Empowerment statt Scham: Ein safespace für alle

Let´s talk about sex, baby! Endlich den Tabus ein Ende setzten. Ob PMS-Symptome oder gerissene Kondome­ ­­­– Saphira Siegmund, Lea Wessels, Säli El Mohands und Whitney Bursch klären auf dem TikTok-Kanal „safespace.offiziell“ über Sex, Periode und Körperliebe auf. Seit September 2020 helfen die kurzen Videos dem jugendlichen Publikum dabei, sich, ihren Körper, ihre Vulva und ihre Sexualität besser kennenzulernen. Hierbei achten die Hosts besonders auf einen respektvollen und entstigmatisierenden Umgang mit diversen Themen.  Saphira und Lea geben im Interview einen Einblick hinter die Kulissen und zeigen auf, wie wichtig eine offene Kommunikation bei der Aufklärung ist. Der TikTok-Kanal „@safespace.offiziell“ ist für den Grimme Online Award 2022 in der Kategorie „Wissen und Bildung“ nominiert.

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Screenshot „safespace.offiziell“

Auf eurem TikTok-Kanal „safespace.offiziell“ klärt ihr über intime Themen wie Sex, Periode und Selbstliebe auf. Dabei hat man das Gefühl, mit Freund*innen zu reden. Wie entstand die Idee dafür? 

Saphira Siegmund: Es gab beim rbb einen Ideenwettbewerb als Format von der rbb Praxis, wo verschiedene Ideen präsentiert wurden wie bei einem Speed-Dating. So entstand dann die Idee von safespace, an der dann weiterhin gefeilt wurde. Wir haben den Ideenwettbewerb gewonnen und bekamen Geld für die Produktion.

Lea Wessels: Zwar gibt es dieses Format bereits im linearen Fernsehen, jedoch wollten wir diese junge Zielgruppe auf einer digitalen sozialen Plattform ansprechen, da diese mittlerweile nicht mehr vor dem Fernseher sitzt.

Wie seid ihr beide auf das Projekt aufmerksam geworden?

Screenshot @safespace.offiziell auf TikTok.

Screenshot @safespace.offiziell auf TikTok.

Lea Wessels: Wir wurden auf Instagram von der Redaktion angeschrieben und mussten uns mit einem Video bewerben. So wurden wir eingeladen und hatten einen Casting-Prozess. Das ging einen ganzen Tag, also acht Stunden. Danach war man auch richtig platt, weil wir jeweils drei Videos an dem Tag produziert haben.

Ihr seid sehr aktiv im Kommentarbereich auf TikTok. Reagiert jede*r Creator*in eigenständig auf die Kommentare oder gibt es zuständige Personen für den Kommentarbereich? Müssen unangebrachte Kommentare auch gelöscht werden? 

Lea Wessels: Wir als Hosts moderieren nicht selbst die Kommentare. Dafür gibt es eine zuständige Person aus unserem Team, die aktiv und schlagfertig Fragen beantwortet. Anfangs hatten wir gar nicht so viele negative Kommentare, aber mit dem Wachsen unserer Reichweite nahm auch der Hate zu. Deshalb hat der rbb erkannt, wie wichtig es ist, ein Community-Management einzuführen.

Saphira Siegmund: Wir hatten auch einmal den Fall, dass uns bei einem Video von Säli sehr viele negative Kommentare erreicht haben, da sie als optisch präsentierte Muslima über Themen wie Sex und Periode sprach. Da hat das Community-Management sofort reagieren können.

Lea Wessels: Außerdem gibt es eine Netiquette und dahingehend werden die Kommentare geprüft, weil man als öffentlich-rechtliches Format nicht einfach Kommentare ohne Begründung löschen darf. Sobald Kommentare diskriminierend oder beleidigend sind, werden sie gelöscht. Die Netiquette ist auf unserer Website zu finden.

Die Bandbreite eurer Themen erscheint uns sehr groß und deckt viele interessante Aspekte ab. Wie entscheidet ihr, welche Themen ihr besprecht und inwieweit sind eure Zuschauer*innen in den Prozess involviert? 

Saphira Siegmund: Die Themen stammen von uns und wir besprechen diese dann in den Redaktionssitzungen. Aber es gibt auch Anregungen aus der Community, besonders durch spezifische Fragen im Kommentarbereich.

