Auf der Spur von rassistisch motivierten Hassverbrechen in Deutschland
Rassistisch motivierte Gewalt ist ein Problem, das wir nicht nur aus den Medien oder anderen Ländern kennen, sondern auch eines, welches wir direkt vor unserer Haustür, in Deutschland, finden. Für viele Menschen ist Rassismus ein fester Bestandteil ihres Alltags. Bei einer Vielzahl an Mord- oder Gewaltfällen erscheint er ganz klar als Tatmotiv, doch das wird bei den Ermittlungen oder vor Gericht oft nicht beachtet. Wieso ist das so und was kann dagegen gemacht werden? Diesen und vielen weiteren Fragen geht der Podcast „Schwarz Rot Blut“ von COSMO und WDR auf den Grund. Es werden sieben mutmaßlich rassistisch motivierte Mord- oder Gewaltfälle vorgestellt, die zwar für Schlagzeilen gesorgt haben, aber nach wie vor nicht genug Aufmerksamkeit bekommen. Der Podcast „Schwarz Rot Blut“ ist für den Grimme Online Award 2023 in der Kategorie „Wissen und Bildung“ nominiert. Im Interview berichtet Nele Posthausen über persönliche Erkenntnisse, wie es zu der Idee für den Podcast kam und was es genau mit rassistisch motivierten Taten in Deutschland auf sich hat.
Wie ist der Podcast „Schwarz Rot Blut“ entstanden, gab es persönliche Berührungspunkte, die euch dazu gebracht haben, auf das Thema aufmerksam machen zu wollen und wieso habt ihr diesen Titel gewählt?
Nele Posthausen: Die Idee zum Podcast kam von Dinah Rotenberg. True Crime soll, in Form eines Storytelling-Formats, als Vehikel genutzt werden, um auf politisch-rassistisch motivierte Straftaten in Deutschland aufmerksam zu machen. Wir sind fünf Reporter*innen und haben unterschiedliche Verbindungen zu den Themen. Es gibt den Fall 1987 in Tübingen, wo Kiomars Javadi ermordet wurde. Während der Recherche hat sich herausgestellt, dass Gilda Sahebi, eine der Reporter*innen, eine enge Verbindung dazu hat. Sie hat als junges Mädchen auch da gelebt und ihre Eltern haben sie damals gewarnt in den Supermarkt zu gehen, wo Kiomars Javadi ermordet wurde. Bei den anderen Fällen haben wir keine persönlichen Verbindungen. Was uns mit dem Thema verbindet, ist, dass wir alle in unterschiedlichen Formen zu antirassistischen, antifaschistischen Themen recherchiert haben. Unterstützung bei der Fallauswahl haben wir von der Journalistin Heike Kleffner und unserem Team aus Redakteur*innen bekommen. Der Name ist bei einem gemeinsamen Brainstorming-Prozess entstanden. Rassistische Gewalt in Deutschland ist eine Lücke, auf die wir mit dem Namen hinweisen wollen und das Blut steht für Gewalt.
Was unterscheidet „Schwarz Rot Blut“ von anderen True-Crime-Podcasts?
Nele Posthausen: Wir haben in unserem Brainstorming oft über den Begriff True Hate Crime nachgedacht. Besonders ist, dass es um Hasskriminalität geht. Wir schauen darauf, welchen strukturellen und institutionellen Rassismus wir in Deutschland haben. Das lassen wir mit Expert*innen wie Dr. Sué Gonzáles Hauck genauer einordnen und bleiben nicht nur bei dem Fall, sondern gehen darüber hinaus und verweben verschiedene Ebenen miteinander. Wichtig ist, dass uns die Fälle nur interessiert haben, wenn Betroffene, Hinterbliebene oder Initiativen gesagt haben, das müsse noch mal aufgerollt werden. Wir halten uns von klassischen aufmerksamkeitsheischenden Erzählweisen fern, weil wir die Perspektive der Betroffenen in den Vordergrund stellen wollen.
Welche Zielgruppe wollt ihr mit eurem Podcast ansprechen und was wollt ihr mit diesem bewirken?
