Die gute Seite des Internets – der digitale #GOA21
Ein Gastbeitrag von Katharina Schmitz
„Erzähl‘ mir was Gutes“ – mit dieser Aufforderung an die Runde der diesjährigen Preispat*innen startete Moderatorin Ninia LaGrande im Kölner Harbour Club in den Abend der Preisverleihung des #GOA21. Nach über einem Jahr Leben mit dem Coronavirus waren die guten Nachrichten an diesem Donnerstagabend die kleinen Dinge, die in pandemischen Zeiten ganz groß werden: Riccardo Simonettis Großmutter darf ohne Quarantäneverordnung aus Italien einreisen, Nazan Eckes und Samira El Ouassil freuten sich über die Impfung einer geliebten Person und Markus Barth erwähnte den geplanten Ausgleich für junge Menschen aufgrund der Einschränkungen. Als Preispate mit dabei war außerdem Schlecky Silberstein vom Browser Ballett, der erleichtert verkündete: „Meine Lieblingskneipe hat Corona überlebt“. Auch in der musikalischen Begleitung des Abends wurde das aktuelle Thema verhandelt, wenn Fortuna Ehrenfeld über die „Rückkehr zur Normalität“ sang.
1.400 Vorschläge wurden in diesem Jahr für den #GOA21 eingereicht – im letzten Preisjahr waren es ca. 1.000 Einreichungen. Das zeigt: Qualitativ hochwertige Online-Angebote sind relevanter denn je, nicht nur im Bereich der Unterhaltung, sondern auch zur Wissensvermittlung. 28 Webangebote wurden schließlich von einer Fachjury für den Preis nominiert. Wie bereits im letzten Jahr waren die Nominierten per Videokonferenz zugeschaltet.
Bevor die eigentliche Preisverleihung startete, wurde das Publikum durch den Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen Nathanael Liminski begrüßt, der mit einem Zitat von Moderator Jo Schück einstieg, welches sich als Motto durch den gesamten folgenden Preisabend zu ziehen schien: „Wir müssen alles erwarten – auch das Gute“. Liminski zufolge setzt der GOA genau das um. Er öffnet den Blick für das Gute, für qualitativ hochwertige Beiträge und herausragenden Journalismus.
Innovation und Sichtbarkeit
Etwas Gutes aus einer schwierigen Situation gemacht hat auch der erste Preisträger in der Kategorie „Kultur und Unterhaltung“. Schulleiter Björn Lengwenus von der Hamburger Stadtteilschule Alter Teichweg hatte zu Beginn des ersten Lockdowns die Idee zu „Dulsberg Late Night“, um die Schüler*innen mithilfe einer Late Night Show durch den Homeschooling-Alltag zu begleiten. Das Motto der Aktion: be part. Das Gemeinschaftsgefühl zu stärken und „den Geist der Schule am Leben zu halten“ haben Lengwenus motiviert, seine Idee umzusetzen. Als Direktor ein guter Entertainer zu sein, sagte er, hilft außerdem ungemein, wenn man täglich auf Sendung geht. Den Preis nehme er stellvertretend für alle Schulen an, die der schwierigen Zeit mit kreativen Lösungen entgegengetreten sind.
Der zweite Preis der Kategorie ging an den Podcast „Queerkram“ von Johannes Kram. Zu Recht, fand Preispate Markus Barth, denn Johannes habe das, was vielen fehlt: Interesse, Verständnis, Haltung und vor allem eine Meinung, die er nicht versteckt, sondern offen verteidigt. Laut eigener Aussage thematisiert Johannes in seinem Podcast alles, „was nicht heteronormativ ist“. Dabei möchte er die LGBTI*-Community in all ihrer Vielfalt abbilden, getreu dem Motto: „Wir sind alle anders, aber alle gleich“.
In der nächsten Kategorie „Spezial“ durfte sich als erste Preisträgerin Enissa Amani mit ihrer spontan aufgesetzten Talkrunde „Die beste Instanz“ freuen, die als direkte Reaktion auf die Ausstrahlung einer Sendung des WDR Formats „Die letzte Instanz“ produziert worden war. Preispatin Nazan Eckes betonte, sie habe es aus eigener Kraft geschafft, eine qualitativ hochwertige Talksendung zu erschaffen, die überraschend, lehrreich und vorbildlich ist. Die spontane Idee hat online große Wellen geschlagen: Das Youtube-Video hat bereits über 600.000 Aufrufe. Enissa Amani bot damit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Stirn und zeigte, wie man es besser und anders machen kann. Dabei war sie froh, an ihre Idee geglaubt und unabhängige Möglichkeiten gehabt zu haben, denn, so die Preisträgerin, wichtige Themen brauchen eine freie Rede.
Wissen 2.0
Das Team hinter dem Web-Format „dekoder-Specials“ wurde mit dem zweiten Preis in der Kategorie „Spezial“ geehrt. „Wissenschaftlich fundiert und High-Tech präsentiert“, so die Preispatin Nazan Eckes, liefert das Format mithilfe verschiedenster Darstellungsformen ein vertieftes Wissen über Russland. Dabei wird die Digitalisierung als Tool verstanden und die spannenden Themen im Journalismus 2.0-Stil aufbereitet und eingeordnet. Die Beteiligten verstehen die „dekoder-Specials“ als Schnittstelle zwischen Journalismus und Wissenschaft.
