Familie auf Abstand: Das war der digitale #GOA20
Ein Gastbeitrag von Rabea Gruber
Am Ende standen sie hübsch aufgereiht nebeneinander: Neun nagelneue Grimme-Online-Award-Trophäen hielt Moderator Michel Abdollahi in die Kamera. Die Schätze werde man nun per Post versenden, sagte er, und köpfte ein Bier auf die Preisträger*innen des Abends. Allein. Damit schloss der Livestream, und die erste virtuelle Preisverleihung des Grimme Online Award war vorbei – nicht ganz natürlich, denn auf virtuelle Preisvergabe folgte noch die virtuelle Aftershowparty. Über Zoom, wie es sich in diesen Zeiten eben gehört. Aber der Reihe nach.
Jubiläums-#GOA mit besonderem Konzept
2001 wurde der #GOA zum ersten Mal vergeben, und damit feiert der Preis in diesem Jahr seine 20. Ausgabe. Viel hat sich seit den Anfängen getan (so wurden etwa die anfänglichen drei Preiskategorien, die sich hauptsächlich ums Bewegtbild drehen, deutlich ausdifferenziert und auf inhaltliche Aspekte hin ausgelegt); aber dass der #GOA selbst einmal zum Webangebot werden würde, hatte wohl niemand geahnt. Dann kam die Coronavirus-Pandemie.
Im Kölner Harbour Club standen also am Donnerstagabend die Stühle des Moderators Abdollahi und der Preispat*innen so weit voneinander entfernt, dass man gerade noch gemeinsam anstoßen konnte. Statt der geplanten 280 Gäste waren diesmal nur die Kameras mit im Saal. Dafür sahen mehrere hundert #GOA20-Zuschauer*innen zuhause dem Stream zu. Und auch die 28 Nominierten, von der Fachjury aus über 1.000 Einreichungen ausgewählt, wurden per Videokonferenz zugeschaltet. Nun ist der #GOA ja schon lange für seine familiäre, gemeinschaftliche Atmosphäre bekannt; aber die Nominierten an ihren Schreibtischen zu sehen, in den Schlafzimmern und Büros, in denen die spannendsten Webangebote des Jahres 2020 entstanden sind, hob dieses Familiengefühl noch einmal auf ein ganz anderes Level.
Daueraktuelle und brandneue Themen
Die erste, die sich vor ihrer Webcam freuen durfte, war Caro Keller von NSU-Watch. Stellvertretend für das deutschlandweite Bündnis, das die Seite betreibt, nahm sie den Preis in der Kategorie „Information“ entgegen. „Das Sicherstellen des Nie-Vergessens und das Vorantreiben der immer noch nicht abgeschlossenen Aufklärung sind heute – leider – noch genauso aktuell wie 2011“, sagte Preispatin Mai Thi Nguyen-Kim in ihrer Laudatio. Da sie kurzfristig nicht nach Köln reisen konnte, hatte sie diese als Videobotschaft aufgenommen. Weiter heißt es darin: „Liebes NSU-Watch-Team: Hoffentlich bringt euch der Preis nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch Antrieb für eure weitere Arbeit!“ Gleich im Anschluss laudatierte Nguyen-Kim einem Angebot, das zwar noch längst nicht so lange aktiv ist wie NSU-Watch, sich aber schon eine riesige Fanbase aufgebaut hat: Gemeint ist natürlich Das Coronavirus-Update des NDR. „Der Podcast beweist, dass auch ausführlicher Wissenschaftsjournalismus das Publikum fesseln kann“, so die Jury-Begründung.
Während sich Redakteurin Korinna Hennig noch stellvertretend für ihre Kolleg*innen freute – „die erste Folge haben wir so spontan und schnell umgesetzt, das geht nur in einem großen Team“ – öffnete Preispatin Laura Karasek den nächsten goldenen Umschlag. Mit dem funk-Format STRG_F gab es beim #GOA20 noch einen weiteren Preisträger in der Kategorie „Information“. „STRG_F ist ein Format von jungen Menschen für junge Menschen“, lobte Karasek, und Redaktionsleiter Dietmar Schiffermüller betonte: „Auch junge Menschen wollen Journalismus.“ Desinteressiert sei die junge Generation auf keinen Fall. Was hinter dem Erfolg von STRG_F steckt? „Alter Journalismus ist asymmetrisch. Heute sind wir auf Augenhöhe mit dem Publikum. Das heißt, unsere Arbeit endet nicht damit, dass wir einen Film produzieren und hochladen. Dann beginnt erst der Diskurs.“
Überhaupt habe es in diesem Jahr erfreulich viele spannende Angebote für die junge Zielgruppe gegeben, freute sich Grimme-Direktorin Frauke Gerlach, die ebenfalls per Videochat zur Preisverleihung zugeschaltet wurde. Und so traf es sich, dass auch der Preis in der Kategorie „Kultur und Unterhaltung“ an diesem Abend an das junge funk-Format Karakaya Talk ging. Dazu aus dem Jurystatement: „Esra Karakaya lädt ihre wunderkrassen Gäst*innen auf einen Çay ein und heraus kommt ein außergewöhnliches und diverses Talk-Format mit Vorbild-Charakter.“ Über diese Begründung musste auch Karakaya selbst schmunzeln. Diversität im Journalismus, betonte sie dann aber, lasse sich auf Dauer aber nicht nur über einzelne Vorbildfiguren erreichen: „Es ist die Aufgabe der Menschen in Machtpositionen, ihre Privilegien für Veränderung zu nutzen.“
Formate, die Wissenslücken schließen
Den ersten #GOA20 in der Kategorie „Wissen und Bildung“ vergab Preispate Rainer Maria Jilg an Die Spende, eine Multimedia-Reportage des Stern. In beeindruckenden Bildern und Videos begleitet die Reportage alle Abläufe einer Organspende – von der Entnahme eines Herzens bis hin zur Reha des Empfängers. Informieren wolle die Webseite zuallererst, sagte Reporter Dominik Stawski, und Organspende weder befürworten noch davon abraten. „Bis heute kann ich auch jeden verstehen, der nicht spenden will“, so Stawski weiter.