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Screenshot „safespace.offiziell“

Lea Wessels: Sobald wir ein neues Video posten, bekommen wir dazu viele weitere Fragen, an denen wir den großen Bedarf für ein solches Format erkennen können. Oft merke selbst ich, dass ich wieder etwas Neues dazugelernt habe, obwohl ich schon Mitte 20 bin. Wenn ich arbeite, versetze ich mich oft in meine Teenie-Zeit und die eigenen Unsicherheiten von damals zurück. Ich weiß auch noch, welche Fragen ich mir damals gestellt habe. Dadurch, dass wir alle noch ziemlich jung sind, können wir uns leicht in die Zielgruppe hineinversetzen. Es ist trotzdem besonders wichtig, eine konstante Rücksprache mit der Community zu halten, um den Wissensstand und den Umgang mit bestimmten Themen einschätzen zu können. Wir merken jetzt auch, dass uns immer wieder Fragen erreichen, die bereits in unserer Generation aktuell waren.

Mal angenommen, zu eurer Jugendzeit hätte ein solches Format existiert. Inwiefern hätte es euch bei eurer Entwicklung beeinflusst?

Lea Wessels: Ich glaube, es hätte mir viel geholfen, insbesondere bei der Aufklärung über Periode und Sex. Wenn ich an meine ersten sexuellen Erfahrungen denke, stand die männliche Lust immer im Vordergrund. Anstatt die weibliche Lust zu empowern, ging es immer darum, wie man am besten dem Mann gefallen kann. Ich wusste viel mehr über Penisse Bescheid als über meine eigene Vulva. Auch das Masturbieren wurde nicht thematisiert und erst mit 19 habe ich das erste Mal mit einer Freundin darüber gesprochen. Jeder hat es gemacht, aber niemand hat darüber geredet. Ich hätte mir gewünscht, abseits von den Artikeln der Bravo Girl noch weitere Informationsquellen zu haben. Selbst heutzutage sind für viele 12- bis 16-Jährige diese Themen weiterhin mit Scham behaftet. Ich glaube jedoch, dass mittlerweile mehr darüber geredet wird. Dadurch, dass wir sehr authentisch auf unserem TikTok-Kanal sind und aus eigenen Erfahrungen sprechen, können wir gewisse Themen auf eine andere Art entstigmatisieren. Zum Beispiel gibt es ein Video, wo Whitney eine Freund*in anruft, um nach der Pille danach zu fragen. Oder ein anderes, in dem beim Zähneputzen erklärt wird, wie man eine Vulva wäscht. Dieser offene Umgang mit den „Tabuthemen“ schwächt den Schamaspekt etwas ab. Es kann auch vorkommen, dass jüngeren Zuschauer*innen unsere Videos angezeigt werden und die Inhalte überfordernd auf sie wirken. Jedoch betonen wir in unseren TikToks immer: „Hey, wenn du dich mit damit noch nicht wohlfühlst und es zu viel ist, dann musst du dich damit jetzt nicht beschäftigen!“ Dies ist uns besonders wichtig, um keinen Druck aufzubauen, damit sich alle safe fühlen.

Saphira Siegmund: Zwar sind wir alle mit dem Internet aufgewachsen, aber unsere Zielgruppe hat noch mal einen ganz anderen Zugang zum Internet und den sozialen Medien. Die Smartphones ermöglichen einen permanenten Zugriff auf diverse Plattformen. Das führt dazu, dass private oder öffentlich-rechtliche Content-Creator*innen auch auf sozialen Medien wie TikTok oder Instagram ihre Inhalte veröffentlichen und somit dazu beitragen, dass diese Aufklärungsformate verbreitet werden. So kann es sein, dass einige Beiträge dann mal viral gehen und man sich automatisch damit auseinandersetzt, selbst wenn die Themen einen gar nicht interessieren.

Wir haben gesehen, dass es einen Beitrag gab, der von TikTok als sensibler Inhalt eingestuft wurde. Gibt es Themen, die als sehr kontrovers aufgenommen werden? Wie ist euer Umgang mit solchen Einstufungen?

