Flutkatastrophe im Ahrtal – Johannas kurzes Leben
Die Flutkatastrophe 2021 – eine Tragödie, die das Leben von hunderten Menschen veränderte und verheerende Folgen mit sich brachte. Bis heute kämpfen Betroffene mit der emotionalen Aufarbeitung der traumatischen Erlebnisse in Bad Neuenahr-Ahrweiler, der Stadt, die unter Wasser stand. Der Podcast „Die Flut – Warum musste Johanna sterben?“ von SWR und WDR, nominiert für den Grimme Online Award 2023 in der Kategorie „Information“, begleitet Johanna Orth (22) in ihren letzten Tagen, bevor sie eins der Opfer der Jahrhundertflut wird. In sechs Folgen erzählen die Hinterbliebenen von Johanna und andere Betroffene der Katastrophe von ihren Schicksalsschlägen.
Du bist der Host des Podcasts “Die Flut – Warum musste Johanna sterben?”, hast Interviews mit Angehörigen geführt und dich insgesamt sehr ausführlich mit der Thematik beschäftigt. Wenn du den Podcast über die Flutkatastrophe im Ahrtal beschreiben müsstest, wie würdest du das in wenigen Sätzen machen?
Marius Reichert: Dieser Podcast ist eine ganz wichtige Aufarbeitung für die Betroffenen und Hinterbliebenen der Flutkatastrophe. Es ist eine sehr emotionale Herangehensweise anhand eines Schicksals zu versuchen, diese gesamte Katastrophe abzubilden und dabei alle offenen Fragen zu beantworten. Alles, was Johanna erleben musste, hat irgendwie mit dieser Katastrophe zu tun. Wurde sie früh genug gewarnt? Was hat sie vielleicht schon Tage vorher mitbekommen? Wo hat sie sich aufgehalten? Wie hat sie vorher gelebt? Alle Menschen, die da gestorben sind, standen mitten im Leben. Und genauso sie.
Du hast während deiner Recherche viele verschieden Personen interviewt. Gab es für die Auswahl dieser Interviewpartner bestimmte Auswahlkriterien?
Marius Reichert: An erster Stelle war uns wichtig, Familie Orth und speziell das enge Umfeld von Johanna zu befragen. Dazu gehört ihre beste Freundin, der damalige Freund und natürlich ihre Eltern. Wir haben auch betrachtet, welche Protagonistinnen und Protagonisten im Verlauf der Katastrophe für Johanna eine Rolle gespielt haben. Auch beschäftigte uns die Frage: „Hätte der Landrat womöglich den Katastrophenalarm früher ausrufen können?“. Selbstverständlich haben wir uns auch gefragt, welche Personen aus der Politik relevant sind. Malu Dreyer hat uns zum Beispiel abgesagt, andere haben dann zugesagt. Wir wollten nicht nur eine emotionale Geschichte erzählen, sondern auch umfangreich wiedergeben, wie die Verantwortlichen mit der Situation umgegangen sind. Dazu gehört natürlich auch die Politik.
Im Podcast wurden auch mehrere Ebenen der Politik, welche den Ablauf der Flutkatastrophe beeinflusst haben, thematisiert. In welchem Ausmaß war die Corona-Pandemie zu dieser Zeit ein Faktor?
Marius Reichert: In der Nachflutzeit hatten wir in Bad Neuenahr-Ahrweiler wenige Coronainfektionen, die Pandemie war zu diesem Zeitpunkt keine Priorität, weil es andere Herausforderungen gab und tatsächlich auch andere Krankheitsbilder. Ich kann mich erinnern, dass wir die Masken getragen haben, weniger um uns vor Corona schützen, sondern eher aus Angst vor anderen Dingen in der Luft. Wenige hundert Meter von meiner Wohnung entfernt war in den Tagen nach der Flut eine riesige Deponie angelegt worden. Den Geruch, der dort hochstieg, habe ich bis heute in der Nase.
Das Ziel des Podcasts wurde in der ersten Folge klar definiert: den Ablauf der Ereignisse wiedergeben, mögliche Fehler erkennen und aufzeigen, wie man es hätte besser machen können. Was erhoffst du dir, was deine Zuhörer aus diesem Podcast mitnehmen?
Marius Reichert: Ich erhoffe mir vor allem, dass sich unsere Zuhörer Johannas Geschichte anhören und mitempfinden können, was für ein unfassbares Leid die Flut der Region Bad Neuenahr-Ahrweiler gebracht hat. Durch die Nominierung für den Grimme Online Award ist die Flutkatastrophe wieder in den Fokus gerückt worden. Das ist uns wichtig, da die Hinterbliebenen immer noch leiden und selbst diejenigen, die niemanden verloren haben, vielleicht jemanden kennen oder noch mitten im Wiederaufbau sind. Wir wollen die Verantwortlichen auch daran erinnern, dass sie über ihre eigene Rolle nachdenken und möglicherweise Fehler eingestehen. Es handelt sich um eine Zweiteilung aus einem Denkanstoß für die Verantwortlichen und dem Erinnern an die Opfer der Katastrophe in dieser Region.
