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Informationen, die jeder versteht

Screenshot "Corona Leichte Sprache" von Anke Leichtfuß
Screenshot "Corona Leichte Sprache" von Anke Leichtfuß
Screenshot „Corona Leichte Sprache“

Für etwa 10 Millionen Menschen in Deutschland sind offizielle Informationen zur Corona-Lage nur schwer verständlich. Hier setzen Anne Leichtfuß und ihr Team mit dem ehrenamtlich betriebenen Projekt „Corona Leichte Sprache“ an und bieten damit allen die Möglichkeit, sich über das Coronavirus und die Regelungen zu informieren. 
Corona Leichte Sprache ist in der Kategorie Information für den Grimme Online Award 2021 nominiert. Im Interview verraten Anne Leichtfuß und Paul Spitzeck, wie sie Texte in Leichter Sprache erstellen, wie groß die Nachfrage ist und welche Rückmeldung sie von der Zielgruppe erhalten.

Frau Leichtfuß, Sie schrieben bereits Ihre Bachelorarbeit über das Thema „Einfache Sprache im Netz – Kriterien für zielgruppengerechte Websites“. Woher rührt bei Ihnen das Interesse für diesen Themenbereich?

Anne Leichtfuß: Ich habe an der TH Köln Online-Redakteurin studiert und dort ein Blockseminar zu allen möglichen Formen von Barrierefreiheit gemacht. Irgendwie hat es bei der Leichten Sprache sofort gefunkt. Es lag mir. Ich hatte total Lust, damit zu arbeiten und so ist es passiert. Das war die Initialzündung.

Könnten Sie Ihr Angebot in ein paar Sätzen für die Blog-Leser beschreiben?

Anne Leichtfuß: Vor allem zu Beginn der Pandemie gab es fast gar kein Informationsmaterial über Corona in Leichter Sprache. Dabei ist die Zielgruppe total groß. Es gibt ungefähr 10 Millionen Menschen in Deutschland, die Leichte Sprache brauchen. Es gab gravierende Veränderungen im Alltag und man musste plötzlich ganz viel wissen: Welche Regeln gibt es? Wie funktioniert eigentlich ein Virus? Wie kann ich mich anstecken? Und alle diese Infos waren nicht in einer leichten, verständlichen Form zugänglich. Ich arbeite in vielen Zusammenhängen mit Menschen mit Down-Syndrom zusammen. Eigentlich konnten wir letztes Jahr im Februar nicht mehr inhaltlich zusammenarbeiten, weil die Kollegen und Kolleginnen total viele Fragen hatten und es nirgends Material gab, das diese Fragen beantwortete. Da war uns klar: Das geht noch ganz vielen anderen Menschen so. Daher haben wir uns ganz schnell zu einem Team zusammengefunden und wollten das ändern.

Ihr Hauptprojekt ist Leichte Sprache simultan. Wieso haben Sie sich dazu entschieden, Corona Leichte Sprache als separate Website zu gestalten, anstatt es als Unterpunkt dieser Hauptseite zu machen?

Anne Leichtfuß: Tatsächlich war das am Anfang so. Ich habe zusätzlich einen Promi-Klatsch-und-Tratsch-Blog in Leichter Sprache und der hat eine sehr stabile Leserschaft. Dadurch war klar, dass es eine große Schnittmenge mit der Zielgruppe gibt. Ganz zu Beginn haben wir die ersten Texte und Linklisten dort veröffentlicht und einfach gesammelt, was es schon an Material gibt. Aber dann wurde die Nachfrage immer größer und es wurde klar: Das wird uns noch eine ganze Weile begleiten. Deswegen haben wir es dann getrennt und eine eigene Website dazu aufgesetzt.

Es gibt zurzeit sehr viele Informationen zu Corona-Regelungen. Wie entscheiden Sie, was Sie in Leichter Sprache verfassen und was nicht?

Screenshot "Corona Leichte Sprache"
Screenshot „Corona Leichte Sprache“

Anne Leichtfuß: Zu Beginn brauchten wir erstmal ganz viele Basisinformationen; Informationen aus verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen. Ich denke, da ist mittlerweile eine gute Basis gelegt. Dazu hatten wir Glück, dass relativ schnell konkrete Rückfragen aus der Zielgruppe kamen. Die Leute haben die Kommentarfunktion genutzt oder uns E-Mails mit Fragen geschrieben. Also zum Beispiel: Ich habe einen Umzugstermin und er liegt im Lockdown. Wie funktioniert das? Darf ich das? Geht das? 
Wir übertragen auch alle Informationen aus den Pressekonferenzen der Bundesregierung in Leichte Sprache, weil dies von offizieller Seite immer noch nicht passiert. Das heißt, immer wenn Frau Merkel sich mit dem Corona Kabinett trifft, legen wir eine Nachtschicht ein. Allerdings schaffen wir es nicht alle neuen Regelungen auf Bundes- und Länderebene zu übersetzen und beschränken uns hier auf die Regelungen des Bundes. Zurzeit versuchen wir uns auf Texte zu konzentrieren, die einen ganz konkreten Einfluss auf das Leben der Leser und Leserinnen haben. Im Moment wird zum Beispiel sehr viel zur Impfung nachgefragt.