Saphira Siegmund: Es gibt auf TikTok einige Creator*innen, die beispielsweise „Sex“ nicht richtig ausschreiben, um einer Zensur auf der Plattform zu entkommen. Das machen wir eben nicht, da wir öffentlich-rechtlich sind, journalistisch informieren und gerade beim Thema Aufklärung die Fakten beim Namen nennen. Es kommt auch vor, dass unsere Videos eingeschränkt werden und dadurch weniger Reichweite erlangen. Jedoch lassen wir uns davon nicht abschrecken und produzieren weiter neue Videos. Mit dem Format safespace wollen wir gewisse Themen enttabuisieren, sie benennen und nicht um den heißen Brei reden.

Lea Wessels: Auf TikTok können wir als Creator*innen nicht mitbestimmen, welche Formate und Videos zensiert werden. Es ist besonders wichtig, regelmäßig kritisch zu reflektieren, auf welcher Plattform man sich bewegt. Auch wenn TikTok oder Instagram einige Inhalte zensieren, bleiben die Zielgruppe und die Nachfrage weiterhin bestehen. Demnach ist es natürlich blöd, wenn Beiträge eingeschränkt werden, aber es ist für uns kein Hindernis, bestimmte Dinge anzusprechen. Hier versuchen wir dann, dass die Formulierungen in den Videos variieren, diese verständlich sind, aber wir trotzdem den Tabus ein Ende setzen.

Wie können wir uns den Produktionsprozess eurer Videos vorstellen? Wie viel Zeit beansprucht die Umsetzung durchschnittlich?

Saphira Siegmund: Es gibt einmal in der Woche eine Konferenz mit dem ganzen Team, bei der Themen für die kommenden Videos verteilt werden. Aufgrund von der Pandemie und weil wir alle nicht mehr in Berlin wohnen, planen und produzieren wir die Videos allein, nur in einigen Ausnahmefällen übernimmt die Redaktion. Wir suchen uns pro Woche zwei Themen raus und haben dann diese Woche Zeit, um die Skripte vorzubereiten. Nach dem Fertigstellen überprüft die Redaktion das Material auf ihre Richtigkeit. Wir haben auch Ärzt*innen, sowohl im Redaktionsteam als auch im Team der Hosts, die gegebenenfalls verbessern und das Skript anpassen. Anschließend haben wir noch eine Woche Zeit, um die zwei Video zu drehen.

Lea Wessels: Der Zeitaufwand für ein Video liegt meistens zwischen zwei und fünf Stunden und variiert je nach Inhalt und benötigten Requisiten. Manchmal muss das Zimmer umgestellt werden oder man verspricht sich oft, und dann dauert der Videodreh mal länger. Das Team unterstützt sich gegenseitig und gibt zu den produzierten Ergebnissen auch Feedback und Verbesserungsvorschläge, da wir alle unterschiedliche Perspektiven haben. Letzte Woche haben wir beispielsweise über inklusive Sprache geredet, da die Formulierungen in zwei Videos nicht komplett inklusiv waren. Ich finde es großartig, dass in unserem Team eine Fehlerkultur herrscht und wir alle motiviert sind, aus unseren Fehlern zu lernen. Auch mit Hilfe von Säli, die eine Medizinerin im Studium ist, und weiteren Ärzt*innen im Team, können wir Fakten prüfen lassen.

Aus wie vielen Personen besteht das gesamte Team von SafeSpace?

Lea Wessels: Wir sind ungefähr vierzehn Leute im Team, also Schnitt, Grafik, Redaktionsleitung und vier Hosts. Die Redaktion besteht aus vier Leuten, die außerhalb von safespace an anderen Formaten arbeiten. Tatsächlich sind wir in den letzten drei Wochen etwas gewachsen. Somit entwickeln sich die Positionen gerade, da auch die meisten von uns nicht hauptberuflich bei safespace arbeiten.

Durch die dreiminütige Maximallänge der TikTok-Videos bleibt kaum Zeit für Details und spontanen zusätzlichen Input von euch. Warum genau habt ihr euch für TikTok, und nicht beispielsweise für YouTube als Plattform entschieden?

