Per Scrolling durch die Geschichte der Umwelt in Ostdeutschland
Giftige Gase in der Luft, Schadstoffe in Böden, ökologisch tote Gewässer – nach der Wende war der Zustand der Umwelt in vielen Gegenden der ehemaligen DDR katastrophal. Viel wurde seitdem getan, doch noch immer sind die Folgen der Umweltsünden vielerorts spürbar. Das interaktive Projekt “Umwelt in Ostdeutschland” geht auf Spurensuche: Im Scrollytelling kann man von der Luft über Wald und Böden bis zum Grundwasser in verschiedene Ebenen der Biosphäre eintauchen und anhand visuell aufbereiteter Umweltdaten der vergangenen 30 Jahren erkunden, welche Folgen für die Umwelt menschliches Handeln damals hatte und auch heute hat.
“Umwelt in Ostdeutschland” ist Teil eines Crossmedia-Projekts des Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) und für den Grimme Online Award 2022 in der Kategorie „Information” nominiert. Michael Schönherr, der von Anfang an am Projekt mitgearbeitet hat, gibt im Interview einen Einblick in die Entwicklung des Projekts – von der Idee über das Konzept bis zur Fertigstellung.
Das Projekt “Umwelt in Ostdeutschland” bietet einen Rückblick auf die Umweltverschmutzung in der DDR. Wie kam es zu dieser Projektidee?
Wir als Produktionsfirma “Hoferichter & Jacobs GmbH“ waren häufig an ähnlichen Projekten beteiligt und haben uns intensiv mit wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Transformation beschäftigt. Dann kam die Idee vom Mitteldeutschen Rundfunk (MDR), das hochaktuelle Thema „Umwelt und Klimaschutz“ aufzunehmen und den Fokus auf die Verbindungslinien zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu setzen. Um unser Datenprojekt umzusetzen, sind wir folgenden Fragestellungen nachgegangen: Was lernen wir daraus für Gegenwart und Zukunft und für unser Handeln? Zudem hatten wir Daten aus verschiedenen Zeiträumen, die wir als Grundlagen verwendet haben, um zu verstehen, inwieweit sich die Umweltsituation in Ostdeutschland in den letzten 30 Jahren verändert hat.
Für das Projekt mussten umfangreiche Umweltdaten recherchiert werden, etwa zur Qualität von Luft, Gewässern, Grundwasser und Böden in Ostdeutschland. Wie groß war Ihr Team und wie viele Leute haben sich mit der Recherche beschäftigt?
Das Gesamtprojekt ist weit in das crossmediale Projekt eingebettet. Bei der „Hoferichter & Jacobs Filmproduktion“ besteht das Team aus ungefähr drei bis vier Leuten, die sich im Laufe der Zeit mit diesem Thema beschäftigt haben. Wir hatten in verschiedenen Phasen auch von journalistischen Kollegen Unterstützung und zudem erhielten wir für dieses Online-Projekt eine redaktionelle Betreuung von MDR WISSEN. Zudem gab es die Zusammenarbeit mit der „Figures GmbH“ in Berlin, mit einem Grafiker, der einen bedeutenden Input in die optische Gestaltung gegeben hat.
Die großen Datenmengen haben Sie in einem Scrollytelling mit vielen interaktiven Elementen eindrucksvoll visualisiert. Warum haben Sie sich für diese Art der Darstellung entschieden?
Angedacht war, für das junge Publikum attraktiv zu sein. Wir hatten riesige Datensätze, die wir interaktiv umsetzen wollten, um eine erzählerische Linie zu schaffen. Es entstand dann die Idee, durch die Biosphäre zu scrollen. Das hatte den großen Vorteil, dass wir die unterschiedlichen Umweltebenen Luft, Wasser, Landwirtschaft, Wälder, Pflanzen und Boden gut zusammenbringen konnten.
Dann haben wir uns Gedanken gemacht, wie wir es schaffen, die Darstellung auf jeder Ebene möglichst attraktiv zu machen. Es sind grundsätzlich fünf Ebenen und der Anspruch war, in jeder dieser Ebenen etwas zu finden, was interessant ist, was die Leute betrifft, was sie mitnimmt und was die Umweltsituationen, die sich verändert haben, wirklich gut erlebbar macht.
Welche waren die wichtigsten und aufwendigsten Arbeitsschritte des Projekts?
Die aufwendigsten Arbeitsschritte waren zum einen, die Datenmengen zu erfassen, und zum anderem, die zahlreichen E-Mails durchzugehen, um Informationen für unser Thema zu erhalten. Mitwirkende waren nicht nur das Umweltbundesamt, das uns geholfen hatte, sondern wir hatten auch ständig Kontakt zu anderen Experten. Mit einer API-Schnittstelle konnten wir tagesaktuell die Luftdaten abrufen, welche uns das Umweltbundesamt zur Verfügung gestellt hat. Zudem haben wir mit einem Institut kooperiert, von dem wir Informationen erhalten haben auf Fragen wie: „Wieviel Wald ist in den letzten 30 Jahren geschädigt worden?“ und „Wie ist der Zustand damals gewesen?“ Wir haben für diese landwirtschaftlichen Fragen mit dem deutschen Dachverband kooperiert, der uns dazu exklusive Daten zur Verfügung gestellt hat.
Eine weitere Zusammenarbeit hatten wir mit der „Flussgebietsgemeinschaft Elbe“, die Wasserqualität in ihrem Einzugsgebiet analysieren und Daten auswerten; diese haben sie uns zugeliefert. Die Arbeit bestand hauptsächlich darin, im Vorfeld monatelang Studien zu wälzen, Datensätze zu analysieren und Besonderheiten herauszufinden.
Gibt es Ideen, das Projekt zu erweitern und auch über Umweltschäden in westlichen Bundesländern zu berichten und vielleicht sogar ein eigenes Projekt hierzu zu starten?
Diese konkrete Idee gibt es so eigentlich nicht. Was wir als Anspruch haben, ist, auf den Osten zu schauen und uns auch dort Entwicklungslinien anzuschauen, die wir für besonders spannend halten. Letztlich ist es der Vergleich, der das Thema so spannend macht und der manchmal auch Rückschlüsse bietet, auf den Westen zu blicken.
Wenn uns das Anliegen wichtig ist, dann sollte man natürlich auch hierzu ein Projekt entwickeln und schauen, was man daraus lernen kann.
Gab es Rückmeldungen zu Ihrem Projekt und, wenn ja, wie waren sie?
Wir bekamen viel Lob von Projektbeteiligten und deren Umfeld und dazu unterschiedliche Fach-fragen. Am Ende unseres Projekts bekamen wir Berichte von Personen, die in Ostdeutschland aufgewachsen sind, deren Erinnerung beim Scrolling des Projekts hervorgerufen wurden. Es gab immer wieder Menschen, die aus ihrer Kindheit aus ihrem eigenen Erfahrungshorizont erzählt und gesagt haben: Das betrifft mich auch persönlich.
Eine bedeutende Rückmeldung erhielten wir von einer Sekretärin, die in Freiberg in der Kohleregion aufgewachsen ist. Sie erzählte über eine Erfahrung eines ihrer Familienmitglieder, das heute noch an gesundheitlichen Schäden aufgrund der Umweltverhältnisse dieser Zeit leidet. Fast jeder, der in der Region aufgewachsen und alt genug ist, hat eine eigene Geschichte zu erzählen, eine eigene Erfahrung mit der damaligen Umweltsituation.
Das Interview führten Cheroli Pistorio und Rosy Feola. Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang “Mehrsprachige Kommunikation” an der TH Köln.
Neueste Kommentare