Wenn Sie jetzt sagen, Sie legen bei Pressekonferenzen z.B. auch Nachtschichten ein: Wie schnell schaffen es aktuelle Nachrichten dann bei Ihnen auf den Blog? 

Anne Leichtfuß: Meistens sind wir sehr, sehr schnell. Bei den letzten Pressekonferenzen der Bundesregierung waren die Infos am selben Tag auf der Seite.

Inwiefern beeinträchtigen die ständig wechselnden Regelungen denn die Arbeit als Team und inwiefern ist das auch für Sie frustrierend, wenn Sie Ihre Sachen fertiggestellt haben und kaum eine Woche später wieder alles umgeworfen wird?

Anne Leichtfuß: Bei den verschiedenen Texten zum AstraZeneca-Impfstoff war das so. Wir hatten unseren Text auf dem aktuellen Stand und dann wurde klar, dass der Impfstoff zunächst nicht mehr verwendet werden darf. Der Text wurde geprüft, wurde online gestellt, es gab eine Zeichnung dazu und dann war die Regelung schon wieder anders. Aber das ist so und das geht ja allen anderen Medien im Moment ganz genauso. Trotz allem versuchen wir uns sehr um Aktualität zu bemühen. Was allerdings anders ist: Durch diese Form der Nachrichten in Leichter Sprache merken wir immer wieder, wie verunsichert die Zielgruppe gerade ist. Es gibt so viele Nachrichten aus unterschiedlichen Quellen. Man weiß nicht genau, welche dieser Quellen verlässlich sind; es gibt verschiedene Positionen, die vehement vertreten werden. Uns war wichtig: Wir sind nur ein Informationsangebot. Wir sagen der Zielgruppe nicht, was sie machen soll oder wie sie sich verhalten soll. Das ist in vielen Texten in Leichter Sprache anders. Dort werden ganz klare Handlungsempfehlungen gegeben.

Woher wissen Sie, dass die Texte für Ihre Zielgruppe gut verständlich sind?

Anne Leichtfuß: Alle Inhalte auf unserer Seite sind durch die Zielgruppe selbst geprüft. Außerdem schauen wir: Passt das Bild zum Text und ist der Text gut verständlich? Gibt es alle Informationen, die ich an der Stelle brauche? 

Herr Spitzeck, Sie sind einer dieser Prüfer. Worin bestehen Ihre Aufgaben? Und fallen Ihnen diese immer leicht?

Paul Spitzeck: Wir treffen uns mit den anderen Prüfer*innen sehr viel über Zoom. Frau Leichtfuß zeigt uns den Text und die Bilder und wir gucken, ob sich das gut anhört. Bei Teilen, die man nicht verstehen kann, gucken wir auch, dass wir das in Leichte Sprache ändern.

Wie fühlt es sich an, anderen helfen zu können, die ein ähnliches Problem haben?

Paul Spitzeck: Es fühlt sich gut an, anderen helfen zu können, das Coronavirus zu verstehen, also was das ist und wie man sich weiterbilden kann. Dass man auch weiß, dass es eine Website in deiner Sprache gibt und man da reingucken kann.

Frau Leichtfuß, Sie hatten ja schon angesprochen, dass von der Bundesregierung leider immer noch nichts bezüglich der Corona-Regelungen in Leichter Sprache veröffentlicht wird. Würden Sie sich wünschen, dass sich das ändert und warum glauben Sie, dass es noch nicht passiert ist?

Screenshot "Corona Leichte Sprache"
Screenshot „Corona Leichte Sprache“

Anne Leichtfuß: Also es stimmt nicht, dass es inzwischen gar keine Infos mehr seitens der Bundesregierung in Leichter Sprache gibt. Es gibt mittlerweile schon welche, aber eben keine (tages-)aktuellen Infos. Es gibt beispielsweise keine Informationen zu der Corona-Notbremse. Es gibt allgemeine Infos von der Bundesregierung zum Thema Infektionsschutz: Was ist ein Virus? Wie muss ich mich jetzt verhalten?

 Also die Regierung arbeitet daran, aber ist einfach zu langsam, um der Aktualität der ganzen Corona Situation gerecht zu werden?

