Zerstörung und Verantwortung
Im Mai 2019 richtete das Video „Die Zerstörung der CDU“ die Aufmerksamkeit der deutschen Politik auf YouTube und seine Relevanz für Jugendliche und junge Wähler und dass diese Relevanz über Unterhaltung und Zeitvertreib weit hinausgeht. Das Video wurde inzwischen mehr als 17 Millionen Mal aufgerufen. Der YouTuber Rezo kritisierte dort die Politik von CDU, CSU, SPD und AfD, inklusive 13-seitigem Quellenverzeichnis, und führte politische Themen und Kenntnisse zur Quellenrecherche an eine junge Zielgruppe heran. Gleichzeitig löste er eine intensive Debatte in politischen sowie journalistischen Kreisen aus.
„Die Zerstörung der CDU“ ist für den Grimme Online Award 2020 in der Kategorie „Spezial“ nominiert. Im Interview erzählt Rezo, warum ein Quellennachweis für ihn keine Frage ist und wie sich sein Selbstbild durch die Veröffentlichung und die Reaktionen auf das Video verändert hat:
Wie ist die Idee zu dem Video „Die Zerstörung der CDU“ entstanden?
Die Idee zum Video ist entstanden, weil ich die Monate davor erst einmal damit herumexperimentiert habe solche längeren und sehr argumentativ-lastigen Sachen zu machen. Das funktionierte auch verhältnismäßig gut. Also dachte ich, okay, das möchte ich weiterhin tun und habe darüber nachgedacht, mit welchem Thema ich das machen könnte. Mir ist dann relativ schnell dieses Thema in den Kopf geschossen.
Machen Sie so etwas allein, oder holen Sie sich Rat bei anderen?
Natürlich hole ich mir Rat, aber immer erst, nachdem ich beschlossen habe, was ich machen will. Es gibt ein paar Leute, auf deren Meinung ich wirklich sehr viel Wert lege. Ich frage nicht vorher, soll ich das machen, sondern nachher, kannst du vielleicht drüber gucken? Habe ich irgendwie total den Fail hier? Kannst du noch mal drüber lesen?
Wie lange hat “Die Zerstörung der CDU” insgesamt von der Idee bis zur Veröffentlichung gebraucht?
Nachdem ich die Idee hatte, habe ich zunächst grob Material gesammelt. Das waren damals nicht 40 Stunden in der Woche, sondern eher fünf bis zehn Stunden. So habe ich über ein paar Wochen einen Grundstamm an Themen und an Quellen vor- und aufbereitet. Danach konnte ich auswählen, auf welche Themen ich überhaupt eingehen möchte. Es hätte ja noch viel mehr Themen gegeben. Als mir schließlich relativ klar war, welche Themen und Hauptpunkte ich ansprechen will und der rote Faden in etwa stand, haben wir – mit wir meine ich meinen Cutter TJ und mich – in etwa zwei Wochen praktisch kaum etwas anderes gemacht, als das Video zu produzieren.
Wie kam die Idee zustande, auch ein Dokument mit Quellen dazu hochzuladen?
Das war für mich nicht mal eine Frage. Ich finde einfach, wenn man etwas sagt, dann sollte man einen Beleg dafür liefern. So etwas wichtig zu finden ist einfach mein grundsätzlicher Vibe. Vielleicht liegt das auch daran, dass meine letzte große Arbeit davor meine Masterarbeit war und ich es dadurch so kannte und für richtig empfunden habe. Nachdem ich meinen Master abgeschlossen habe, habe ich auch keine journalistischen Texte veröffentlicht, in denen es eher unüblich ist, dass man die ganzen Quellen zeigt. Ich habe mir einfach gedacht, ja okay, ich muss das mit Quellen machen. Bei den anderen argumentativen Sachen, die ich in den Monaten davor gemacht habe, habe ich natürlich auch mit Quellen gearbeitet.
Ich glaube auch, dass das eine Sache ist, die in der heutigen Zeit viel wichtiger ist als vielleicht noch vor zehn oder zwanzig Jahren, weil heutzutage einfach jeder alles sagen kann und für alles kann man irgendwie eine Quelle finden. Hierdurch ist die Transparenz für den Zuschauer, das heißt, dass dieser nachvollziehen kann, woher eine Information stammt und wie sie dann ganz exakt aussieht, heutzutage noch relevanter ist.
Welche Verantwortung haben YouTuber mit großer Reichweite bei der Meinungsbildung ihrer Zuschauer?
