Philosophischer Spaziergang
Wer in der Umgebung ist verdächtig? Wie ist die Schufa-Einschätzung hier? Bei dem interaktiven und standortbasierten Hörspiel „Social Score“ unternimmt man als Betatester*in für die Einführung eines Social Scoring Systems einen Spaziergang mit der fiktiven Künstlichen Intelligenz AVA. Das browserbasierte Hörerlebnis fragt an die Umgebung angepasst nach herumliegendem Müll oder zu schnell fahrenden Autos und regt dadurch dazu an, sich mit dem Thema Überwachung zu beschäftigen.
„Social Score“ ist für den Grimme Online Award 2020 in der Kategorie „Spezial“ nominiert. Im Interview erzählt Vinzenz Aubry (von sansho studio) von der Herausforderung eine Technologie für dynamisches Audio von Grund auf zu entwickeln und welche Chancen der „philosophische Spaziergang“ für die Sensibilisierung zum Thema Social Scoring birgt.
Was hat Sie persönlich dazu bewegt „Social Score“ zu entwickeln?
Meine Kollegen Fabian Burghardt, Sebastian Strobel und ich vom Design-Studio Sansho haben uns schon länger überlegt, dass wir gerne etwas mit dynamischem Audio machen wollten. Es gab eine Ausschreibung für eine Förderung vom MIZ Babelsberg für Innovationen in der Medienbranche, bei der wir uns angemeldet und die wir als Chance genutzt haben. Wir sind dann zweigleisig gefahren: zum einen haben wir die Technologie entwickelt, aber die dann ohne Beispiel zu verkaufen, ist immer relativ schwierig, deshalb haben wir gleich noch ein Beispiel mitproduziert.
Thematisch hat es sich einfach angeboten: dynamisches Audio heißt, die Nutzer*innen werden, man könnte sagen, im Hintergrund beobachtet. Letztendlich ist das Ziel, die Hörer*innen zum Thema Social Scoring zu sensibilisieren. In China haben wir das Negativbeispiel vor Augen, das sehr stark polarisiert. Wir wollten das Thema mit einem Schritt zurück behandeln. Früher oder später werden wir auch hier in Europa mit Social Scoring stärker konfrontiert sein. Wie geht man dann damit um? Das Stück soll dazu beitragen, uns selbst vorzubereiten, die richtigen Entscheidungen zu treffen, sodass es eben ein positives Mittel wird, um die Gesellschaft zu verbessern und nicht wie in China negative Auswirkungen hat.
Wie viel Vorarbeit steckt in dem Hörerlebnis?
Wir haben insgesamt neun Monate daran gearbeitet, es war ein großer Aufwand von Null zu starten. Man muss viel testen und experimentieren, wir haben beispielsweise auch überlegt Spracherkennung mit aufzunehmen, uns dann aber dagegen entschieden. Die Technologie hat sich auch parallel immer weiterentwickelt, je nachdem, was wir gerade gebraucht haben. Zeitgleich haben wir einen guten Freund und Autor, Ralph Tharayil, dazu genommen, der uns geholfen hat, das Konzept für die Geschichte zu entwickeln.
Welche Zielgruppe wollen Sie erreichen?
„Social Score“ ist prinzipiell für alle Menschen gedacht, die sich für die Gesellschaft interessieren, mal etwas Neues ausprobieren wollen und einen Blick in die Zukunft von Audioerlebnissen werfen wollen. Ich nenne „Social Score“ immer einen „philosophischen Spaziergang“, bei dem man seine Umgebung neu entdecken kann. Man denkt ja eigentlich, man kennt seinen Weg zur Schule, zur Arbeit etc., aber wenn man sich mal Zeit nimmt und jemanden im Ohr hat, der einen auf Dinge aufmerksam macht, dann ist für jeden eine große Chance dabei, seine Umgebung neu zu entdecken.
Welche Pläne gibt es für die Zukunft für das Projekt?
Die Förderung an sich ist abgeschlossen und das Projekt ist gelauncht, allerdings zurzeit nur in Deutschland. Wir würden das extrem gerne einem internationalen Publikum zugänglich machen, gerne auch mit einem Partner. Das Schöne an dem Hörspiel ist ja, dass wir das über eine künstliche Stimme generieren lassen. Das heißt, theoretisch kann man es auch jetzt schon in anderen Ländern spielen. Aber man müsste es trotzdem ein bisschen umschreiben, dass es nicht so übersetzt klingt und der jeweiligen Sprache entsprechend geschrieben ist. Da muss die ein oder andere Datenbank übersetzt bzw. neu aufgebaut werden.
Die andere Richtung, die wir verfolgen, ist, die Nutzbarkeit dieser Technologie für andere Leute in der Medienbranche zu ermöglichen. Wir glauben eben nicht nur an dieses Hörspiel, sondern auch an die Technologie und das Konzept dahinter: dass es keine lineare Erzählung ist, die für jeden gleich ist, sondern man sich an einer Geschichte entlanghangelt, die für jede Zuhörer*in personalisiert erzählt wird.
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