Nele Posthausen: Die Zielgruppe ist breit gestreut, von Leuten, die mit dem Podcast-Format Erfahrung haben, bis zu Leuten, die nicht True Crime hören. Zudem gehören Leute dazu, die sich fragen, wie diese Taten in Deutschland passieren können, wieso diese nicht als rassistisch motiviert anerkannt werden und was die Strukturen dahinter sind. Auch Leute, die sich mit Rassismus auseinandersetzen würden, aber den Zugang nicht haben und nicht wissen, wie sie an Informationen kommen sollen, gehören dazu. Wir freuen uns, wenn wir Hörer*innen dazu bekommen sich mit rassistischer Gewalt in Deutschland auseinanderzusetzen. Wir bemerken, dass es unterschiedliches Wissen über diese Fälle in Deutschland gibt, vor allem wenn man den Wissensstand in betroffenen Communities mit dem der Mehrheitsgesellschaft vergleicht. Vor allem bei dem Fall Dessau, wo es einen Mord an der chinesischen Austauschstudentin Lǐ Yángjié gab. Wir bemerken, dass außerhalb dieser Communities häufig der Dialog darüber entweder nie da war oder abflacht.
Gab es besondere Herausforderungen bei der Aufsetzung des Podcasts?
Nele Posthausen: Viele, denke ich. Es gibt viele Menschen, die von Rassismus in Deutschland betroffen sind und die schlechte Erfahrungen mit Institutionen in Deutschland gemacht haben. Dazu zählen manchmal auch die Presse und Journalist*innen. Eine Hürde ist zu schauen, welche Betroffenen wollen, dass über die Fälle gesprochen wird. Ich glaube, es ist von uns Journalist*innen wichtig, ein Vertrauen zu schaffen und zu sagen, dass wir nur über Dinge sprechen, die sie in der Öffentlichkeit erzählt haben wollen. Wir versuchen, Protagonist*innen sichtbar zu machen und nicht bloßzustellen. Ich denke eine weitere Hürde ist, Menschen so anzusprechen, dass sie sich trauen, über die Fälle zu erzählen, weil es ein Risiko ist. Ich als Reporterin mache mir Gedanken darüber, was es auslöst, wenn ich offen über rassistische Gewalt in Deutschland spreche. Ich glaube, für mich als weiße Person ist es ein anderes Risiko als für Menschen, die tagtäglich von Rassismus betroffen sind.
Gab es Momente, in denen ihr das Gefühl hattet, dass euch das Thema stark negativ beeinflusst oder wo ihr das Projekt abbrechen wolltet?
Nele Posthausen: Abbrechen nicht, aber es ist sehr unterschiedlich für uns alle, weil wir unterschiedliche Betroffenheiten haben. Wir haben uns zwischendurch ausgetauscht und die Arbeit in der Gruppe hat uns Halt gegeben. Als Reporter*in ist man nie ganz fertig mit der Arbeit und das nimmt einen manchmal privat mit. Oft ist das gut, um zu überlegen, wie möchte und sollte ich das darstellen, damit andere sich den Podcast anhören können und wie muss ich mich dafür damit auseinandersetzen. In manchen Fällen mussten wir abwägen, ob unsere Herangehensweise zu hart ist. Es ist wichtig, es direkt zu erzählen, damit es wirken kann, aber wir weisen auf diese Schwierigkeiten hin. In dem Fall Dessau zum Beispiel hatten wir viel Austausch darüber, dass es in der Recherche psychologischen Support braucht, weil da brutale Details zutage gekommen sind, die für uns Reporter*innen auch schwer zu ertragen waren. Ich glaube also, dass es komisch wäre, wenn uns das nicht weiter begleitet und wir nicht auch im Alltag mehr über diese Gewalt nachdenken würden. Es ist normal ein Bewusstsein für diese brutalen Fälle zu entwickeln, die Verknüpfung von der rassistischen Motivation zu der letztendlichen Ausübung ist, was mich am meisten beschäftigt und auch dieses Machtgefälle in unserer Gesellschaft, was da aufgezeigt wird. Man fängt an sich zu fragen, wer in Deutschland wie sicher ist. Das ist, was ich mit in den Alltag nehme und was meinen Blick dafür schärft.
Bei dem Thema True Crime bearbeitet man negative Fälle. Gab es Momente, in denen ihr Positives aus dem Projekt, für euch oder für andere, mitnehmen konntet?