Anne Leichtfuß: Ja, das stimmt. Aber ein Grund, warum das bisher noch nicht passiert, hat damit zu tun, dass die eigentliche Problematik ganz häufig nicht erkannt wird: Welchen Bedarf an Barrierefreiheit hat diese Zielgruppe? Das lässt sich natürlich leichter verstehen, wenn man eine Person im Rollstuhl sieht. Dann ist ganz klar: Die Person braucht eine Rampe, um in das Gebäude zukommen. Auch bei einer gehörlosen oder blinden Person kann man sich ziemlich einfach vorstellen, was diese Person braucht, um barrierefrei teilhaben zu können. Aber der Bedarf innerhalb der Zielgruppe von Leichter Sprache ist ganz unterschiedlich. Das sind Menschen mit Lernschwierigkeiten, mit geringen Deutschkenntnissen oder mit einer schlechten Lesefähigkeit. Es ist eine breite Zielgruppe, in der nicht so schnell klar ist, was man machen kann, damit diese Zielgruppe Informationen barrierefrei bekommt. Dazu kommt, dass viele meiner Leser und Leserinnen auch einfach wahnsinnig nett sind und vielleicht einmal höflich fragen, ob es diese Info vielleicht auch in Leichter Sprache gibt. Und wenn die Antwort dann „Nein“ ist, passiert nichts weiter. Als Frau Merkel beispielsweise zu Beginn der Pandemie bei den Pressekonferenzen nicht in Gebärdensprache gedolmetscht wurde, gab es einen großen Aufschrei. Total zu Recht. Seitdem gibt es Gebärdensprachdolmetscher*innen bei den offiziellen Pressekonferenzen. Unsere Zielgruppe geht jedoch nicht auf die Barrikaden und sagt: Wir brauchen das jetzt. Dadurch findet medial auch relativ wenig zu dem Thema statt.

Sie hatten erwähnt, Ihre Zielgruppe umfasst ungefähr 10 Millionen Menschen in Deutschland. Welche Rückmeldung erhalten Sie von diesen zu dem Projekt?

Anne Leichtfuß: Wir bekommen wahnsinnig viel Rückmeldung. Es ist schon so, dass sich auch bei uns in den Kommentaren auf der Website all das entlädt, was sich auch an anderen Orten zum Thema Corona entlädt. Aber was wir vor allem durch die Rückmeldungen und Kommentare wahrnehmen, ist, dass die Seite ganz breit genutzt wird und als sehr vertrauenswürdig wahrgenommen wird. Und was uns sehr begeistert, ist, dass viele direkte Wünsche zu Themen kommen. Das ist toll, weil wir uns daran natürlich eins zu eins orientieren können.

Inwiefern ist Ihre Website denn über Leichte Sprache hinaus barrierefrei?

Anne Leichtfuß: Wir bieten natürlich zu allen Abbildungen Alt-Text an. Die Bildinformation ist auf den Blindenlesegeräten auslesbar. Zudem gibt es immer wieder Angebote für Menschen, die nicht lesen können. Wir machen in unregelmäßigen Abständen eine Corona-Fragestunde über Zoom, wo Leute sich einwählen können und direkt Fragen stellen können. Wir haben ein Angebot, dass man in Situationen einer Corona-Testung, einer Impfung oder beim Arzt eine Dolmetschung bekommen kann. Denn bisher sind ganz viele Menschen aus unserer Zielgruppe mit Assistenz zum Arzt gegangen, was jetzt häufig nicht mehr möglich ist. Das sind Situationen, die für viele Menschen aus der Zielgruppe neu und herausfordernd sind. Hier versuchen wir, ein möglichst breites Angebot zu schaffen, damit es gut funktioniert.
Was auch total zur Verständlichkeit der Seite beiträgt, sind die Illustrationen unserer beiden Zeichnerinnen. Denn ganz oft sind die Inhalte, die ich verstehen muss, total komplex, zum Beispiel: Wie funktioniert das Immunsystem? Da ist es hilfreich, wenn man Illustrationen hat, die Schritt für Schritt die Abläufe im Körper erklären, die man von außen nicht sieht. Wir merken auch in den Prüfsituationen, dass die Kombination aus Text und Bild gut funktioniert und viel zur Verständlichkeit beiträgt.

Anne Leichtfuß: Paul, gibt es noch etwas, das du wichtig findest, was noch gesagt werden muss?

Paul Spitzeck: Dass alle die Regeln beachten, mit Abstand, Hygiene und Alltagsmasken. Und bleibt alle gesund.

Das Interview führten Cedric Trilling und Alexandra Günther.
Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang “Mehrsprachige Kommunikation” an der TH Köln.

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