Kunst-Podcast und Podcast-Kunst
Seit es 1990 für 82,5 Millionen Dollar versteigert wurde, ist das letzte Portrait von Vincent van Gogh aus den Augen der Öffentlichkeit verschwunden. In der fünfteiligen Podcast-Serie „Finding van Gogh“ machen sich Johannes Nichelmann und Jakob Schmidt für das Städel Museum auf die Suche nach dem Meisterwerk „Bildnis des Dr. Gachet“ und seiner bewegten Geschichte. Als Zuhörer*in erhält man seltene Einblicke in den internationalen Kunstmarkt, die Arbeit in einem Museum und die Welt der Kunst.
„Finding van Gogh“ ist für den Grimme Online Award 2020 in der Kategorie „Kultur und Unterhaltung“ nominiert. Sarah Omar vom Städel Museum und der Journalist Jakob Schmidt erzählen in unserem Interview, wie visuelle Kunst und Podcast sowie Museum und Journalismus zusammenfinden.
Wie kam es dazu, dass sie dem Verschwinden des „Bildnis des Dr. Gachet“ in einem Podcast nachgehen wollten?
Sarah Omar: Der Anlass war tatsächlich ein ziemlich analoges Ereignis, nämlich eine große Ausstellung, die im Februar zu Ende gegangen ist. Normalerweise entstehen unsere Ausstellungen immer ausgehend von einem Werk aus unserer Sammlung. In diesem Falle war der Ausgangspunkt aber ein Werk, das nicht mehr in unserer Sammlung ist: Das „Bildnis des Dr. Gachet“ ist das letzte Gemälde von Vincent van Gogh und hat sich ein Vierteljahrhundert in unserer Sammlung befunden, wurde aber 1937 von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und hat danach noch eine weitere, sehr bewegte Geschichte erlebt. Von diesem Werk haben wir im Museum aber noch einen leeren Bilderrahmen, der in der Ausstellung zu sehen war. Seit 30 Jahren ist es aus den Augen der Öffentlichkeit verschwunden. Wir haben versucht, oder besser gesagt die Kuratoren unseres Museums haben versucht, das Gemälde für die Ausstellung zu bekommen. Das ist uns nicht gelungen. Aber wir wollten die Geschichte von diesem Gemälde nicht als Lücke erzählen, also als etwas, das nicht da ist, sondern das Ganze mit Leben füllen und anhand von diesem Gemälde über Kunstgeschichte, über die Kulturpolitik der Nationalsozialisten und über den Kunstmarkt als Ganzes erzählen, denn es lassen sich jede Menge Themen an diesem Gemälde aufhängen.
Jakob Schmidt: Das Spannende für uns, also Johannes Nichelmann und mich, die wir als freie Journalisten, Produzenten und Autoren dazukamen, war, dass wir aus einer anderen Perspektive auf das Gemälde sehen. Wir beide sind keine studierten Kunsthistoriker, sondern Journalisten und Filmemacher und fanden es wahnsinnig spannend, von außen auf diese Welt, das heißt den internationalen Kunstmarkt und Kunst im Allgemeinen, drauf zu schauen. Das unglaublich Spannende und Herausfordernde war die Idee, dass man mit einem scheinbaren Widerspruch umgeht. Doch es ist eben nur ein scheinbarer Widerspruch, dass man diese visuellste aller Welten, also ein Museum für Gemälde, wo es um Farbe und visuelle Eindrücke geht, mit einem scheinbar ganz gegensätzlichen Medium wie dem Podcast, versucht in allen Dimensionen zu fassen. Wir haben in dieser Serie, die aus fünf Teilen besteht, eine Zeitreise unternommen bis hin zur Entstehung. Wir haben aber auch über die Wahrnehmung von Kunst gesprochen und das Kunstwerk, um das es geht, beschrieben und versucht fassbar zu machen. Wir haben versucht, Sinneseindrücke auf ein anderes Medium zu übertragen.
Sarah Omar: Wir sind nicht das erste Museum, das einen Podcast macht. Es gibt schon seit vielen Jahren Gesprächs- und Interview-Podcasts. Aber wir wollten unbedingt einen erzählerischen Podcast machen, weil Kunstgeschichte auch Geschichte ist und daher auch Biografien und Gesellschaftsgeschichte vermittelt. Doch das tut es nicht nur in dem Moment, in dem das Kunstwerk entsteht. Diese Geschichte wird einfach fortgeschrieben. Es war uns wichtig, einen Podcast zu machen, den es in dieser Form, zumindest in Deutschland, in einem Museum einfach noch nicht gibt.
