Wo wird hier Politik gemacht?
Wodka, Redbull und ein skandalöses Video. Das politische System in Österreich ist durch das Ibiza-Video in seinen Grundfesten erschüttert worden. Der im Video zu sehende Vizekanzler Heinz-Christian Strache tritt einen Tag nach der Veröffentlichung zurück. Viele Fragen bleiben aber offen. Fragen, denen Leila Al-Serorie und Vinzent-Vitus Leitgeb in ihrem Podcast „Going to Ibiza“ auf den Grund zu gehen. Der in einer Kooperation von der Süddeutschen Zeitung, dem Spiegel und FYEO produzierte Podcast führt die Hörer*innen mit Interviews, Originaltönen und Analysen in die aufregende Welt der Politik. Im Interview erklärt Vinzent-Vitus Leitgeb warum sich die Ibiza-Affäre von früheren Politikskandalen in Österreich unterscheidet und weshalb die Hintergründe des Skandals auch in Deutschland behandelt werden müssen.
„Going to Ibiza“ ist für den Grimme Online Award 2021 in der Kategorie Information nominiert.
Das Thema des Ibiza-Skandals ist medial sehr gut aufbereitet. Was hat dich dazu bewegt, den Podcast zu veröffentlichen und wen wolltest du insbesondere damit ansprechen?
Die Idee zum Podcast haben Leila Al-Serori und ich zu zweit entwickelt. Leila war selbst Teil des Ibiza-Aufdeckungsteams und hat an den ersten großen Berichterstattungen teilgenommen. Dabei sind uns besonders die unterschiedlichen Reaktionen, die es in Deutschland und in Österreich gab, aufgefallen. Wir als Österreicher*innen haben uns gedacht: Mal schauen, was nach dem Video wirklich passiert oder was rauskommen wird. Für viele in Österreich hat es sich auch ein bisschen bekannt angefühlt. Es war natürlich total einzigartig, einen Politiker mal in solchen Aufnahmen zu sehen. Allerdings hat man in Österreich ein bisschen Erfahrung mit Fällen, in denen Politiker sich nicht ganz astrein verhalten. Uns war es daher ein Anliegen, dieses Gefühl wiederzugeben und auch einem deutschen Publikum zu erklären, woher die Einstellung kommt. Was ist die Vorgeschichte zu diesem Video? Warum sind wir als Österreicher*innen vielleicht nicht so überrascht davon, dass so etwas überhaupt möglich ist? Wer sind all diese Kernpersonen, um die es da geht? Wie erklären wir, worum es ihnen möglicherweise geht und was daran interessant ist? Daher haben wir den Podcast auch ‘Going to Ibiza’ genannt. Es ging uns darum, sich diesem Video aus österreichischer Perspektive anzunähern. Wir wollten den großen Kontext einmal erklären.
Jeden deiner Interviewpartner hast du zuallererst gefragt, ob das Ibiza-Video Österreich den Spiegel vorgehalten hat. Wie würdest du diese Frage beantworten?
Um die ganze Antwort zu bekommen, muss man eigentlich den Podcast hören, da wir dort versuchen, sie ganz am Ende ausführlich zu erläutern. Aber ein bisschen habe ich sie auch schon angedeutet. Die erste Folge unserer Podcast-Serie endet mit einem Zitat des ehemaligen österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen, der nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos sagte: „So ist Österreich nicht, so sind wir nicht.“ Von Anfang an war da allerdings ein Gefühl bei Leila Al-Serori und mir, dass da schon irgendwie etwas dran ist. Es fühlt sich tatsächlich ein bisschen bekannt und gewohnt an, worüber in dem Video gesprochen wurde. Daher glauben wir in gewisser Weise schon, dass das Ibiza-Video Österreich den Spiegel vorgehalten hat. Dies zeigt sich auch heute noch. Es gibt einen Untersuchungsausschuss im österreichischen Parlament, der noch immer ermittelt und bei dem mehr Dinge zutage gefördert werden. Dabei geht es jetzt auch gar nicht mehr so konkret um das Video selber, sondern um viel mehr. Das Video war der Anstoß, um genauer auf bestimmte politische Prozesse und Postenbesetzungen zu schauen sowie auf die Art, wie eine Regierung arbeitet. Ich glaube auch, dass Österreich diese Untersuchung immer noch jeden Tag mitverfolgt.
Inwiefern bist du der Meinung, dass sich die Ibiza-Affäre von früheren Politikskandalen in Österreich unterscheidet?