Bevor es mit der nächsten Kategorie „Wissen und Bildung“ weiterging, bat Moderatorin Ninia LaGrande die Direktorin des Grimme-Instituts Frauke Gerlach zum Gespräch. Diese betonte, dass man trotz aller Kritik auch „auf die guten Seiten des Internets“ schauen müsse. Viele webbasierte Angebote tragen zur gesellschaftlichen Kommunikation bei und erfüllen darüber hinaus die Anforderungen des Qualitätsjournalismus. Der Grimme Online Award solle als Medienpreis genau solchen Formaten die institutionelle Aufmerksamkeit schenken, die sie verdient haben und gleichzeitig als „digitales Gedächtnis der Qualitätsproduktionen“ dienen.
Als erster Preisträger in der Kategorie „Wissen und Bildung“ wurde das digitale Projekt „#StolenMemory“ ausgezeichnet. Preispate Schlecky Silberstein nannte es als bestes Beispiel für die attraktive und inspirierende Gestaltung von Bildungsinhalten. Im Graphic-Novel-Stil will die Website Neugier und Emotionen wecken, indem persönliche Effekten der Opfer der NS-Zeit präsentiert und die privaten Geschichten dahinter erzählt werden. Ziel des Projekts ist es, die Erinnerungsstücke an die Familien der Opfer zurückzugeben.
Eine Premiere beim #GOA21
Und dann gab es mit dem zweiten Preisträger der Kategorie eine Premiere in der Geschichte des Grimme Online Award, denn: Es wurde zum ersten Mal ein TikTok-Account ausgezeichnet. Dieser wird von Niklas Kolorz betrieben, der die App zur modernen Wissensvermittlung unter dem Motto „bleib‘ neugierig!“ nutzt und es versteht, komplexe Themen in maximal einer Minute für sein junges Publikum verständlich aufzubereiten. Für ein 60-Sekunden-Video brauche er als Ein-Mann-Show gut und gerne eine bis anderthalb Stunden. Die Idee kam Niklas beim ersten Lockdown, um einen kreativen Ausgleich zu schaffen. Heute präsentiert er seinen fast 450.000 Followern Wissenschaft verständlich, aber nicht vereinfacht. Oder, um es mit Schlecky Silbersteins Worten zu sagen: „Bei Niklas stolpert man über Substanz“.
Aufklärung zum Hören
Die Kategorie „Information“ wurde mit dem Podcast „190220 – Ein Jahr nach Hanau“ eingeläutet, welcher sich mit dem rechtsextremen Attentat am 19.02.2020 in Hanau und den Angehörigen und Überlebenden vor Ort beschäftigt. Preispatin Samira El Ouassil lobte den „feinfühligen, entschlossenen Podcast“, der ganz ohne Voyeurismus auskommt und bedankte sich bei den Beteiligten für eine „achtungsvolle und bewegende Arbeit“. Hinter dem Podcast stecken Sham Jaff und Alena Jaberine, die den Angehörigen der Opfer eine Plattform bieten wollen offene Frage zu stellen und die Tragödie nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Sie möchten Aufklärung und unbequeme Fragen auf den Tisch bringen und kritisieren den Fehler, der aus ihrer Sicht oft bei Berichterstattungen gemacht wird: Nicht aus der Betroffenenperspektive zu berichten.
Die Web-Dokumentation „Gegen uns“ wurde mit dem zweiten Preis in der Kategorie „Wissen und Bildung“ ausgezeichnet. Samira El Ouassil betonte die „handwerkliche und medienethische Aufrichtigkeit“ des Projekts, welches ungehörte Geschichten von Rassismuserfahrungen und Solidarität sichtbar machen will. Außerdem soll ein Umdenken in der Berichterstattung gefördert werden, denn häufig läge im Journalismus der Fokus auf den Tätern. Auch die Jury hat eine klare Meinung: „Gegen uns trifft mitten ins Herz“.
Der digitale Jahresrückblick
Als letzte Amtshandlung des Abends durfte Entertainer und LGBTI* Sonderbotschafter Riccardo Simonetti den Gewinner des Publikumspreises verkünden: Auch in dieser Kategorie durfte Niklas Kolorz einen Preis mit nach Hause nehmen und konnte es kaum fassen. Dies zeige, wie wichtig die Interaktion mit der Community ist und auch, dass Wissensformate auf sozialen Medien immer relevanter werden.
Damit endete ein gelungener Preisabend, der trotz physischer Distanz zeigte, was gesellschaftlich in diesem Jahr relevant war: Gemeinsamkeit, Zusammenhalt und das Füreinandereinstehen. Und natürlich gelungene Online-Angebote, auf die wir wie in keinem Jahr zuvor angewiesen waren – sei es zur Unterhaltung, Aufklärung, Wissensvermittlung oder Sichtbarkeit. Im nächsten Jahr wird der Grimme Online Award hoffentlich wieder mit Publikum und allen Nominierten vor Ort stattfinden können. Auch wenn man sich bis dahin noch ein wenig gedulden muss, war der #GOA21 ein Erfolg oder, wie Riccardo Simonetti es aus dem Harbour Club in Köln mit über 30 Grad Außentemperatur zusammenfasste, „ein inspirierender und transpirierender Abend“.
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