Wie war die Rollenverteilung bei ihnen? Wer hat was eingebracht?
Sarah Omar: Dieser ganze Arbeitsprozess zog sich über ein sehr knackiges Jahr und wir haben den Aufschlag gemacht. Ungefähr ein Jahr vor Launch haben wir Johannes Nichelmann und Jakob Schmidt als Partner dazugeholt. Das Konzept und die ganze Strategie standen. Im September 2018 haben wir uns in die Recherche geworfen und alle viel gelesen. Von unserer Seite aus hat vor allem Anna Huber, die auch im Podcast zu Wort kommt, beziehungsweise sie und die Wissenschaftler im Haus, sehr viel zu der Geschichte geforscht. Dann war es im Prinzip ein sehr enger Schlagabtausch, eine sehr symbiotische Zusammenarbeit zwischen Johannes Nichelmann, Jakob Schmidt und uns. Die beiden haben die Outline geschrieben und danach haben wir monatelang miteinander telefoniert und uns getroffen. Wir haben zu Beginn allein mit 50 Protagonisten gesprochen und dann sind die beiden viel gereist und haben am Ende tatsächlich 25 Interviews geführt. Es war das Beste aus beiden Welten, das heißt aus dem Journalismus und dem, was an Wissen in unserem Museum steckt.
Jakob Schmidt: Das war in der Tat eine sehr gute Zusammenstellung, denn es gibt, auch wenn wir journalistisch unterwegs sind, immer Sachen, die man ausbalancieren muss. Wir Journalisten sind natürlich versucht, eine Geschichte zu erzählen und irgendwie Spannung reinzubringen. Es ging auch darum, dass das für eine Zielgruppe funktioniert, die vielleicht in Kunstgeschichte und Kunst nicht unbedingt so ganz bewandert ist. Wir haben versucht, diese Welt für Gruppen von Menschen zu öffnen. Gleichzeitig muss man aber natürlich präzise sein. Wir beschäftigen uns im Podcast zum Beispiel mit Abschnitten, die im Dritten Reich verortet sind, wo es um die Geschichte der Aktion „Entartete Kunst“ geht. Da ist es natürlich das Beste, was einem passieren kann, wenn man mit Expert*innen wie aus dem Städel Museum arbeiten kann, die auf ihrem Gebiet absolute Koryphäen sind und sich besser damit auskennen als jeder andere.
Sarah Omar: Was als Podcast gestartet ist, ist Teil eines Forschungsprojekts geworden, vor allem im Bereich Provenienzforschung. Die Ergebnisse sind in den Podcast mit eingeflossen. Wir hatten natürlich auch dadurch, dass wir als Museum gewisse Kontakte haben, Zugang zu Menschen, die vielleicht Journalisten eigentlich kein Interview gegeben hätten, wie Christopher Burge, der damals das Bild als teuerstes aller Zeiten versteigert hat. Umgekehrt waren Johannes und Jakob natürlich auch in der Lage Leute anzusprechen, die wir vielleicht nicht erreicht hätten.
War es beabsichtigt, dass der Podcast ein wenig wie ein True Crime Podcast wirkt?
Sarah Omar: Es steckt natürlich mehr dahinter als ein True Crime Podcast. Aber das Spannungspotential ist natürlich ein Punkt, der den Podcast für die Hörer*innen, die sich vielleicht nicht per se für Kunst interessieren, ansprechend macht.
Jakob Schmidt: Wir hatten auch einfach Glück bei dieser Geschichte oder bei den Geschichten, die im Zusammenhang mit der des Gemäldes stehen. Das alles zu erzählen war für mich und Johannes schon so spannend, dass eigentlich das passiert ist, was möglicherweise auch passiert, wenn man „Finding van Gogh“ hört: Manchmal gerät die Frage nach dem „Wo“ in den Hintergrund, weil das, was wir erzählen, angefangen bei der tragischen Entstehungsgeschichte, der Geschichte des Gemäldes im Dritten Reich und der Reise durch die Jahrhunderte für uns so erzählenswert und so spannend war, dass wir das auch nicht immer über die Suche verkaufen mussten.