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Screenshot „safespace.offiziell“

Saphira Siegmund: Unser Format richtet sich an 14- bis 16-jährige Menschen und gerade der Gebrauch von TikTok ist in der Generation Z sehr verbreitet. Da wir diese Altersgruppe erreichen wollen, richten wir uns natürlicherweise nach ihnen, selbst wenn die Videodauer sehr kurz ist und die Informationen gebündelt sein müssen. Wir haben im Laufe der Zeit unsere Strategie geändert und konzentrieren uns jetzt klar auf eine Frage bzw. einen Aspekt zu dem gewählten Thema, zum Beispiel: „Welche Symptome treten bei PMS auf“ oder „Drei Nebenwirkungen der Periode“. In den Kommentaren folgen dann weitere Fragen, auf die wir dann in weiteren Videos eingehen können. Durch die zeitliche Begrenzung auf TikTok sind wir also dazu gezwungen, einen spezifischen Aspekt zu bearbeiten und können nicht ausschweifen. Die Zuschauer*innen schalten auch ab, wenn die Inhalte nicht kurzgehalten werden. Heutzutage guckt die Generation keine 15-minütigen Videos mehr, außer es handelt sich um Interviews oder Lieblings-Youtuber*innen. Wir konnten aber feststellen, dass es gut läuft, wenn man einen spezifischen Aspekt aussucht.

Mit den neuen Erkenntnissen im Forschungsbereich Verhütung ist es für die Menschen mit männlichen Geschlechtsteilen eventuell bald möglich, selbst die Anti-Baby-Pille einzunehmen. Könntet ihr euch vorstellen, auch aus dieser Perspektive zu berichten und dann auch Jugendlichen, die sich als männlich identifizieren, eine Informationsplattform zu bieten?

Lea Wessels: Es ist uns wichtig, gewisse Aspekte und Themen mitzubeleuchten – zum Beispiel Fakten über Kondome oder diverse Verhütungsmittel –, da wir einen Bildungsauftrag verfolgen. Da achten wir besonders darauf, dass die Message vermittelt wird: „Zur Verhütung gehören immer mehr Menschen dazu, als nur die eine Person, die die Gebärmutter besitzt.“ Grundsätzlich könnten wir uns aber vorstellen, auch diesen Aspekt aufzugreifen und zu stärken, dass es auch weitere Möglichkeiten zur Verhütung gibt.

Saphira Siegmund: Breaking News: Ein Format für die cis-männliche Zielgruppe ist bereits in Planung. Die Idee ist es, mit der jetzigen Zielgruppe ins Gespräch zu kommen und nachzufragen, inwieweit der Bedarf an einem solchen Format herrscht.

Bekommt ihr von euren User*innen Anfragen, auch über Themen jenseits von Sex, Periode & Co aufzuklären? Könnt ihr euch das vorstellen und gibt es in diese Richtung vielleicht schon Pläne?

Lea Wessels: Tatsächlich haben wir vor fast zwei Jahren viel breiter angefangen. Wir haben damals teilweise auch über gesellschaftspolitische Themen und Mental Health geredet. Anfangs hieß der Slogan Body und Mental Health. Dann wurde deutlich, dass die Community vor allem diesen Body-Aspekt annimmt und viele Fragen zu den Themen Periode, Sex und Körper hat. Deswegen wurde das Format dann wieder zugespitzt.

Saphira Siegmund: Ich kann mich nicht an eine Frage aus der Community zu anderen Themen erinnern. Wir haben das jetzt zugespitzt auf Körper, Periode und Sex. Und da gibt es so viele Themen. Ich glaube, wir können die nächsten drei Jahre noch ausfüllen damit. Wir haben uns alle noch gar nicht gefragt, ob wir auch mal andere Sachen ansprechen. Wenn, dann würde es eher ein neues Format geben.

Lea Wessels: Wir experimentieren auch in den Erzählweisen, und das finde ich sehr spannend, dass man überlegt: Wie können wir die Themen unterschiedlich in Videos packen? Es gibt auch unterschiedliche Arten von Videos, die wir machen und gerade entsteht ein internes neues Format für safespace. Alle Hosts bekommen eine Frage, die wir vorher nicht kennen. Die wird per Mail zugeschickt und eine andere Person stellt uns dann Frage und die Kamera bleibt so zwei bis drei Minuten komplett ohne Schnitt an und man sieht live, wie wir auf die Frage reagieren und antworten. Da ist schon das erste Video im Rohschnitt fertig geworden. Ist auf jeden Fall sehr lustig geworden.

Das Interview führten Jaana Baron und Yola Wagner. Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang “Mehrsprachige Kommunikation” an der TH Köln.

Screenshot aus dem Zoom-Interview: Lea Wessels und Saphira Siegmund

Screenshot aus dem Zoom-Interview: Lea Wessels und Saphira Siegmund