, dann mache ich mir eben Gedanken darüber.
Wie ich überhaupt auf TikTok gelandet bin? Das war eher Zufall, sagen wir mal, es ist aus Langeweile heraus entstanden. Während Corona habe ich mir immer Videos auf TikTok angeschaut und habe eben dann dieses eine Video gesehen. Ich habe kurze Zeit vorher auch andere Sachen auf TikTok gemacht, wie Comedy und habe auch über Rassismus erzählt. Irgendwann bemerkte ich jedoch, dass es andere Content-Creater*innen gibt, die da viel besseren Content machen und ich wollte mich viel lieber auf den afrikanischen Kontinent konzentrieren. Auf TikTok ist mein Content auch gut angekommen. Ich bekam oft zu lesen, dass sie sowas nie in der Schule gelernt haben. Da denke ich mir: ja klar hast du noch nie davon gehört, weil eben keiner darüber reden möchte.
Über Afrika wird meist klischeehaft berichtet. Jede*r kennt die großen Spendenaufrufe für das „hungernde“ Afrika, jedoch wissen nur wenige, dass Afrika nicht nur reich an Ressourcen ist, sondern auch an Kultur und Geschichte. Wie schaffst du es diese Klischees aus dem Weg zu räumen und dabei sachlich zu berichten?
Stève Hiobi: Ich habe mir irgendwann eine Disziplin hingelegt und gesagt, das, was ich in meinen Videos erzähle, soll einfach immer belegbar sein. Man soll es einfach nachlesen können. Im Moment bin ich im Aufbau von einer Website, in der ich meine Quellen veröffentlichen werde, sodass diese jederzeit abrufbar sind. So soll jede*r die Möglichkeit bekommen sich selbst zu informieren, sollte er oder sie es wollen. Manche wollen es aber auch gar nicht, ist halt immer schwer. Was ich auf meiner Plattform tatsächlich wenig mache, ist von meiner eigenen Moral und Moralvorstellungen zu erzählen. Ich bringe auch mal meine eigene Meinung ein, mache aber sehr deutlich, dass es meine eigene ist. Trotzdem bin ich eher die Person, die berichtet und Sachen richtigstellt, sollte ich bemerken, dass etwas nicht der Tatsache entspricht. Was ich gar nicht mache, ist, dass ich versuche jemanden von etwas zu überzeugen, auch nicht von einer Moralvorstellung.
In mehreren Videos machst du darauf aufmerksam, dass der afrikanische Kontinent knapp drei Mal so groß ist wie der europäische. Inwieweit ist diese Information wichtig, um die Geschichte des afrikanischen Kontinents zu verstehen?
Stève Hiobi: Ich denke, ich muss es noch viel öfter sagen und das wird definitiv passieren. Ich habe das Gefühl, dass immer noch viele Menschen von dem Afrika sprechen und dabei gar nicht begreifen, wie unfassbar unterschiedlich dieser Kontinent ist. Ich war im Februar dieses Jahres in Ghana und selbst wenn man dort unterwegs ist, bemerkt man die vielen Kulturen und die vielen unterschiedlichen Menschen des Landes. Viele verstehen das nicht. Zum Beispiel kam es vor kurzem zu einer Diskussion bezüglich des Videos, dass ich über die Benin-Bronzen machte. Da ist eben der Fakt gewesen, dass das afrikanische Königreich Benin in Zusammenarbeit mit den Europäern afrikanische Menschen versklavt hat. Es kamen Menschen auf mich zu und sagten: „siehst du, ihr Afrikaner habt eure eigenen Leute versklavt“. Was die Leute aber nicht verstehen, ist, dass dieser Kontinent so groß ist, sodass diese Menschen sich gar nicht kannten. Das waren komplett andere Welten. Die haben nicht ihre eigenen Leute versklavt, diese Leute waren für sie komplett fremd. Das müssen Leute verstehen. Ich weiß manchmal auch gar nicht, wie ich es genauer rüberbringen kann. Ich versuche immer wieder zu erzählen, dass es so divers ist und dass die Leute komplett andere Kulturen und Sprachen haben. Das waren komplett Fremde. Damals gab es keine afrikanische Identität. Die afrikanische Identität ist etwas komplett Neues.
Die Traditionen, Kulturen und Geschichten der Länder Afrikas unterscheiden sich sehr voneinander. Wie gelingt es dir über möglichst viele Länder zu berichten, sodass keines zu kurz kommt?
Stève Hiobi: Ich versuche es so gut es geht, es bleibt aber schwierig. Ich habe mir eine Liste an verschiedene Themen erstellt, anhand derer ich mir Themen aus Nord-, Ost-, Süd- oder Westafrika aussuche, sodass es Abwechslung gibt. Außerdem schaue ich, was gerade aktuell ist, was hier in den Medien präsent ist und diskutiert wird. Zum Beispiel ist das Thema der Benin-Bronzen im Moment sehr aktuell, deshalb habe ich dazu ein Video gemacht. Mein Traum ist es irgendwann eine gesamtafrikanische Identität zu haben, denn dieser Kontinent ist wie bereits gesagt sehr groß, sodass die Leute denken, sie kämen aus einer komplett anderen Welt. Es kommt auch auf jeden Fall noch ein Video zum Thema, wie unterschiedlich Afrikaner*innen aussehen. Wenn man zum Beispiel auf den Sudan schaut, gibt es Menschen, die komplett dunkel sind, andere sehen aus wie Nordafrikaner*innen und manche sind sogar Araber*innen. Deshalb muss ich auch hier nochmal sagen, wie wichtig es ist den Leuten klarzumachen, dass dieser Kontinent riesig ist.