Bei solch einem intensiven und aufwendigen Podcast-Projekt lief sicherlich nicht immer alles nach Plan. Wenn du in Zukunft erneut an einem Projekt dieser Größe und Tiefe beteiligt wärst, würdest du etwas an eurer Vorgehensweise ändern?
Marius Reichert: Unsere Herausforderung war, dass wir zwei Landesrundfunkanstalten zusammenbringen mussten. Wir hatten Autorinnen und Autoren, sowie Chefs und Chefinnen aus beiden Anstalten, was die Kommunikation teilweise etwas gelähmt hat. In Zukunft müsste man überlegen, ob die Teamgröße beibehalten werden sollte, jedoch halte ich unsere Vorgehensweise weiterhin für ein gutes Konzept. Sicherlich würden wir überprüfen, ob das Projekt mit weniger Aufwand umgesetzt werden könnte, jedoch wird bei sechs Folgen dieser Länge viel Unterstützung und Recherchearbeit benötigt.
Trauer ist etwas, mit dem fast jeder Mensch in seinem Leben konfrontiert wird. Wie war es für dich, so viel Trauer und Schmerz in deinem Heimatort mitzuerleben?
Marius Reichert: Das war und ist schwierig. Zum Glück habe ich in entsprechenden Trainings Strategien erlernt, wie man mit solch einer Situation umgeht. Im Vorfeld haben wir in der Beratung durch eine Psychologin erfahren, was in einem Gespräch mit Hinterbliebenen passieren kann und wie man dabei die emotionale und physische Distanz wahrt. In diesen Tagen der Produktion habe ich das erstaunlich gut verkraftet. Heute gibt es immer wieder Situationen, in denen ich ins Nachdenken komme und merke, dass Bilder hochkommen, die ich damals womöglich verdrängt habe. Wenn man an gewissen Stellen im Ahrtal unterwegs ist oder Hinterbliebene von Opfern trifft, denkt man unweigerlich an die Zeit zurück. Vor allem an den Jahrestagen setzt man sich zwangsläufig mit den Ereignissen wieder auseinander.
Die Interviews und Recherche waren zu vielen Zeitpunkten bestimmt sehr herausfordernd und nicht immer einfach, weder für die Angehörigen noch für dich. Welchen Moment würdest du rückblickend als den schwierigsten bzw. emotionalsten in dieser Zeit beschreiben?
Marius Reichert: Der schwierigste Moment waren sicherlich im Hauptinterview mit Familie Orth die Situationen, wo man eigentlich vorher schon wusste, dass sie schwierig werden. Das sind dann Momente, in denen es emotional wird, in denen man eine Pause machen muss, in denen man dann wieder Abstand sucht und in denen man im Zweifel auch darauf verzichtet die Antwort zu bekommen. Als ich Ralf Orth fragte, wie er sich verabschiedet hat, saß ich direkt neben ihm und habe gemerkt, dass ein Mann von Welt mit viel Geld und Erfolg letztendlich dasitzt, als hätte er alles verloren und das hat er auch.
Gab es möglicherweise, trotz der schwierigen Thematik und der Aufarbeitung eines solch persönlichen Themas, einen schönen Moment, der dich nachhaltig berührt hat?
Marius Reichert: Als wir damals zusammen zum Grab gegangen sind, habe ich das als solch einen Moment empfunden. In dem ich gemerkt habe, dass es den Eltern von Johanna guttut, nach diesem emotional herausfordernden Gespräch ihre Tochter wieder zu besuchen. Beide haben an dem Grab erzählt, wie sich das Gespräch mit mir an diesem Tag für sie angefühlt hat. Das habe ich am Ende als einen schönen Moment empfunden. Wenn wir jetzt sehen, dass wir für so wichtige Preise nominiert werden, empfinden wir das als große Anerkennung für uns und alle Personen, die mitgewirkt haben. Ohne die Offenheit von Familie Orth wäre der Podcast in dieser Intensität nicht möglich gewesen.
Solch einen Podcast informativ, interessant und gleichzeitig aber auch emphatisch zu gestalten war wahrscheinlich keine einfache Aufgabe. Habt ihr Feedback von Johannas Angehörigen oder anderer Zuhörer erhalten? Wie fiel dieses aus?
Marius Reichert: Die Familie Orth hat uns vertraut, sich danach gemeldet und den Podcast als Andenken an Johanna bezeichnet. Am Anfang seien sie skeptisch gewesen, doch meinten später, dass es die richtige Entscheidung gewesen sei. Trotz aller Distanz, die man haben kann, finde ich es auf jeden Fall wichtig, solch ein Feedback zu bekommen. Im Nachgang gab es Zuschriften von Menschen, die einfach ihre Gefühle ausdrücken wollten, von Menschen, die auch Johanna Orth heißen und 22 waren. Der Feuerwehrmann, der sie damals gefunden hat, hat sich bei mir gemeldet, dadurch konnte ich zwischen ihm und der Familie Orth einen wertvollen Kontakt herstellen.
Das Interview führten Dandara Ribeiro Wildenberg und Charlotte Reuter. Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang „Mehrsprachige Kommunikation” an der TH Köln.
Zusätzlich ist ein kurzes Videointerview zum Projekt entstanden, realisiert von Studierenden des BA Intermedia an der Universität zu Köln:
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