Das ist ganz schwer auseinanderzuhalten. Wir haben daher mit einem Historiker für die Podcast-Serie gesprochen, um ihn ein bisschen einordnen zu lassen, wo er den Skandal sieht. Tatsächlich gibt es in Österreich unzählige Korruptionsaffären. Der Historiker hat allerdings noch einmal erklärt, warum ausgerechnet dieses Video eine so große Wirkung entfaltet hat und das fand ich eigentlich sehr schlüssig. Es ist eben genau der Fakt, dass es dieses Video gibt. Man ist wirklich dabei. Man ist auf dieser Villa auf Ibiza und kann selbst verfolgen, wie über Dinge gesprochen wird, die zweifelhaft und anrüchig sind. Man kann zuschauen, wie sich das Gespräch über mehrere Minuten entwickelt, und jeder ist wirklich ganz eng dabei. Aus anderen Affären, sagt eben dieser Historiker, gibt es einzelne Dokumente, Protokolle oder Briefe. Manchmal gibt es auch Verträge, die irgendwann öffentlich werden, wo man merkt, dass da etwas Zweifelhaftes passiert sein könnte, aber diese Unmittelbarkeit von diesem Video ist viel größer. Das Besondere ist letztlich auch, dass sich relativ schnell der Fokus verändert hat. Die Video-Aufnahmen wurden zu einem Anstoß, um noch viel genauer auf eine ganze Regierungskoalition zu schauen. Inzwischen ist der Skandal vielmehr ein Skandal der ÖVP, der Partei von Sebastian Kurz, und nicht mehr einer der FPÖ. Inzwischen wird auch ganz viel auf ihn und auf seine Partei geschaut. Es war einfach sehr interessant zu sehen, wie der Blick plötzlich immer und immer mehr ausgeweitet wurde und nicht mehr nur auf eine kleine Gruppe beschränkt war.
Hast du damit gerechnet, dass die Veröffentlichung des Ibiza-Videos die Reaktionen der Öffentlichkeit und die politischen Folgen auslöst, die danach tatsächlich folgten?
Dazu muss ich sagen, dass ich natürlich das Video nicht mit recherchiert und veröffentlicht habe. Das war das Team der Süddeutschen Zeitung gemeinsam mit dem Spiegel. Zum Team der SZ gehörten Bastian Obermayer, Frederik Obermaier, Peter Münch, Oliver Das Gupta und Leila Al-Serorie. Ich glaube, die haben sich wahrscheinlich im Team schon viel länger damit auseinandergesetzt, was das Video tatsächlich auslösen könnte. Dadurch, dass der Podcast bereits in Planung war, konnte ich einen Tag vorher drauf schauen und es mir ansehen, aber ich konnte die Reaktionen darauf nicht einschätzen. Man denkt sich als Österreicher, dass das jetzt irgendwie eine Regierungskrise auslösen könnte, aber vielleicht kommt Strache doch einfach wieder raus. Ich hatte am Tag der Veröffentlichung eigentlich ganz andere Pläne, aber letztlich habe ich den ganzen Tag am Küchentisch gesessen und österreichische Nachrichten geschaut, um zu sehen, wie die Reaktionen ausfallen.
Warum hältst du es für wichtig, dass die Hintergründe des Skandals auf einer deutschen Plattform behandelt werden?
Das ist eine sehr gute Frage. Wir glauben, dass gerade diese Prozesse, die sich im Hintergrund abspielen, total relevant sind – auch für andere politische Systeme. Wir haben an verschiedenen Stellen überlegt, ob wir es ganz deutlich machen sollen und z. B. einen Vergleich zu einer Situation im deutschen politischen System ziehen, die ähnlich war. Ich glaube, wir machen es jetzt tatsächlich nur an einer Stelle, wo wir ganz kurz im Podcast die AfD ansprechen, die von der FPÖ und von den populistischen Methoden der FPÖ gelernt hat. Wir glauben, dass man durch das Hören des Podcasts sehr viel darüber lernt, wie Politik eben auch funktionieren kann. Ich will jetzt kein zynisches Bild zeichnen und sagen, dass es immer wieder und überall so ist, dass Absprachen im Hintergrund getroffen werden, aber ich glaube, wenn man die Podcast-Serie hört und die Prozesse kennenlernt, wie Populismus funktioniert, wie Korruption passieren kann und wie Parteien zum Teil verändert werden durch einzelne Personen, die sehr viel Einfluss bekommen, dann kann man schon selbst ein paar Schlüsse ziehen. Man kann dann auch Vergleiche zu Deutschland ziehen und sich Gedanken darüber machen, wo man vielleicht ähnliche Prozesse in Deutschland sieht.
Du hast sehr viele positive Reaktionen zu deiner Podcast-Serie erhalten und noch eine Folge produziert, in der neue Entwicklungen in der österreichischen Politik und die Folgen des Ibiza-Videos erneut beleuchtet werden. Überlegst du, den Podcast weiterzuführen?
Man könnte eigentlich die ganze Zeit über Österreich podcasten. Der Untersuchungsausschuss läuft wie gesagt noch und die österreichischen Medien recherchieren tatsächlich sehr viel weiter, weshalb immer wieder etwas rauskommt. Für uns war es daher ein bisschen schwierig, weil man irgendwo einen Schlussstrich ziehen muss. Dementsprechend haben wir dann irgendwann einen Tag festgelegt und gesagt, was danach passiert, können wir leider nicht mehr aufgreifen. In dieser letzten Zusatzfolge, zum Beispiel, haben wir mit unserer Wien-Korrespondentin Cathrin Kahlweit gesprochen.
Theoretisch kann man natürlich immer weiter über diese Thematik berichten, allerdings denke ich, dass es für das deutsche Publikum ab jetzt zu sehr ins Detail gehen würde. Es gibt ab diesem Punkt ganz viele kleine Verzweigungen, die immer feiner werden. Man müsste hier sehr tief einsteigen, um sich damit auseinanderzusetzen.
Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang „Mehrsprachige Kommunikation“ an der TH Köln.
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