Worauf ist der Erfolg deiner Videos zurückzuführen? Liegt es vielleicht am Mangel an ähnlichem Content?
Stève Hiobi: Das habe ich mich tatsächlich auch gefragt, ehrlicherweise auch noch mal mit der Nominierung zum GOA. Es scheint irgendwie wirklich anzukommen. Immer wieder, wenn ich mich in verschiedenen Städten bewege, treffe ich Leute, die auf mich zukommen und sagen: „hey, ich kenne deine Videos“ und sich bei mir für den Content bedanken. Ich glaube, das ist tatsächlich so, dass es einen Kanal wie meinen nicht gibt. Dafür gibt es andere, die jetzt nachkommen und liefern. Ich denke, ich habe einfach einen Nerv getroffen. Wir haben zum Beispiel in Deutschland eine Generation, die sich als Deutsch identifiziert und hier zuhause ist, aber auch Wurzeln woanders hat und vielleicht anfängt sich mehr damit auseinanderzusetzen. Ich glaube, das ist gerade die Art Generation, die mehr wissen möchte, die sich eben hier nicht nur als Deutsche repräsentiert, sondern auch wissen, dass es was anderes gibt. So erkläre ich mir das und vielleicht finden mich die Leute auch einfach ein bisschen nett.
Bekommst du bei der Content-Creation Unterstützung oder bist du allein dafür zuständig?
Stève Hiobi: Ich bin die Person, die alles macht. Das ist einerseits cool, anderseits unfassbar viel Arbeit. Ich wünsche mir eigentlich, dass ich in Zukunft ein Team aufbauen werde, aber aktuell hat sich das einfach nicht ergeben. Ich suche die Themen aus, recherchiere, sammle Quellen, produziere, schneide und poste die fertigen Videos auf Instagram und TikTok und kommuniziere mit Follower*innen. Den Content suche ich mir je nach Aktualität aus. Ich schaue auch nach Themen, die für die Menschen in Deutschland interessant sind und auch Wurzeln aus dem Kontinent haben. Ich habe zum Beispiel ganz viele Videos gedreht zum Thema deutscher Kolonialismus und zur deutsch-afrikanischen Verbindung. Ich habe darüber berichtet, wie viele Menschen aus dem afrikanischen Kontinent hier leben und dass sie bereits mehr als 100 Jahre hier sind. Meistens berichte ich auch über relevante Themen, die die Menschen unbedingt zu hören bekommen müssen, zum Beispiel jene, die Afrika oder ein Land Afrikas verändern könnten. Die Tatsache, dass ich die französische Sprache beherrsche, erleichtert mir die Recherche, da ich mir meine Informationen gerne direkt aus den Quellen hole. Ich erhoffe mir dadurch immer herauszufinden, wie die örtliche Stimmung ist und was die Menschen dort über aktuelle Themen denken. Ich führe hier gerne erneut das Beispiel der Benin-Bronzen an: In Deutschland ist es so ein großes Thema, das für Aufregung sorgt. In Nigeria hingegen ist das gar nicht so ein großes Ding. In den örtlichen Medien diskutierte man gar nicht darüber, ob dieser „Oba“ nun die Bronzen bekommt oder nicht, da man es als sein Eigentum sah. Vielmehr ging es um den Zugang zu den Bronzen, ob dieser öffentlich bleibt. Deswegen bin ich auf jeden Fall der Meinung, dass die Sprache dabei hilft all das zu verstehen.
Wie viel Zeit nimmt die Produktion deiner Videos in Anspruch?
Stève Hiobi: Ehrlich gesagt brauche ich so drei bis vier Stunden für ein Video, jedoch ohne Recherche. Ich recherchiere über mehrere Tage, aber sobald ich die Idee habe und meine Quellen stehen, kann ich loslegen. Ab dem Moment, an dem ich anfange zu skripten, brauche ich drei Stunden für ein Video, wenn es gut läuft. Das mache ich vier- bis fünfmal die Woche.
In einem deiner Videos sprichst du über „Rassismus im Fußball“. Die WM ist nicht allzu lange her. Wie beurteilst du den Erfolg der marokkanischen Mannschaft hinsichtlich seiner Bedeutung für den afrikanischen Kontinent.
Stève Hiobi: Ich habe mich sehr gefreut für Marokko und habe auch mitgefiebert. Ich habe so sehr gehofft, dass sie es ins Finale schaffen, aber leider hat es nicht gereicht. Es ist für mich keine Frage, dass Marokko zu Afrika gehört. Wir gehören zusammen und deswegen war es für mich klar, dass ich mich mitfreue. Ich weiß es gibt immer diese Diskussion: „Wollen wir bei Marokko mit dabei sein?“, „Sind Marokkaner*innen eigentlich richtige Afrikaner*innen?“. Für mich ist es klar beantwortet. Ich habe mich auch sehr gefreut, als der marokkanische Trainer auftrat und sagte, wir sind ein afrikanisches Team.
Das Interview führte Fadwa Slimi-El Bassraoui. Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang „Mehrsprachige Kommunikation“ an der TH Köln.
Zusätzlich ist ein kurzes Videointerview zum Projekt entstanden, realisiert von Studierenden des BA Intermedia an der Universität zu Köln:
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