Was war für sie der beeindruckendste Moment während ihrer Recherche?
Jakob Schmidt: Man trifft überall so spannende Leute, die alle eine ganz besondere Beziehung, auch emotional, zur Kunst oder aber eben auch spezifisch zu diesem Gemälde haben. Angefangen bei der Autorin Cynthia Saltzman, die mit ganz intensiver Recherche ein großes und wichtiges Buch nur diesem Gemälde gewidmet hat. Wir haben Leute getroffen, wie Dominique-Charles Janssens in Auvers-sur-Oise, wo Vincent van Gogh die letzten Monate seines Lebens verbracht hat, der dem Wiederaufbau der Unterkunft, in der Vincent van Gogh seine letzte Lebenszeit verbracht hat, gerade sein Leben widmet. Wir haben Christopher Burge getroffen, der erzählt hat, was das für ein Ereignis gewesen ist, die Auktion des Gemäldes durchzuführen. Er konnte immer noch davon erzählen, als wäre das gestern passiert.
Sarah Omar: Ich habe unseren gesamten Chatverlauf am Ende gelesen. Man hat die Freude rausgelesen, aber auch diese Spannung, wenn man eine Person als Gesprächspartner bekommen hat, bei der man wirklich drei Monate nachdrücklich angeklopft hat, bis sie dann zugestimmt hat. Es waren einfach die Momente, in denen man einen Schritt weitergekommen ist. Ich habe durch diese Arbeit auch das Städel Museum und die Geschichte Frankfurts noch einmal besser kennengelernt, weil man auch mit vielen älteren Menschen gesprochen hat, die manchmal das Gemälde sogar noch zu Gesicht bekommen haben.
Wozu könnten Sie sich andere Podcasts im Rahmen der Museumsarbeit vorstellen? Sind schon welche geplant?
Sarah Omar: Das Audioformat ist auf jeden Fall kommunikativ und vermittelnd spannend für uns. Die Rückmeldungen bestärken uns auch darin, damit weiterzumachen. Wir denken weiter über Podcasts nach und auch über solche narrativen Serien. Aber wir denken auch in anderen Formaten. Das „Städel Mixtape“ ist etwa eine Kooperation mit ByteFM, einem Hamburger Web-Radiosender. Da dreht sich eine Sendung eine Stunde lang um ein Werk aus der Sammlung und das Werk bekommt sogar einen Soundtrack.
Können Sie sich vorstellen, dass dies eine Art der digitalen Museumsarbeit der Zukunft ist?
Sarah Omar: Der Podcast ist ein digitales Vermittlungsangebot, also ja. Eine Frage, mit der wir uns viel beschäftigen, ist, wie vermittelt man auch die gesellschaftliche Relevanz von Kunst. Dafür ist der Podcast natürlich ein geeignetes Format, denn man kann tiefgründig und vielstimmig erzählen. Bei “Finding van Gogh” sind wir als Städel Museum ja nur ein Protagonist von vielen. Das ist schon ein Weg, den wir weiter beschreiten wollen. Bei dieser Podcast-Serie haben wir tatsächlich auch alle Altersstufen, von den 20- bis zu den 80-jährigen Hörer*innen zu relativ gleichen Anteilen erreicht und haben teils sehr persönliche und ausführliche Rückmeldungen bekommen. „Finding van Gogh“ sind einfach insgesamt drei Stunden Geschichte und diese Zeit der Kunstgeschichte zu widmen oder uns als Museum ist schon ein commitment. Wir wollen in Zukunft auch weiter Geschichten erzählen, die die Zuhörer*innen packen und gleichzeitig Kunst vermitteln.
„Finding van Gogh“ ist nicht unser erstes digitales Projekt. Wir haben jetzt gerade – ausgerechnet zur Museumsschließung wegen Corona – fünf Jahre digitale Erweiterung gefeiert. Die Strategie damals war und ist es auch heute noch, dass wir keinen Museumsbesuch ersetzen wollen. Wir wollen mit den digitalen Angeboten das Wissen vertiefen und mit Kontext anreichern. Wir wollen den Besucher*innen die Möglichkeit geben, sich vorzubereiten oder hinterher tiefer einzusteigen. Bei „Finding van Gogh“ hat das sehr gut funktioniert.
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