Weniger medizinisch, aber kein bisschen weniger aufklärend, sind die beiden weiteren Formate, die ebenfalls Preise in der Kategorie „Wissen und Bildung“ erhielten: Eigensinn im Bruderland erzählt die Geschichten der Vertragsarbeiter*innen, der ausländischen Studierenden und der politischen Emigrant*innen in der DDR, die mit der Hoffnung auf eine gute Zukunft aus Vietnam, Mosambik, Angola oder Kuba kamen. Und das RomArchive hat in einer Datenbank über 5.000 Ausstellungsstücke aus der Kultur der Sinti und Roma gesammelt, die Sichtbarkeit und Selbstrepräsentation schaffen. Beide Preisträger*innen beschäftigten sich mit wichtigen Lücken in der deutschen und europäischen Kulturgeschichte, sagte Preispatin Sara Nuru, und machten damit auch einen Schritt gegen Rassismus. Der Zeitpunkt dafür sei im Jahr 2020 günstig: „Ich habe das Gefühl, dass jetzt mehr Menschen als vorher bereit sind, rassismuskritisches Denken zu lernen“, so Nuru.
Und dann war da ja noch der Spezialpreis. In diesem Jahr gab es hier zwei Nominierungen und die Entscheidung fiel denkbar knapp aus. Eigentlich, das betonte Moderator Abdollahi noch einmal, seien ja sowieso alle Nominierten bereits Gewinner. Am Ende vergab die Jury ihren letzten Preis des Abends an Rezos YouTube-Video Die Zerstörung der CDU . Über die Laudatio von Michael Mittermeier freute Rezo sich besonders – „als Kind habe ich immer den Quatsch Comedy Club geschaut“, erzählte er und strahlte. „Ich muss sagen, dass wir Comedians und Kabarettisten eine Weile ganz schön neidisch auf dich waren“, erwiderte Mittermeier, „immerhin haben wir jahrzehntelang versucht, die CDU zu zerstören.“ Bei der Zoom-Aftershowparty konnten die beiden sich noch weiter über Zerstörungstaktiken austauschen. Denn auch das war neu in diesem Jahr: Die Preisverleihung selbst wurde von mehreren Videokonferenzen begleitet. An den drei Abenden vor der Preisvergabe tauschten sich die Nominierten auf Pre-Partys aus, und, statt auf dem roten Teppich, feierte man bei Zoom die Vorfreude vor der Veranstaltung.
Die Einladung für nächstes Jahr steht
Den Abschluss des Abends bildete wie immer die Verleihung des Publikumspreises, daran wird auch zum 20. Jubiläum nicht gerüttelt. Korinna Hennig durfte gleich noch mal jubeln, denn auch dieser #GOA20 ging an „Das Coronavirus-Update“. Mit Abstand dahinter auf dem zweiten Platz landete der Wissenschaftskanal „Dinge erklärt – Kurzgesagt“ von funk, Dritter wurde Rezo mit „Zerstörung der CDU“.
Und wie geht es weiter, wenn die Preise erst einmal in der Post sind? Mit den Vorbereitungen auf den #GOA21, der dann (gemütliche Webshow-Atmosphäre hin oder her) hoffentlich wieder mit Gästen stattfinden kann. Dazu werden auch die Vertrer*innen aus diesem Jahr noch einmal eingeladen. Familie bleibt Familie.
Die heutige Zeit ist echt schwierig, aber ihr habt das super gemacht! Auch eure Prublikumspreise sind einfach toll :)
Ich freue mich schon auf das Event nächstes Jahr und bin selbstverständlich wieder dabei. Zwar hatte ich eigentlich einen Costa Rica Urlaub geplant, aber das ist mir mit Corona momentan eh zu heikel.