Nele Posthausen: Es gab ganz viele. Besonders der Kontakt mit den Protagonist*innen und Menschen, die rassistische Gewalt zum Beispiel überlebt haben, ist besonders. Ich habe viel zu dem Fall Köln Porz recherchiert, wo der betroffene Krystian M. glücklicherweise überlebt hat und selbst an den Verhandlungen teilnehmen konnte. Da habe ich mitbekommen, dass es am Ende ein Urteil gab, in dem Rassismus als Teil des Motivs anerkannt wurde. Es ist schön zu sehen, dass es Gerichte gibt, die ganz anders danach fragen. Ich habe mit Aynur Satır gesprochen, die den Brand in Duisburg 1984 überlebt hat, und fand es sehr beeindruckend, wie sie es geschafft hat, sich wieder ein Leben aufzubauen. Ihre Schwester hat mal gesagt, die haben eigentlich nicht sieben, sondern acht Menschen verloren, weil der Vater im Jahr danach gestorben ist. Dass eine Person, die so viele Steine von Behörden in den Weg gelegt bekommen hat und immer wieder nicht gesehen worden ist, trotzdem heute ein eigenes Leben führt und sich traut, mit uns darüber zu sprechen, ist für mich sehr beeindruckend. Ich denke, jeder von uns hat solche Momente in der Recherche erlebt und würde das auch bestätigen.
Hat dich einer der sieben Fälle nachhaltig beschäftigt?
Nele Posthausen: Definitiv. Was mich beschäftigt, ist die Verstrickung von Machtmechanismen in unserer Gesellschaft. Im Fall Dessau zeigt sich eine misogyne, sexistische und rassistische Haltung gegenüber dem Opfer. Da gibt es eine verknüpfte Betroffenheit der Person, die nicht nur abgewertet wird, weil sie asiatisch, sondern auch, weil sie weiblich gelesen wird, und das beschäftigt mich sehr. Da stellt sich die Frage, wie so unterschiedliche Betroffenheiten und Weltbilder entstehen. Hierbei spielt auch Pornokonsum eine Rolle. Der Täter hat Pornos geschaut, in denen asiatisch gelesene Frauen gedemütigt wurden. Genauer hinzugucken, wie ein mehrfach abwertendes Bild von Menschen in unserer Gesellschaft entsteht, ist das, was mich berührt und mitnimmt. Die Tatsache, dass sowas nicht früher gesehen wird, macht mich unruhig.
Welche Rückmeldung erhaltet ihr von den Zuhörer*innen? Beeinflusst diese euch positiv wie negativ?
Nele Posthausen: Wir haben viele und unterschiedliche Rückmeldungen erhalten. Zum Beispiel, dass viele Menschen, die sich schon mit rassistischen Taten auseinandergesetzt haben oder von diesen betroffen sind, die Folgen hören und sagen, dass sie das interessant und wichtig finden. Es gibt aber auch die, die sich noch nicht viel mit rassistischen Taten auseinandergesetzt haben und deswegen mit der Thematik hadern oder aussteigen. Ich kann verstehen, dass es manchmal zu krass sein kann. Wir haben häufig darüber gesprochen, ob man die Thematik noch mehr kennzeichnen muss, aber letztendlich kann man sich überlegen, den Podcast zusammen mit einer anderen Person zu hören und man sollte sich immer fragen, ob es einem gerade gut genug dafür geht. Wichtig ist für mich auch die Rückmeldung von Menschen, die bereits von diesen Fällen wissen. Da fällt mir das Beispiel Dessau ein. Hier kommen Menschen aus einer Community, die asiatisch gelesen werden und sagen, dass sie es gut finden, dass der Fall noch mal aufgerollt wird, weil es dadurch weniger Halbwissen über die Geschichte gibt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen dankbar sind, wie das umgesetzt wurde und fragen, warum wir nicht mehr solcher Fälle präsentieren. Es kommen oft Personen mit Fallideen oder Geschichten auf mich zu. Das zeigt mir, dass es viel rassistische und auch rechtsextrem motivierte Gewalt in Deutschland gibt, die nicht gesehen wird und über die mehr gesprochen werden muss.
Das Interview führten Alexandra Polaki und Manuel Oesinghaus. Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang „Mehrsprachige Kommunikation” an der TH Köln.
Zusätzlich ist ein kurzes Videointerview zum Projekt entstanden, realisiert von Studierenden des BA Intermedia an der Universität zu Köln:
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!