Dieselbe Verantwortung, die man mit jeder anderen Plattform oder in jedem anderen Medium mit großer Reichweite hat. Wenn man eine große Reichweite hat, kann man Leute beeinflussen, egal, ob man eine Zeitung, eine Fernsehshow oder ein reichweitenstarker Blog, Instagram-Channel oder ähnliches ist. Wenn man Leute beeinflussen kann, hat man natürlich eine klare Verantwortung und dazu gehört insbesondere die Transparenz und insbesondere die Transparenz in der Haltung die eigene Meinung betreffend. Wenn ich etwas darstelle und nicht sage, wie ich dazu stehe, dann könnte ich den Zuschauer austricksen. Dann könnte ich ja eigentlich eine feste Meinung haben, aber so tun, als hätte ich keine Meinung. Ich finde es wichtig, dass man sagt, ich bin offen und meine Haltung dazu ist so, aber ich möchte dir auch die Fakten nennen, wie ich zu dieser Haltung komme. Ebenso ist die Transparenz in den Quellen wichtig.
Man sollte ganz klar sagen, das ist meine Meinung und so lege ich das aus, die Information habe ich daher und das habe ich alles auch aufbereitet, so dass ihr das auch sehen könnt. Ein offener, klarer und ehrlicher Umgang ist einer der Kernaspekte dieser Verantwortung, die aber auch jede Zeitung, jede Fernsehshow und jede andere reichweitenstarke Instanz hat.
Wie denken Sie über die Forderung, dass es Regeln zur ‚politischen Meinungsmache‘ im Internet geben sollte?
Das bezieht sich auf die Aussage von AKK? Mit tut AKK in der Hinsicht eher ein bisschen leid, weil sie etwas gesagt hat, was nicht smart war. Das passiert uns allen. Wir sagen alle mal Sachen, die nicht so clever sind. Sie hat es außerdem nur einmal gesagt und dieses Thema nicht über viele Wochen versucht zu pushen oder versucht darauf zu pochen, dass da etwas kommen muss. Es war ein Ausrutscher und der Backlash war so groß für sie, dass ich da jetzt nicht noch etwas Kritisches zu sagen möchte. AKK hat offensichtlich sehr schnell eingesehen, dass das nicht so smart ausgedrückt war. Damit hat sich die Sache.
Wie denken Sie über die Debatte, die diesbezüglich entstanden ist?
Zum einen waren sich die meisten relativ einig, dass das, was ich gemacht habe, nicht etwas war, das ich nicht hätte machen dürfen, genauso wie jede Zeitung das in diesem Rahmen darf. Ich hätte höchstens noch „Meinungsbeitrag“ obendrüber schreiben können. Es ist auch gerade bei deutschen Zeitungen überhaupt nicht unüblich, sehr meinungsstark zu sein. Daher ist das auch nichts, was völlig neu ist.
Hat sich Ihr Selbstbild nach dem Video und der entstandenen Debatte verändert?
Ja, auf jeden Fall. Mein Selbstbild hat sich insofern verändert, dass sich meine Rolle zum Teil verändert hat. Ich bin jetzt kein neuer Mensch, ich bin der gleiche Mensch wie vor einem Jahr, aber ich habe eine Verantwortung bekommen, die ich vor anderthalb Jahren noch nicht hatte. Ich bin eine Art Sprachrohr für eine bestimmte Gruppe von Menschen geworden. Das kann man gut oder schlecht finden. Ich fand es am Anfang auch eher schlecht als gut, denn eine Verantwortung möchte man im ersten Augenblick erst mal nicht haben, da das auch Stress bedeutet. Aber ich bin dann relativ schnell zum Punkt gekommen, dass das jetzt nun einmal so ist. Ich muss mich damit abfinden und mache das Beste draus. Daher ist das, was sich in meinem Selbstbild auf jeden Fall verändert hat, mein Verantwortungsbewusstsein, auch mir gegenüber.
Kann man bei den nächsten großen Wahlen mit einem ähnlichen Video von Ihnen rechnen?
Ich weiß es noch nicht, aber es wäre schon geil, oder? Es ist jetzt nicht so, als hätte ich das fest geplant. Ich habe ein paar Themen in der Hinterhand, die ich gerne rausbringen würde. Es gibt sogar ein Video, das ich schon rausbringen wollte, aber nicht rausgebracht habe, weil sich die Umstände im öffentlichen Diskurs so verändert haben, dass ich Menschen mit dem Video in die Karten gespielt hätte, in deren Karten ich nicht spielen wollen würde. Da sehe ich natürlich auch wieder meine Verantwortung. Ich könnte es jetzt raushauen. Aber es hätte einfach nicht nur die positiven Auswirkungen, die ich anstrebe, sondern auch eine, die nicht so schön ist. Ich habe an dem Video vier Monate lang gearbeitet, es war fertig und dann habe ich es doch nicht veröffentlicht, sondern als Basis für ein neues Video genommen. Das war echt ärgerlich, aber die richtige Entscheidung.
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